Als der UN-Menschrechtsrat jüngst über die Abschaffung der Todesstrafe für Apostasie, Blasphemie, Ehebruch und Homosexualität abstimmte, stellten sich die USA an die Seite der Staaten der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“. Eine gefährliche Entwicklung, warnt unser Gastautor Volker Beck.

Wir haben die Gefahr alle nicht ernst genommen. Die Warner vor der Islamisierung des Westens wurden verlacht, von Intellektuellen verhöhnt, in die rechte Ecke gestellt.  Gutmenschen wollten nicht wahrhaben, dass die Islamisierung längst bis in die höchsten Kreise und an die Hebel der Macht vorgedrungen ist.

Nun ist es doch passiert. Sie hat das Weiße Haus in Washington D.C. erreicht und im Griff. Nun kommt jede Hilfe zu spät.

Was ist geschehen? Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, auch sonst nicht gerade für seine konsequente Menschenrechtsagenda bekannt, hat – in Deutschland leider bislang kaum wahrgenommen – am Freitag, den 29. September, u.a. die Abschaffung der Todesstrafe für Apostasie, Blasphemie, Ehebruch und Homosexualität gefordert. Angesichts der Zusammensetzung des Gremiums ein beachtlicher Durchbruch. Deutschland und Frankreich gehörten dabei zu den Initiatoren der Resolution. So weit, so gut.

Dagegen stimmten hingegen Ägypten, Äthiopien, Bangladesch, Botswana, Burundi, China, Indien, Irak, Japan, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigte Arabische Emirate und …. und die USA. Ja, die USA wandten sich im Bruderbund mit den Staaten der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ unmissverständlich gegen die demokratische Welt und die Abschaffung der Todesstrafe bei Apostasie, Blasphemie, Ehebruch und Homosexualität. Kein Scherz.

Baukräne für Homosexuelle im Iran, vom Tode bedrohte Christen im Nahen Osten, Köpfungen von Schwulen in Saudi-Arabien, Steinigungen von Frauen im Iran und im Machtbereich des IS, die von Häusern geworfenen Schwulen des IS, Todesdrohungen und Körperstrafen gegen Blogger wie Raif Badawi – da wird man wohl noch rufen dürfen: Stop it! Trump ruft das nicht mit. Die USA haben hier Europa den Rücken gekehrt, das gemeinsam mit vielen Ländern des globalen Südens sich geschlossen im Ja-Camp befand.

Um den Ernst dieses Vorgangs zu begreifen, muss man einige Details genauer betrachten:

  • Die Menschenrechtskonventionen wie der UN-Zivilpakt (Pakt über bürgerliche und politische Rechte) verbieten die Todesstrafe den Signatarstaaten nicht vollständig, sondern beschränken diese lediglich auf „schwerste Verbrechen“ und Täter über 18 Jahren. Erst mit Zeichnung des 2. Fakultativprotokolls verpflichtet sich ein Staat zur Abschaffung der Todesstrafe. Aber schwerste Verbrechen sind eben niemals Apostasie, Blasphemie, Ehebruch und Homosexualität. Im Gegenteil, ihre Strafverfolgung dürfte ebenfalls mit den Normen des UN-Zivilpakts in Konflikt stehen. Im Fall Toonen vs. Australia von 1992 hatte das UN-Menschenrechtskommittee über den Faklutativmechanismus bereits festgestellt, dass eine Strafverfolgung der Homosexualität eine Verletzung des Paktes darstellt.
  • Die letzten Freitag verabschiedete Resolution spricht sich nicht nur auf der Linie des UN-Menschenrechtsvertrages für eine Einschränkung der Praxis der Todesstrafe auf, sondern fordert auch die Staaten auf, das zweite Fakultativprotokoll zu unterzeichnen. Mag sein, dass die USA dieser Aufforderung an sich selbst nicht zustimmen wollten. Ein Nein gemeinsam mit den islamischen Staaten zur Resolution rechtfertigt das nicht. Tertium datur. Mit einer Enthaltung hätte man deutlich machen können, dass man wenigstens die Forderung der rechtsstaatlichen Einhegung und Reduzierung dieser inhumanen Strafform mitträgt. Washington begab sich jedoch lieber ins islamistisch-autoritäre Lager.
  • Anders als Russland, Ägypten und Saudi-Arabien haben die USA auch keine Änderungen der Resolution vorgeschlagen. Zwei Initiativen des Kreml (Russland ist aktuell nicht Mitglied des Gremiums) zur Rechtfertigung der Todesstrafe erhielten die Unterstützung der Amerikaner. Bezeichnend ist, dass die sich die USA zudem bei einem Vorschlag Saudi Arabiens enthielten: Saudi Arabien wollte mit seinem „Sovereignity Amendment“ das Recht aller Länder betonen, ihre eigenen Gesetze und Strafen zu entwickeln – im Rahmen des Völkerrechts versteht sich. Franz-Josef Degenhardt läßt grüßen.

Trump gilt den europäischen Kreuzrittern gegen die Islamisierung des Abendlandes als Bannerträger des nationalistischen, weißen Selbstbewusstseins. Der Islam gilt ihnen als größtes Übel auf dieser Welt. Sie setzen die Scharia mit der islamistischen Gesetzgebung autoritärer islamistischer Länder gleich und malen die Einführung solcher antidemokratischen Zustände für Deutschland und Europa an die Wand. Die Religionsfreiheit, universell gültige Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit halten sie für Hindernisse für eine wirksame Abwehr des Islams.

Es ist mehr als ein Treppenwitz der Geschichte, wenn sich im Menschenrechtsrat der Gedanke des „America First“ mit der antifreiheitlichen Scharia-Gesetzgebung islamistischer Staaten trifft: Andere Länder, andere Sitten – Absage an die Universalität der Menschenrechte, nationalistische Selbstüberhöhung, „America First“ oder „Europa der Vaterländer“, antismuslimischer Rassismus und eine prinzipienlose Deal-Mentalität sind nur verschiedene Ansichten derselben Medaille.

Einst war die Idee des Westens, Menschenrechte und Freiheit in die Welt zu tragen. Demokratie, Rechtsstaat und freie Marktwirtschaft als tragende Ideen machten den Westen stark. Zu Recht wurden die USA immer wieder gescholten, dass sie diese Werte nur zum Vorwand für imperialistische und ökonomische Interessen nutzte. Dennoch verdankte die USA ihre Führungsrolle eben nicht nur militärischer Macht und ökonomischer Stärke, sondern genau dieser Ideen. An der sie sich auch messen lassen mussten.

Der Stuhl der Führungsmacht dieser Idee ist vakant. Dennoch zeigt der Vorgang auch, dass globale Allianzen für unsere Werte zwischen Europa, den demokratisch orientierten Ländern Lateinamerikas und des globalen Südens möglich sind. Auch darauf wird in den nächsten Jahren zu achten sein, solange der Wertenihilismus das Weiße Haus regiert. Und nicht nur auf die 13 Prozent, die diese Haltung jetzt zu allem Überfluss auch noch in den Bundestag tragen.


Unser Gastautor Volker Beck saß für die Grünen von 1994 bis 2017 im Deutschen Bundestag. Er war von 1994 bis 2002 rechtspolitischer, von 2005 bis 2013 menschenrechtspolitischer sowie von 2013 bis 2016 innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Seit 2013 war er deren religionspolitischer und seit 2016 deren migrationspolitischer Sprecher.