Berlins neues Kunstzentrum wird eine Scheune. Bürgerhäuser wollen aussehen wie vor 100 Jahren. Architektur einer verunsicherten Gegenwart

Das Positive zu Beginn: In Berlin entsteht momentan eine Architektur, die der Identität der Stadt Berlin und indirekt auch unserer Gesellschaft insgesamt den Spiegel vorhält. Das weniger Euphorisierende aber gleich hinterher geschickt: Die Aussagen, die da (unfreiwillig) getroffen werden, sind alles andere als schmeichelhaft.

Da ist zum einen die Wettbewerbsentscheidung zum neuen Museum der Moderne. Das Gewinnerbüro Herzog & de Meuron gehört unbestreitbar zu den wichtigsten architektonischen Impulsgebern unserer Tage. Ihr Vorschlag, der zu allerlei Augenreiben führte (ebenso wie vermutlich zu hysterisiertem Lachen in der Jury ob der, in der Tat, „mutigen“ Entscheidung): eine überdimensionierte Scheune. Architekturkenner verwiesen zwar sofort darauf, dass das natürlich „viel zu einfach“ gedacht sei. Ist es aber nicht. Der Bau rekurriert bewusst auf die Grundformen von Scheunen. Die Architekten selber haben den Begriff der Scheune in ihren Wettbewerbstexten bemüht. Hier wird demonstrativ das Baulich-Archaische gefeiert.

Berlins Kunstmitte – ein Stück Bauernarchitektur? Was sagt das über die Stadt aus, über ihre Wünsche nach Weltgeltung, ihre Rolle als selbsternanntes Globalzentrum zeitgenössischer Kunst? Nun ja, es relativiert auf jeden Fall all diese Selbstzuschreibungen. Die Architekten geben einen bitterbösen Kommentar ab zum ständigen Ringen Berlins um ein metropolitanes Selbstverständnis. Was nicht dumm sein muss. Nur – irgendwie erwartet man von Berlin und seiner Architektur immer noch mehr als das. Zumal an diesem Ort, der mit den Bauten Scharouns und der Neuen Nationalgalerie architektonisch seit jeher hohe Erwartungen schürt. An denen scheitern Architekten und Stadtplaner in schöner Regelmäßigkeit. Dennoch: Hätte nicht gerade dieser Bau anstelle ironischer Diskurskommentare einen realen gebauten Impuls für die Metropolenarchitektur des 21. Jahrhunderts setzen sollen? Ich finde ja. Die HdM-Scheune tut das, fürchte ich, nicht.

Wobei – immerhin ist sie in ihrer sperrigen, aber eben auch expliziten Moderne-Verweigerung ein, wenn auch auf kauzige Weise, zeitgemäßer Bau. Dieser weiß immerhin, dass es so etwas wie die Moderne mal gegeben hat. Von dem zweiten Beispiel, das ich mir anschauen möchte, kann man das nicht sagen. Obwohl das Wohngebäude „Eisenzahn 1“ aus der Feder eines jungen Architekten stammt. Dennoch – es ist ein demonstrativ vormodernes, insistierend klassizistisches Haus. Anders als die Kunstscheune, negiert dieses die Moderne einfach. Logischerweise erkert es da viel. In der Lyrik der Projektentwickler liest sich das so: „Eine Hommage an die großbürgerliche Wohnkultur entlang des Kurfürstendamms, vereint mit dem Charme Pariser Boulevards: Der noble Bau mit Erkern und bodentiefen Fenstern umfasst elf weitläufige Domizile mit klassischen Raumfolgen sowie das Penthouse-Geschoss.“ Und so weiter. Die entscheidende Formulierung: „Charme Pariser Boulevards“. Diese Architektur möchte „so sein wie“. Mit einer Architektur wie dieser biedert sich Berlin an, sucht nach einer Identität, die nicht die eigene sein kann.

Klar ist aber, dass diese Architektur den Geschmack der breiten Bevölkerung treffen dürfte. Die hat, als Architekturjournalist gehört diese Erkenntnis zum Dauerrauschen im eigenen Job, eine Tendenz zum Konservatismus in Sachen Architektur. Begriffe des „Schönen“, gerne garniert mit einem vermeintlich simple Wahrheiten anrufenden „einfach nur“, gehören zum guten Ton. Ebenso wie ein Abgesang auf die böse, weil „kalte“, „unmenschliche“ Moderne und reichlich Gezeter über die „abgehobenen Architekten“. Gut ist, was an ein irgendwie gemütlicher sich anfühlendes „Früher“ erinnert. Denn da war ja alles besser. Kulturjournalisten machen sie diese Rhetorik momentan gern zu eigen. „Einfach nur (sic!) ein gutes Haus“, heißt es beispielsweise in der Zeitung „Die Welt“. Endlich mal ein Bau also, der die Menschen mit all den komplizierten Versuchen verschont, zeitgemäße Antworten auf die Probleme der Gegenwart zu finden. Endlich mal ein Stück gebaute Lieblichkeit. Von denen wimmelt es de facto übrigens in Berlins neu-alter Mitte. Passt ja auch in die Zeit, in der politisch lauter Simplifizierer den Diskurs bestimmen. In den sozialen Medien, in denen sich ja auch gerade die Forderer neuer Einfachheiten breit machen, dürfte das alles für Verzückung sorgen.