Der schlimme 25. September
Der Autor hat in die Glaskugel geguckt. Was er dort – etwas unscharf – gesehen hat, kann hier in langen Tweets gelesen werden.
#btw2017-1: Was man auf der letzten Sitzung des 18. Deutschen Bundestages mit Melancholie und Kampfansagen vorweggenommen hat, ist nun Gewissheit: Eine rechtsradikale Partei zieht in den Bundestag ein. Nach dem Provinzialismus der Bonner Republik 1990 endet mit dem amtlichen Endergebnis am 25. September 2017 der Exzeptionalismus der Berliner Republik. Das deutsche Tabu, dass man wegen der Nazi-Zeit nicht rechtsradikal wählt, gibt es nicht mehr. Eine Epoche ist zu Ende. Es herrscht erst einmal Ratlosigkeit.
#btw2017-2: Auch die FDP ist mit einem starken Ergebnis wieder drin. Damit ziehen mit rund 20 Prozent zwei „neue“ Parteien in den Bundestag ein. Jede fünfte Stimme ging nicht mehr an die alten Bundestagsparteien (wenn man die ganz kleinen Parteien hinzu zählt, die den Einzug in den Bundestag nicht schafften, ist es sogar jede vierte Stimme). Das könnte ihnen zum Nachdenken geben. Anscheinend wollen sie aber nicht darüber nachdenken. Sie versuchen zur Tagesordnung überzugehen. Aber keiner kennt die neue Tagesordnung.
#btw2017-3: Die Elefantenrunde am Wahlabend endet vorzeitig, weil drei der Beteiligten hochroten Kopfes die Runde schon nach einer halben Stunde verlassen.
#btw2017-4: Die SPD, schwermütig, denkt darüber nach, wieso sie an die AfD Stimmen verloren hat. Die Linke, unwillig, denkt darüber nach, wieso sie an die AfD Stimmen verloren hat. Die CDU/CSU, überheblich, denkt darüber nach, wieso sie an die AfD Stimmen verloren hat. Nur die Grünen müssen nicht darüber nachdenken, wieso sie Stimmen an die AfD verloren hat. Dafür hat sie an alle anderen Stimmen verloren.
#btw2017-5: Merkel schweigt.
#btw2017-6: Trump twittert: „I’m proud…“ Der Rest des Tweets bleibt unverständlich. Daher viel Traffic in den sozialen Medien.
#btw2017-7: Das Medien-Echo ist gewaltig – national wie international. Deutschland sei nun in der Normalität angekommen. Mehr sei nicht passiert. Es habe auch in Deutschland immer einen festen Anteil aus ultrarechtem Gedankengut gegeben, und nun habe er seine Repräsentation. Damit folge Deutschland nur dem internationalen Trend, ohne in ein echtes Extrem zu verfallen. Die Liberalität Deutschlands sei keineswegs in Gefahr. Man vertraue der deutschen Demokratie. Aus Polen, Italien, Ungarn, Griechenland, Österreich hört man Stimmen, die an die moralische Überheblichkeit der Deutschen erinnern. Damit sei nun Schluss. Macron bietet in einer Fernsehansprache aus Paris den Deutschen seine Unterstützung an. Andere betonen, man habe, wie bei Trump, die kleinen Leute zu lange übersehen und übergangen, ihre Ängste ignoriert. Es habe den Rechten in die Hände gespielt, dass dies ein Angst- und kein Gerechtigkeitswahlkampf gewesen sei. Andere verweisen auf Skandinavien: Es gebe da die besten Wohlfahrtsstaaten der Welt und mit die schlimmsten Rechtsradikalen. Man solle sich also endlich von der sozialen Theorie verabschieden. Es gebe nun mal in freien Gesellschaften auch Rechte, so wie es auch immer linke Systemfeinde gebe. Woanders heißt es: Die Kanzlerin sei schuld. Die Entscheidung vom Spätsommer 2015 habe das Monster geweckt. Schlimmer noch sei es gewesen, dass der deutsche Staat schwach und chaotisch gewirkt habe. Zudem habe es im Bundestag faktisch eine XXL-Koalition gegeben und keine Opposition. So trügen alle Bundestagsparteien Schuld, was das Ergebnis nur widergebe. Bis heute gebe es keinen brauchbaren Versuch, durch ein Einwanderungsgesetz die Migration adäquat zu steuern. Und man könne die Integration nicht allein Jogi Löw und der Nationalmannschaft überlassen. Stattdessen aus der alten Regierung fatale Signale: Wahlrecht ohne Staatsbürgerschaft, Zweifel an der Existenz einer deutschen Kultur, Plädoyer für eine interkulturelle Öffnung in allen Bereichen und schließlich die Feststellung, dass die Regeln des Zusammenlebens quasi jeden Tag neu auszuhandeln seien – als gäbe es keine Verfassung, keine Gesetze. Immerhin würde es in der nächsten Regierung – egal welcher Provenienz – keinen Zweikampf mehr geben zwischen Leitkultur und Multikultur.
#btw2017-8: Jemand fällt auf, dass auch in Österreich gewählt wurde. Der nächste Schock.
#btw2017-9: Die AfD tritt auf wie Graf Koks und stellt Forderungen. Die anderen Parteien stellen klar, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben kann. Aber da bald auch in Niedersachsen gewählt wird, hält man sich zurück mit Aussagen, was man konkret sonst noch tun will. Erst einmal die Lage sondieren.
#btw2017-10: Merkel schweigt.
#btw2017-11: Gauland und Weidel treten überall auf und lassen sich feiern. Noch erkennen sie nicht, welchen Triebkräften sie dienen. Aber in Hinterzimmern wird schon ihre Kaltstellung geplant, weil sie als lau gelten.
#btw2017-12: Die Antifa demonstriert. Sie schmeißt Steine in Geschäfte und steckt Autos in Brand. „Krieg den Faschos“, „Krieg den Banken“, „Deutschland verrecke“ steht auf schwarzen Transparenten. Es gibt Verletzte. Die AfD fühlt sich bestätigt. Die anderen Parteien verurteilen die Krawalle, einige Linke haben aber Bauchschmerzen dabei.
#btw2017-13: Die Aufrechten mobilisieren auch die Straße. „Nieder mit…“ liest man, und dann kann man es sich aussuchen: Faschismus, Nationalismus, Klassismus, Familismus, Rassismus, Kolonialismus, Neoliberalismus oder alles zusammen (sonderbarerweise fehlt der Antisemitismus).
#btw2017-14: Erdogan fordert die Türken in Deutschland auf, auch auf die Straße zu gehen und ihre Stimme zu erheben. Außerdem werde er seine Leibwache zum Schutz der Aufmärsche schicken.
#btw2017-15: Die AfD und ihr Milieu versuchen in einer gegenseitigen Repräsentation eine Bewegung zu bilden. Die ersten Abgeordneten begreifen, was vor sich geht, und wechseln zur CDU, zur FDP und eine zur Linken, weil sie sich getäuscht fühle.
#btw2017-16: Merkel spricht. Sie wolle mit der FDP und den Grünen Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition führen. Die SPD ist erleichtert. Sie will für vier Jahre in ein politisches Wellness-Programm. Gabriel und Oppermann bleiben aber zurück, sie sollen die AfD bekämpfen und die künftige Regierung kritisieren.
#btw2017-17: Alles hängt an den Grünen. Die aber haben auch Bauchschmerzen. Sie könnten das gute Deutschland retten. Aber den Linken in den Grünen wäre Jamaika ein Verrat, weil die Union den Diesel erst fünf Jahre später abschaffen will. Die SPD ist zugespitzt erleichtert, weil sie jetzt nicht mehr die Kohlen aus dem Feuer holen muss. In einer denkbar knappen Abstimmung sind die Grünen für die Koalition. Man wolle die Chance, das Land voranzubringen, nicht verstreichen lassen. Die Medien loben die Grünen. Da kommt Seehofer und will Guttenberg im Kabinett sehen. Jetzt hat Lindner Bedenken.
#btw2017-18: Ein ausländisches Medium – es ist wahrscheinlich die New York Times – spekuliert auf das in Deutschland bislang Undenkbare: Neuwahlen. Merkel sagt, sie beschäftige sich nicht mit Spekulationen; sie sei immer noch zuversichtlich, eine Jamaika-Koalition bilden zu können.
#btw2017-19: Richtungsstreit in der AfD. Sonderparteitag. Weil er eine Koalition mit der CDU in Zukunft nicht ausschließen will, wird Gauland als bürgerlicher Kompromissler, als Verräter niedergebrüllt. Niemand verteidigt ihn. Erika Steinbach sieht ihn nicht einmal mehr an. Alice Weidel kämpft mit den Tränen. Höcke feixt. Austritte bei der AfD; Eintritte.
#btw2017-20: Wolfgang Kubicki denkt in einer Talkshow laut darüber nach, dass für Schwarz-Gelb nur 15 Stimmen fehlten. Und er spüre eine Stimmung im Land, dass solch eine Koalition gewünscht sei. Die anderen Parteien hätten doch bewiesen, dass sie unwillens oder unfähig seien, eine verlässliche Regierung zu bilden. Die FDP werde das Land wieder nach vorne bringen. Dann spricht er über Steuererleichterungen.
#btw2017-21: Es gibt Neuwahlen.