Weil in Zeiten der Coronavirus-Pandemie die Aufmerksamkeit für andere Themen nachlässt, versuchen manche Politiker und Lobbygruppen mit der Brechstange, ihre Anliegen – von AKW-Ausstieg über Gentechnik bis vegane Ernährung, Tempolimit und Ökolandbau – in einen Zusammenhang mit dem Virus zu bringen. 

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Behauptung, die Energiewende sei schuld an der Corona-Pandemie, ist absurd. Genauso absurd, wie alles mögliche andere, was sich unter dem Hashtag #irgendwasmitCorona zusammenfassen lässt: Dass wir Atomkraftwerke abschalten müssen, weil ihr Weiterbetrieb zur Ausbreitung der Seuche führt, dass jetzt sofort das Tempolimit eingeführt werden muss, um die Krankenhäuser von den Tausenden „Verkehrsverletzten“ zu entlasten, die die Raserei auf den Autobahnen verursacht, dass wir Gentechnik stoppen müssen, weil die Rekombination von Fremdgenen in Gensoja mit irgendwelchen anderen Nutztier-Viren tödliche neue Viren hervorbringt oder dass das Coronavirus das Menetekel tierischer Nahrung sei („coronavirus is an anagram of carnivorous“) und wir sofort Veganer werden müssen. Die taz entblödet sich nicht, zu schreiben: „Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden.“ (nota bene: auch diese idiotische Schlagzeile wäre ohne den Menschen nicht entstanden) und Greenpeace glänzt wie immer mit einfachen Formeln: „Die Rechnung ist so einfach wie erschreckend: Nehmen wir wilden Tieren ihre Lebensräume, steigt die Gefahr der Übertragung von Zoonosen wie #Corona“.

Populismus aus dem Ministerium

Auch das Bundesumweltministerium (BMU) macht bei diesem bunten Reigen mit. Das Coronavirus sei eine Folge der Naturzerstörung durch die industrielle Landwirtschaft, insbesondere des regenwaldzerstörenden Soja- und Palmölanbaus (kam das Virus aus chinesischen Regenwäldern?). Das wundert nicht, denn beim BMU ist der von NGOs wie dem BUND angetretene Marsch durch die Institutionen besonders erfolgreich gewesen. Svenja Schulze selbst kann nichts dafür, sie wurde Umweltministerin, weil die SPD noch eine weibliche Person aus NRW besetzen musste. Globale Seuchen, heißt es weiter aus dem BMU, seien eine Folge des menschengemachten Raubbaus an der Natur. Mit ihrer zunehmenden Zerstörung steige das Risiko von Krankheitsausbrüchen bis hin zu Pandemien. Bei Facebook schrieb ihr Social Media Team:

„Menschen dringen in Urwälder und die natürlichen Verbreitungsgebiete vieler Arten ein, reduzieren oder vernichten die biologische Vielfalt durch direkte Verfolgung oder Umwandlung in Monokulturen. Lebensräume und Ökosysteme werden geschädigt, zerstückelt oder ganz zerstört. Die Arten, die überleben, teilen sich die immer kleiner werdenden Lebensräume häufiger auch mit den Menschen. So entsteht eine unnatürliche Nähe zwischen Menschen und Wildtieren. Auch das neuartige Coronavirus ist von einem Wildtier auf den Menschen übergesprungen.“

Klingt einleuchtend, ist aber haarsträubend unterkomplex. Genauso gut könnte man sagen: Die Energiewende führt zu Pandemien: Der Hunger nach Windenergie führt zum Raubbau an der Natur, weil für den Abbau von Neodym, das für die Magnete der Windkraftrotoren verbraucht wird, in riesigem Umfang Natur in China zerstört wird. Man sehe sich die Bilder aus Baotou an, wo die Seltene Erde abgebaut wird. Das Gleiche gilt für E-Auto-Akkus: Die Lithiumgewinnung zerstört Umwelt in Südamerika: Naturschutzgebiete werden beeinträchtigt, seltene Tierarten sind bedroht und sterben aus. Ähnlich im Biolandbau: Seine katastrophal schlechte Produktivität (ca. 40 Prozent geringere Ernten) zwingt zu massiver Ausweitung landwirtschaftlicher Anbaufläche, sollte die ganze Welt sich „bio“ ernähren.

Viren scheuen den Menschen?

Das Patentrezept aus dem BMU klingt, als würde der Mensch nur zuhause bleiben müssen, um Pandemien zu vermeiden, denn wer nicht in die Natur hinausgeht, kann sich auch nicht mit Viren infizieren. Doch das ist totaler Blödsinn. Kontakt mit Tieren kann der Mensch gar nicht vermeiden, nicht nur, weil er sie nutzt, jagt und isst oder zum Beerensammeln und Getreideanbauen in ihre Lebensräume vordringt, wie das bereits unsere Altvorderen taten. Tiere suchen ihn aktiv auf, um Blut zu saugen, Nahrung zu stehlen, seine Wohnstätten und seine Abfälle zu nutzen. Fledermäuse sind solche Tiere. Sie schlafen oft auf Dachböden, verirren sich aber auch schon mal in Wohnungen, gern in größeren Gruppen. Wer sie verscheucht und dabei einen Kratzer abbekommt, tut gut daran, sich umgehend gegen Tollwut impfen zu lassen. Nagetiere wie Ratten und Mäuse, die besonders gern in der Nähe von Menschen leben (auch solchen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren), sind ein Reservoir für ein ganzes Arsenal an Viren, die dem Menschen gefährlich werden können. Manche dieser Viren können durch den Kot übertragen werden, vor allem, wenn er eintrocknet und man ihn mit dem Staub einatmet. Mücken kommen durch jede Ritze, um Blut zu saugen. Sie übertragen Chikungunya-, Dengue-, West-Nil- oder Zika-Viren auf den Menschen, die daran schwer erkranken können. Auch Läuse, Wanzen und andere Blutsauger übertragen Viren.

Das Problem: Viren mutieren schnell und besitzen daher immer das Potenzial, sich zu einer Epidemie auszuwachsen. Dabei muss die Infektion gar nicht über Tröpfchen stattfinden. Man stelle sich vor, eine durch die gewöhnliche, allgegenwärtige Stechmücke übertragene Erkrankung würde ähnlich rasch verlaufen wie COVID-19 und bei einem gewissen Prozentsatz der Erkrankten zu ähnlich schweren Symptomen führen.

Auch Haus- und Nutztiere zählen zu Virusüberträgern: Das MERS-Coronavirus stammt von Kamelen und Dromedaren, LCMV-Viren, die bei Menschen grippeähnliche Symptome verursachen, aber auch Meningitis und Fehlgeburten oder Missbildungen auslösen können, finden sich bei Hausmäusen, Hamstern und Meerschweinchen. Katzen können Kuhpocken übertragen; das Reservoir sind vermutlich Ratten und Mäuse. Eine Ansteckung kann für Menschen tödlich verlaufen. Zecken übertragen FSME von Wild-, Nutz- und Haustieren auf Menschen.

Dass uns Viren überfallen, ist Teil der Evolution und gilt für Pflanzen, Tiere und uns Menschen. Acht Prozent des menschlichen Genoms stammen von Viren. Sie haben, so paradox es klingt, im Lauf der Evolution das Immunsystem gestärkt und damit wohl das Überleben des Menschen gefördert. Viren sind Teil der Natur und das Überspringen von so genannten Artgrenzen ist die Norm, nicht die Ausnahme. Der Mensch ist ein Mosaik aus Genen von Viren, Bakterien, Pilzen, Algen und weiteren nahen und entfernten Verwandten.

Pandemien – nur beim Menschen?

Und was soll man von Viruspandemien halten, die ganze Tierarten regelmäßig befallen? In den letzten Jahren machte eine als Amselsterben bekannte Viruserkrankung Schlagzeilen. Das verantwortliche Usutuvirus, das auch andere Vogelarten befällt, entstand in Afrika und wird von Stechmücken übertragen. Soll man die Schuld an der raschen Ausbreitung der Unsitte geben, dass Abermillionen von Vögeln im Spätsommer die Nordhalbkugel verlassen, um sich im warmen afrikanischen Klima eine schöne Auszeit zu gönnen?

Ebenfalls in jüngster Zeit führten aggressive Ranaviren zum massenhaften Tod von Kröten, Fröschen und Molchen auch in abgelegenen Regionen Asiens, Europas und Amerikas. Die Erreger scheinen sich aus einem Fischvirus entwickelt zu haben, das anschließend Amphibien und Reptilien infizierte. Liegt das daran, dass viele Frösche, Kröten und Lurche es nicht lassen können, für ihr sexuelles Vergnügen die Lebensräume von Fischen aufzusuchen? Weil sie ohne jedes Verantwortungsgefühl dort ihren Nachwuchs zurücklassen, der den Fischen die Nahrung wegfrisst – eine erhebliche Störung des empfindlichen ökologischen Gleichgewichts von Teichen und Seen?

Warum?

Das Muster des #irgendwasmitCorona ist aus der Klimaforschung sattsam bekannt, wo jedes extreme Wettereignis zum Beleg des Klimawandels hergenommen wird. Doch schlau ist es nicht – es blamiert die Umweltschützer mehr als es dem Umweltschutz nutzt, weil es unglaubwürdig ist. Aber vielleicht füllt es die Kassen. Was diesen Punkt angeht, denken auch Umwelt-NGOs lieber kurz- als langfristig. Der Laden muss ja laufen.

Es wäre zu wünschen, wenn Politik und Medien sich endlich sachlich und ohne Scheuklappen mit den Maßnahmen auseinandersetzen würden, die den CO2-Ausstoß rasch und effizient reduzieren, die die Landwirtschaft so produktiv gestalten, dass nicht mehr, sondern weniger Fläche benötig wird usw. – ganz im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung: Listen to the scientists. Fragt die Wissenschaft und nicht die großen Vereinfacher!

Die Hoffnung ist gering, solange über diese Themen nicht Wissenschafts-, sondern Politikjournalisten berichten. Das lehrt gerade die Berichterstattung über die Pandemie. Und solange diese großen Vereinfacher am Werk sind und nichts dazulernen, kann trotzig behauptet werden: Weil irgendwie alles mit allem zusammenhängt, ist die Energiewende doch schuld an der Pandemie. Und das Christentum. Denn einer der Kernsätze in der Bibel lautet: „Macht euch die Erde untertan.“