„Faschismus“ und „Antifaschismus“ erleben ein Revival, dabei sind beide Begriffe auf dem Friedhof der Ideengeschichte besser aufgehoben.

Der eine haut ein „Antifaschisten sind auch Faschisten“ raus, andere tragen das angebliche Ignazio-Silone-Zitat „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus’. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus’“ wie Popanz vor sich her und auf SPIEGEL-ONLINE stellt eine Kolumnistin fest, dass „Antifa“ „ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Gruppen von Leuten“ ist, „die sich gegen Rassismus, völkischen Nationalismus und Antisemitismus engagieren und gegen die Verharmlosung von faschistischen Verbrechen“. Wurde es in den vergangenen Jahrzehnten etwas ruhiger um die beiden Begriffe „Faschismus“ und „Antifaschismus“, sind sie plötzlich wieder schwer angesagt – woran der Erfolg der AfD, die rassistischen Übergriffe in den zumeist ostdeutschen Städten und die zunehmende Polarisierung in Deutschland vermutlich nicht ganz unschuldig sind. Dummerweise werden die beiden Begriffe jedoch vornehmlich von den Leuten benutzt, die noch am wenigsten über ihren Bedeutungsgehalt wissen. Ein anstrengender Zustand, weshalb ein paar Absätze zur Entstehung des Faschismus- und des Antifaschismus-Begriffes folgen. Und warum beide Begriffe durchaus problematisch sind.

La dottrina del fascismo

Geprägt wurde der Begriff des Faschismus nicht erst, als sich die Nazis in Deutschland die staatliche Machtsphäre gekrallt hatten, sondern bereits ab 1922 mit der Ernennung Benito Mussolinis zum italienischen Ministerpräsidenten. Von Mussolini, der selbst die Bezeichnung „Fascismo“ – im Deutschen: Faschismus, im Englischen: Fascism, im Französischen: Fascisme – gewählt hatte, wurde auf andere Länder geschlossen. Es wurde davon ausgegangen, dass Mussolinis Bewegung nicht ein italienischer Sonderfall, sondern nur die italienische Erscheinung von etwas Neuem war, das sich erheblich von den alten Reaktionären der Vorkriegszeit unterschied – und sich nach dem Ersten Weltkrieg in allen europäischen Ländern zeigte. Sie mögen unterschiedliche Kostüme tragen, mögen mit unterschiedlichen Parolen Wahlkampf machen, aber im Grunde genommen sind die neuen rechten (Massen-)Bewegungen, die eine ausgeprägte Gewaltaffinität, einen übersteigerten Nationalismus, einen sozialrevolutionären Gestus bei ausgeprägtem Anti-Marxismus und eine demonstrative Verachtung demokratischer Spielregeln an den Tag legen, in ihren zentralen Wesensmerkmalen doch erschreckend ähnlich.

Entsprechend wurden in allen europäischen Ländern Bewegungen als „faschistisch“ bezeichnet, bei denen man eine Wesensverwandtschaft mit Mussolinis Partito Nazionale Fascista sah, in Deutschland traf dies vor allem auf die Nationalsozialisten zu – oder, wie damals (und insbesondere auch in der späteren DDR) häufiger gesagt wurde, den „Hitlerfaschismus“. In Österreich galt dies für Dollfuß‘ „Austrofaschismus“ bzw. „Klerikalfaschismus“, in Spanien für die Falangisten, in Ungarn für die Pfeilkreuzler, in Kroatien für die Ustascha und in Rumänien für die Eiserne Garde – um nur die zu nennen, die sich (später) tatsächlich auch die staatliche Machtsphäre krallen konnten.

Die Aufzählung zeigt aber gleichzeitig auch ein grundsätzliches Problem des Faschismus-Begriffes auf: An der Macht verhielten sich die einzelnen Bewegungen alles andere als einheitlich, die von ihnen errichteten Regime wiesen erhebliche (strukturelle) Unterschiede auf. Etwa, ganz klassisch, beim Verhältnis zwischen Staat und Kirche. So arrangierte sich Mussolini entgegen seiner aggressiven Rhetorik recht schnell mit der Kirche, Dollfuß sowie die spanischen Falangisten unter Franco machten sich daran, die Macht des Klerus zu restaurieren, während die deutschen Nazis in ihrem kalten, braunen Herzen immer antiklerikal blieben – und den Kirchen vornehmlich taktisch motivierte Zugeständnisse auf Zeit und Widerruf machten. Ein Unterschied, der noch unter „Andere Länder, andere Sitten“ verbucht werden kann, aber die Differenzen zwischen den Regimen gehen tiefer, sie betreffen das eigentliche Wesen.

Im Vorfeld des Dritten Golfkrieges soll die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin folgende Sätze gesagt haben, die nicht nur in Amerika als beleidigend empfunden wurden, sondern sich auch noch durch eine fatale Unkenntnis des NS-Regimes auszeichnen: „Bush will von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Das ist eine beliebte Methode. Das hat auch Hitler schon gemacht.“ Damit wird auf der einen Seite verkannt, dass das NS-Regime 1939 mit keinen signifikanten innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, weil es sich bis dahin nicht nur erfolgreich konsolidiert hatte, sondern sich auch auf den Rückhalt der Bevölkerung stützen konnte. Auf der anderen Seite, und das ist erheblicher, verkennen die Sätze, dass Adolf Hitler den Krieg wollte. Mehr noch, das NS-Regime war in seiner Ideologie und Struktur so angelegt, dass es nahezu zwangsläufig auf den Weltkrieg zusteuerte.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Die Nazis wollten nichts weniger als die Weltherrschaft, und sie waren bereit und willens, dafür die Welt in Flammen zu setzen. Es war ein Teil ihrer DNA, die Frage war für sie nicht, „ob“ sie den „großen Krieg“ entfesseln, sondern wann und zu welchen Ausgangsbedingungen. Mehr noch, in der Ideologie und Struktur war das Nazi-Regime so angelegt, dass es auf die Vernichtung des europäischen Judentums zustrebte. Der Antisemitismus der Nazis beschränkte sich nicht auf eine mehr oder weniger instrumentelle Sündenbock-Funktion; die Nazis glaubten tatsächlich, was sie sagten – und wenn man Menschen immer und immer wieder als „Parasiten“ bezeichnet, die der eigenen glorreichen Zukunft im Wege stehen, dann behandelt man sie – wenn sich die Möglichkeit ergibt – auch so, wie man damals Parasiten behandelt hat, nämlich mit Gas. Und diese Möglichkeit wurde durch den Krieg geschaffen, Weltkrieg, Judenvernichtung und Nazi-Herrschaft lassen sich kaum unabhängig voneinander denken.

Die anderen als faschistisch klassifizierten Regime hingegen schon. Sie waren gewalttätig, sie waren militaristisch, sie waren oftmals auch rassistisch und antisemitisch, aber bei keinem dieser Regime waren Weltherrschaft oder die Vernichtung des europäischen Judentums Teil der DNA. Und damit stellt sich erneut die Frage, ob es Sinn ergibt, das NS-Regime als „faschistisch“ zu bezeichnen, wenn die Nazis in solch essenziellen Fragen anders als die übrigen faschistischen Regime getickt haben.

Sind Babyn Jar, Auschwitz und das Unternehmen Barbarossa definierende Wesensmerkmale des NS-Regimes? Wenn ja, sollte man den Faschismus-Begriff nicht mehr auf die Nazis anwenden. Wenn nicht, welche Stellung weist man dann dem eliminatorischen Antisemitismus und der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs zu? Die gleiche wie etwa dem des Antiklerikalismus, also als eine Art Spezifikum der jeweiligen nationalen Ausprägung des Faschismus? Und wird man Hitler historisch wirklich gerecht, wenn man ihn als „Faschisten“ bezeichnet? Oder wäre das aus der deutschen Sprache stammende Wort „Nazi“ nicht erheblich angemessener als eine Bezeichnung, die aus dem Italienischen stammt und sich von einer Bewegung ableitet, die zwar verbrecherisch war, aber im Großen und Ganzen noch nach den Parametern einer ordinären Diktatur funktionierte?

Oder, wie Jean Améry in Unmeisterliche Wanderjahre schon spöttisch schrieb„Der Faschismus – denn ihn hatte es offenbar nur gegeben und nicht originale, unverwechselbare Tatbestände des SS-Staates – war Sache kritischer Reflexion. Der Tod war kein Meister aus Deutschland. Er war faschistisch oder faschistoid.“

Vom Faschismus zum Klassenkampf

Ist die Verwendung des Faschismus-Begriffs beim NS-Regime problematisch, gilt dies analog auch für den des Antifaschismus – Handlungen, die gegen ein Regime gerichtet sind, das nur unter Bauchschmerzen als „faschistisch“ beschrieben werden kann, lassen sich schließlich ebenfalls nur unter Bauchschmerzen als „antifaschistisch“ bezeichnen. Erschwerend kommt dann aber noch die geschichtliche Entwicklung des Antifaschismus-Begriffes hinzu, die ebenfalls in den frühen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts begann.

Es waren vorwiegend Linke, die während der Weimarer Republik Hitler und seinen Anhang als Faschisten titulierten – und ihren Kampf gegen die Nazis entsprechend als antifaschistisch. Die Theoriebildung zum Faschismus wurde dabei von marxistischen Denken vorangetrieben (der erste bedeutende nicht-marxistische deutsche Theoretiker, der auf dem Begriff eine Theorie aufbaute, war lange nach Hitlers Tod Ernst Nolte). Am lautesten taten sich dabei in den Zwanzigern und Dreißigern die Kommunisten hervor, vor allem die KPD und die Komintern (die auf Betreiben der Sowjetunion gegründete Kommunistische Internationale) waren bei der Theoriebildung die treibenden Kräfte, was sich entsprechend auch in der Theorie niederschlug. Und zwar nicht zu ihrem Besten.

Die kommunistischen Denker beließen es bei ihrer Theoriebildung nicht bei einer Aufzählung der gemeinsamen Wesensmerkmale der von ihnen in den jeweiligen Ländern ausgemachten faschistischen Bewegungen, sondern machten die Faschismus-Theorie mit ihrem marxistischen Weltbild kompatibel, indem sie den „klassenmäßigen Inhalt“ bzw. den „Klassencharakter“ des Faschismus bestimmten, was darauf hinauslief, dass der Faschismus als eine Herrschaftsform zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft gedeutet wurde. In ihrer Sichtweise befand sich der Kapitalismus so tief in der Krise, dass er die Samthandschuhe fallen lässt und sein eigenes Fortbestehen nur noch durch gewalttätige Diktaturen sichern kann. Oder, wie es Georgi Dimitroff Mitte der Dreißiger für die Komintern definiert hatte: „Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“

Alles Faschisten außer Mutti

Folgen hatte diese Bestimmung des Klassencharakters viele, dummerweise waren sie vor allem negativ. Sie reichten von der platten Sichtweise, dass Hitler nur eine Marionette des Kapitals sei, bis zum Unterschätzen des Antisemitismus, dem, da sich dort nur schwer ein „klassenmäßiger Inhalt“ ausmachen lässt, allenfalls Sündenbock- oder Propaganda-Funktion zugestanden wurde (selbst bei Adorno und Horkheimer findet sich in Elemente des Antisemitismus noch folgender Satz: „Den Arbeitern, auf die es zuletzt freilich abgesehen ist, sagt es aus guten Gründen keiner ins Gesicht.“) Entsprechend setzte der „antifaschistische Kampf“, wenn er den „Faschismus mit Stumpf und Stiel“ ausrotten wollte, nicht etwa bei Ernst Röhms Schlägerbanden von der SA an, sondern bei den vermeintlichen Wurzeln. Die Überwindung des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft wurden zur Notwendigkeit erklärt – und dem Untergang der bürgerlich-kapitalistischen Weimarer Republik brachte man nur Schulterzucken entgegen.

Eine weitere Folge der Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus bestand darin, dass die Faschismus-Definition dem Kommunisten-Tourette den Weg bahnte, von nun an konnte alles, was angeblich der Aufrechterhaltung des Kapitalismus und/oder der bürgerlichen Gesellschaft dienen würde, lauthals schreiend mit dem Label des Faschismus versehen werden – bis hin zur späteren ideologischen Unterfütterung der Berliner Mauer, die vom KPD-Nachfolger SED offiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet wurde, weil die Mauer der Abschirmung vor dem Kapitalismus diente. Oder die zionistische Bewegung, die Ende der Zwanziger von der KPD als „jüdisch-faschistisch“ und „zionistische Faschisten“ beschimpft wurde. Selbst der Kreml, der schon seit bald drei Jahrzehnten nichts mehr mit dem Kommunismus zu tun hat, entblödete sich ab dem Euromaidan nicht, bei der Ukraine alles und jeden als (Bandera-)Faschisten zu bezeichnen; gelernt ist halt gelernt.

Leiden mussten unter dem zur notorischen Gewohnheit gewordenen „Faschismus!“-Geschrei der Kommunisten jedoch zuallererst die Sozialdemokraten. Aufbauend auf dem vermeintlichen Klassencharakter des Faschismus entwickelten die KPD und die Komintern in den Zwanzigern die Sozialfaschismustheorie, die darauf hinausläuft, dass die Sozialdemokraten Faschisten sind, da sie mit bürgerlichen Kräften gemeinsame Sache machen und der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems dienen würden. Schlimmer noch, während die eigentlichen Faschisten wenigstens mit offenem Visier kämpften, würden die „Sozialfaschisten“ der Sozialdemokratie „hinter einem Nebelrideau“ (Otto Wille Kuusinen) agieren, was perfider ist – entsprechend war der Hauptgegner des „antifaschistischen Kampfes“ der KPD bis 1935 nicht die NSDAP, sondern die SPD.

Nun kann man über die Partei Nahles‘, Brandts und Eberts ja sonst was sagen, aber sie tat sich nie durch Gewaltaffinität, übersteigerten Nationalismus, Chauvinismus oder Militarismus hervor; in der an Idiotie nicht armen Geschichte des Kommunismus war die Sozialfaschismustheorie schon ein besonders dummes Highlight. Der damalige KPD-Führer Ernst Thälmann schaffte es sogar, die Ende 1931 gegründete Eiserne Front, hinter der neben dem Reichsbanner der SPD auch Gewerkschaften und Arbeitersportvereine standen, als „Terrororganisation des Sozialfaschismus“ zu beschimpfen. Liquidiert wurde der von Otto Wels geführte Abwehrbund dann 1933 von den Nazis. Also von den Leuten, die laut der Sozialfaschismustheorie der Kommunisten die „Zwillingsbrüder“ der Sozialdemokraten seien.

Kurz, die Geschichte des Antifaschismus war in Deutschland so voller Dummheiten, ideologischer Sackgassen und strategischer Fehler, dass der Begriff kontaminiert war. Wer sich nicht als Linker verstand und mit dem NS-Regime andere Probleme als den des Klassencharakters hatte, machte deshalb auch zwischen 1933 und 1945 um das Label des Antifaschismus einen großen Bogen. Um es plastisch zu machen: Dietrich Bonhoeffer hat sein Leben im Kampf gegen die Nazi-Barbarei gegeben, der Theologe hätte sich ganz sicher aber nicht als Antifaschisten bezeichnet – und mit ihm große Teile des christlichen, bürgerlichen, liberalen und/oder humanistischen Widerstands. Selbst für Sozialdemokraten hatte der Begriff des „antifaschistischen Kampfes“ noch dann einen unangenehmen Beigeschmack, als sich die KPD Mitte der Dreißiger unter der neuen Direktive der „Einheitsfront“ von der Sozialfaschismustheorie verabschiedete.

R.I.P.

Was man daraus lernen kann? Dass man das NS-Regime nur mit aller gebotenen Vorsicht als faschistisch bezeichnen sollte, will man nicht die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und die Vernichtung des europäischen Judentums tiefer hängen. Und dass der Begriff des Antifaschismus auch noch nach dem Ende der Nazi-Barbarei so vorbelastet war, dass es bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland keinen „antifaschistischen Grundkonsens“ gab, sondern einen, der vor allem eines war: demokratisch.

Und vielleicht auch, dass es Zeit ist, zumindest in Deutschland zwei derart vorbelastete Begriffe wie den des Faschismus und des Antifaschismus dort zu belassen, wo sie noch am besten aufgehoben sind, auf dem Friedhof der Ideengeschichte – statt einander in schlechtester Tourette-Manier die Begriffe immer und immer wieder um die Ohren zu hauen.