Mit dem Buch „Letters to My Palestinian Neighbor“ wird Yossi Klein Halevi Ideologen auf allen Seiten gehörig verwirren. Eine Rezension.

Yossi Klein Halevy kam mir schon lange, bevor ich ihn kennenlernte, wie ein Blutsbruder vor – dabei haben wir gar nicht so viel gemeinsam. Yossi wurde 1953 in Brooklyn geboren, sein Vater stammte aus Ungarn und hatte das große Morden versteckt im Wald überlebt. Als junger Mann war er, wie er in seinem eindrucksvollen Buch „Memoirs of a Jewish Extremist“ beschreibt, ein Fanatiker, ein Anhänger des rechtsradikalen Rabbi Meir Kahane. Dieser Fanatismus kam aus den edelsten Motiven: aus dem Wunsch, sich für verfolgte Juden in der Sowjetunion einyusetyen, aus dem Imperativ des „Nie wieder!“. Aber er führte doch in en Abgrund, wie alle Fanatismen. Gerettet haben Klein Halevi zwei Dinge. Erstens die Liebe – seine Frau war eine Nichtjüdin, die seinetwegen zum Judentum konvertierte: von ihr lernte er, dass nicht alle Gojm Nazis sind. Zweitens rettete ihn, dass er mit seiner Frau 1982 Alija machte. Von diesem Zeitpunkt an war Israel für ihn nicht mehr eine abstrakte Sache, für die man sich einsetzt – es wurde zu einem Land mit großen und kleinen Fehlern, in dem man (zum Beispiel) im Stau steckenbleibt.

Er hat noch viele wunderbare Bücher geschrieben, jedes von ihnen kann ich wärmstens empfehlen. Da ist „Am Eingang zum Garten Eden“ (liegt auf Deutsch im EOS-Verlag vor), eine lange Reportage, in der Klein Halevi beschreibt, wie er als frommer, thoratreuer Jude in Israel und den Palästinensergebieten nasch Muslimen und Christen sucht, mit denen zusammen er beten kann. Das könnte interreligiöser Kitsch sein, aber es ist keiner. Denn Yossi Klein Halevi schmiert die Unterschiede nicht zu, die ihn von seinen christlichen und muslimischen Freunden trennen. Er geht keine Kompromisse ein. Er bleibt Zionist. Dann ist sein „Like Dreamers“, ein dickes Buch, das ich verschlungen habe wie einen Roman: Yossi Klein Halevi geht dort den Spuren von Fallschirmjägern nach, die im Junikrieg 1967 gekämpft haben – und danach sehr unterschiedliche Wege gegangen sind. Einer wurde linksradikal und landete als Landesverräter im Gefängnis. Ein anderer wurde zu einem führenden Protagonisten der rechten Siedlerbewegung. Die meisten bewegen sich irgendwo in der Mitte. Klein Halevi gelingt es, durch dieses Buch ein Porträt einer ganzen Generation von Israelis zu zeichnen – und gleichzeitig macht er klar, wie der Sieg in diesem Krieg, der seinerzeit wie ein Wunder wirkte, das Land mittlerweile beinahe zerreißt.

Zehn Briefe

Und nun ist ein schmaler, beinahe lyrischer Essayband erschienen: „Letters to My Palestinian Neighbor“. Zehn Briefe aus French Hill in Ostjerusalem, wo Yossi Klein Halevi mit seiner Familie wohnt, die wie Papierflieger über die Betonsperren weg zu einem Unbekannten dort drüben auf der anderen Seite segeln. Dieses Buch wird Ideologen auf allen Seiten gehörig verwirren. Die Anhänger der Muselgrusel-Fraktion, weil Yossi Klein Halevi, der fromme Jude, voller Liebe und Respekt vom Islam spricht. Die falschen Israelfeinde auf der Rechten, weil Yossi Klein Halevi ohne Scheu von der „Besatzung“ spricht (und sie ein Unrecht nennt); weil er das Wort „Mauer“ in den Mund nimmt; weil er unbelehrbar weiter auf Frieden hofft. Die Feinde Israels auf der Linken werden sich über dieses Buch ärgern, weil Klein Halevi darauf beharrt, dass Hebron eine jüdische Stadt ist; weil er zwar aus Vernunft und mit zusammengebissenen Zähnen dafür eintritt, das Land zwischen Israelis und Palästinensern aufzuteilen – aber offen sagt, dass er dies nicht anders empfinden kann denn als einen Akt der Selbstverstümmelung. (Die Palästinenser, sagt Yossi Klein Halevi, sind ein besetztes Volk. Aber Judäa und Samaria sind keine besetzten Länder. Und wer das für eine akademische Unterscheidung hält, hat nichts begriffen.)

Klein Halevis Kernargument ist: Wir Juden sind ein Volk – ein Ethnos, das freilich bunt aus vielen Ethnien zusammengewürfelt ist –, keine Glaubensgemeinschaft. Und wir sind als Volk auf das Engste mit diesem Land verwachsen. Ihr Palästinenser habt eine Leidensgeschichte: Wir haben euch Unrecht getan, und wir müssen euch zuhören. Aber wenn ihr uns Juden als Eindringlinge betrachtet, die nichts mit diesem Land zu tun haben, dann beraubt ihr uns unserer Selbstdefinition.

Damit halte ich einfach den Mund und zitiere ein paar Absätze aus Yossis Buch. Es ist meine Übersetzung, alle Fehler und Ungereimtheiten gehören mir. Also:

„Ich lernte das“ (äthiopisch-jüdische) „Fest Sigd durch meinen Freund Schimon kennen, der ungefähr um dieselbe Zeit in Israel einwanderte wie ich, in den Achtzigerjahren. Obwohl er aus der ärmsten Diasporagemeinde und ich aus der privilegiertesten kam, waren wir beide in derselben Liebe zu Zion aufgewachsen.

Für Schimon begann die Sehnsucht nach einem Leben in Israel mit dem Sigd. Er teilte mir stolz mit, dass er im Alter von acht Jahren zu fasten begann.

Das Haus Israel

Die äthiopischen Juden, die seit Jahrhunderten von den anderen jüdischen Gemeinden abgeschnitten gewesen waren, glaubten, sie seien die letzten Juden in der Welt. Ihre christlichen Nachbarn fürchteten sie als schwarze Magier – so wie die Christen im mittelalterlichen Europa Juden als Teufelsanbeter und Brunnenvergifter gefürchtet hatten – und nannten sie „Falascha“, Fremdlinge. Sie selber nannten sich „Beta Jisrael“, das Haus Israel. Und Jahr um Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert bestiegen sie ihren Berg“ (in der Sigd-Zeremonie), „wo ihr Glaube zwischen Geduld und Sehnsucht versöhnte.

Eines Tages im Jahre 1983 schlossen sich Schimon und seine Familie ihren Nachbarn an und begannen, buchstäblich zu Fuß nach Jerusalem zu gehen. Israelische Rabbiner hatten kurz davor beschlossen, dass die Beta Yisrael Juden waren – ein Status, der wegen der jahrtausendlangen Trennung dieser Gemeinde vom Rest des jüdischen Volkes strittig war – und die israelische Regierung unter Menachem Begin hatte sie wissen lassen, dass sie zuhause willkommen seien. Also setzten sich Tausende äthiopische Juden in Bewegung. Wochenlang wanderten sie durch Dschungel und Wüsten; alte Leute starben vor Erschöpfung, Kinder am Hunger. Keine Diasporagemeinde hatte auf ihrem Weg nach Zion proportional mehr Todesfälle zu beklagen als die äthiopischen Juden.

Der erste Halt für Schimon und seine Familie war ein Flüchtlingslager im Sudan. Aus Furcht vor der muslimischen Obrigkeit verbargen Schimon und die anderen Juden ihre religiöse Identität und warteten auf die israelischen Agenten, die sie einsammeln würden. Eines Tages hob ein sudanesischer Soldat, der ahnte, dass Schimon Jude war, seinen Stiefel hoch, der mit einer Stahlspitze versehen war, und zertrümmerte Schimon den Fuß. Seither hinkt er.

Weil es nie zu existieren aufgehört hat

Ich denke an die äthipischen Juden, wann immer ich einen Politiker im Nahen Osten sagen höre, der einzige Grund, warum Israel existiere, sei der Holocaust, dass die Palästinenser den Preis für die Schuld des Westens bezahlt hätten. Viele äthiopische Juden hatten, ehe sie nach Israel kamen, noch nie etwas vom Holocaust gehört. Die Hälfte der israelischen Juden stammt aus der arabischen Welt, meistens aus Teilen, wo die Nazis nie einen Stiefel auf den Boden setzten.

Israel existiert, weil es nie zu existieren aufgehört hat, und sei es nur im Gebet.

Die New York Times hat eine ziemlich dämliche Rezension von Yossi Klein Halevis Buch veröffentlicht, die im Grunde auf folgendes Argument hinausläuft: Halt´s Maul.

Die Wahrheit ist aber, dass Klein Halevi, nachdem er seinen Standpunkt gründlich dargelegt hat, wirklich an arabischen Gegenargumenten interessiert ist. Deswegen hat er unentgeltlich eine arabische Übersetzung seines Buches ins Netz gestellt: Er will mit seinen Nachbarn ins Gespräch kommen. Wir dürfen in der Zwischenzeit sein großes kleines Buch lesen.

Und vielleicht sieht dies ja ein deutscher Verleger, der es in Übersetzung herausbringt.