Positionen nur deshalb zu diskreditieren, weil sie eventuell von der AfD geteilt werden, gefährdet unsere politische Kultur, warnt Gastautor Hasso Mansfeld.

Politische Arbeit ist schwieriger geworden. Von der Stadtratssitzung bis hinauf in den Bundestag, von den Ausschüssen bis in die Parlamente: Wo die AfD eine Meinung hat, muss man sich distanzieren, wo sie noch keine geäußert hat, hoffen, dass die eigene Haltung niemanden von der AfD einlädt, ihr zuzustimmen. Das zumindest scheint die Haltung vieler etablierter Parteien und ihrer Vertreter zu sein.

Für eine Reihe von Politikern bedeuten es schon den Supergau schlechthin, wenn man zwar mit einer Forderung erfolgreich war, aber dann feststellen muss: Es hat nur mit den Stimmen der AfD geklappt. Wenn man sich vom politischen Gegner vorwerfen lassen muss, mit dieser oder jener Forderung eine unangebrachte Übereinstimmung, eine Nähe zur AfD provoziert und so quasi eine Einladung ausgesprochen zu haben. Die Sachdiskussion soll also entfallen, weil Mehrheiten mit der AfD kontaminierte Mehrheiten sind?

Die AfD pfeift auf Fundamentalopposition

Wozu das führt? Positionen werden so gefasst, dass sie möglichst wenig einladend sind für Zustimmung von dieser als besonders falsch etikettierten Seite. Eine politische Entscheidung gilt nun per Se als entwertet, wenn sie mit den Stimmen der AfD mehrheitsfähig ist. Aber ist das nicht ein perfektes Instrument zur Diffamierung des politischen Gegners? Ihm eine Übereinstimmung mit der AfD „anzuhängen? Der „Freund“ meines Feindes ist mein Feind. Das ist die Meta-Ebene einer unzulässigen Emotionalisierung der jeweiligen Debatten.

Die Parteien im Bundestag sind dafür leider besonders anfällig geworden. Die etablierten Parteien waren fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich die AfD in den Parlamenten in einer Art Fundamentalopposition einrichten wird. Aber die dachten gar nicht daran. Und bevor hier ein Beispiel folgt, darf man eigentlich  „etablierte Parteien“ sagen oder ist das schon AfD-Speech? Aber wie heißt es korrekt? „Altpartein“? Oder „politisches Establishment“, wie es neulich Sandra Maischberger in ihrer Sendung formulierte? Sagen will man ja eigentlich: alle anderen außer der AfD. Aber wie klingt das denn?

Ein echtes Dilemma

Aber kommen wir zur ausbleibenden Fundamentalopposition: Als Bundestagsabgeordnete der AfD für ein Mandat für die Missionen in Darfur, im Südsudan und bei der Nato-Mittelmeer-Operation „Sea Guardian“ stimmten, war die Irritation der anderen Parteien groß. Für die Union war es sogar ein echtes Dilemma, noch unangenehmer, wenn die AfD beispielsweise einer Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär geduldete Flüchtlinge zustimmt.

„Sollte die Union deshalb ihren Antrag zurückziehen – oder gar nicht erst einbringen?“, fragt allen Ernstes die Welt und der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer beklagte am selben Ort: „Wir werden nicht verhindern können, dass sich die AfD Anträgen anschließt.“ Und das klingt dann fast schon wie eine Kapitulation. Aber vor was wird hier kapituliert?

Als die CDU in Sachsen-Anhalt Mitte 2017 einen Antrag der AfD zustimmte, gab es eine Rüge von ganz oben, als sich nämlich die Kanzlerin selbst einschaltete und ihre Christdemokraten zur Ordnung rief. Aber ist die Sache wirklich so „extrem heikel, wenn nicht gar toxisch“, wie es die Welt formulierte angesichts der Haltung der CDU, die nicht den Eindruck erwecken wollte, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen?

Ein Parlament ist kein Zoo

Nun sind Parlamente alles andere, als zoologische Gärten, wo jede Art scharf voneinander getrennt agieren muss, damit es zu keinen Beißereien kommt. Im Gegenteil: Die Abgeordneten spiegeln in ihrer Gesamtheit den Willen der Wählergemeinschaft wieder und haben sogar den klaren Auftrag bekommen mehrheitsfähige Positionen zu entwickeln. Und sie sollen sich sogar beißen, man nennt das Demokratie.

Wenn es aber neuerdings zum guten Ton gehören soll, sich gegenüber jedweder Form von Zustimmung von Seiten der AfD auf diese Weise abzugrenzen, dann ist diese Abgrenzung keine echte. Denn wer sich abgrenzt, zeigt an, wer er ist, was er will und wohin die Reise gehen soll. Der profiliert sich im positivsten Sinne. Wer nun aber sein Profil nicht aus einer innerer Überzeugungen heraus entwickelt, sondern nur in panischer Sorge agiert, er könne unerwartete Zustimmung von der AfD erhalten, der gibt eigene Positionen auf.

Was am Ende in der Wahrnehmung der Wähler bleibt, ist ein von jedweden Überzeugungen entkoppelter und also unattraktiver Wille zur Macht. Ja, man will noch politisch agieren, weiß aber selbst nicht mehr so genau, was eigentlich die eigene Haltung ist. Nicht besonders hilfreich ist da der zusammengegrokochte Einheitsbrei von Positionen der Volksparteien. Diese Beliebigkeit der Inhalte steht am Anfang des Verlustes streitbarer Überzeugungen.

Mehr Besonnenheit wagen

Und es macht doch einen Unterschied, ob ich in einer bestimmten Ecke um Zustimmung werbe, oder unerwartet Zustimmung erhalte. Na und? Nein, mehr noch: Wenn die AfD selbst einen vernünftigen Vorschlag macht, warum nicht zustimmen und sich verabschieden von so wenig hilfreichen Gleichungen, wie dieser hier: AfD gleich Nazi. AfD-Positionen gleich Nazi-Positionen. Besonnenes Handeln schließt ja nicht aus, aufs schärfste gegen Positionen der AfD zu agieren, aber doch bitte nur dann, wenn man sie für falsch hält.

Nehmen wir beispielsweise die Kritik am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) beziehungsweise die Forderung nach dessen Reform. Nur weil die AfD diese Kritik besonders energisch argumentiert und mit Kampfbegriffen um sich schmeißt, heißt das doch nicht, das, wer nicht AfD ist, automatisch dem ÖRR das Wort reden muss. Sicher, das hätte der ÖRR vielleicht sogar gerne so. Aber dem Gefallen, die Diskussion um eine Reformation des ÖRR deshalb auszusetzen, darf in keinem Falle entsprochen werden. Es darf keine Debattentabus zum Schutze des ÖRR geben, weil die AfD nichts vom ÖÖR hält.

Dieser Diskurs um sinnvolle Abgrenzung und falsche Abgrenzung muss erst noch intensiv geführt werden. Losgelöst von irgendeiner Akzeptanz-Diskussion rund um vermeintliche oder echte AfD-Positionen sollte niemand Macht über den anderen bekommen, indem wir es zulassen die Sorge über eine Vereinnahmung über einen individuellen Debattenbeitrag zu stellen.

Woher nun diese Sorge kommt? Kein Politiker in Deutschland hat naturgemäß noch persönliche Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Aber die historische Rezeption der Ereignisse um die Machtergreifung der NSDAP ist umfangreich und besonders in dieser Debatte wieder gegenwärtig. Selbstverständlich ist Weimar Mahnung. Aber Weimar darf nicht Angstmacher sein. Nein, die überlieferten Erfahrungen aus der Weimarer Republik geben einen klaren Handlungsauftrag: Bezieht wieder Positionen! Auch gegen die AfD, wenn man hier eine Gefahr sieht, aber solche Position, die den eigenen Standpunkt erkennen lassen.

Erkennbar bleiben. Wahrhaftig sein. Und es eben im Zweifel auch ertragen können, wenn die AfD mal eine Position teilt. Was dem politischen Gegner der anderen Parteien aber keinesfalls erlaubt werden darf, ist der diskursferne Versuch, eine Position nur deshalb zu diskreditieren und zu diffamieren, weil sie eventuell zukünftig oder schon tatsächlich auch von der AfD geteilt wird. So billig sollte sich niemand um die parlamentarische Debatte drücken dürfen.

 

Hasso Mansfeld ist Kommunikationsberater. Für seine Ideen und Kampagnen wurde er bereits dreimal mit dem deutschen PR-Preis ausgezeichnet.  Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 kandidierte er für die FDP.