Brauchen wir Demagogen des Guten?
Die Rede zum Start der Salonkolumnisten am 5. Dezember in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin
Als David Harnasch und ich diese Veranstaltung terminiert haben, da war die Welt zwar schon in Unordnung, aber Donald Trump noch nicht gewählt. Das war also, als die Unordnung noch eine Reststruktur aufwies. Hoffen wir mal, dass das gestrige Wahlergebnis in Österreich ein erster Schritt auf einem Weg bergauf ist. Und versuchen wir uns einzureden, dass Italien nicht zwei Schritte zurück bedeutet.
Denn seit dem 9. November müssen wir sagen: Diese reststrukturierte Welt gibt es nicht mehr. Am 9. November wurde klar, dass eine bestehende Ordnung bis auf weiteres hinweggefegt wurde. Was jetzt kommt, kann man bereits erahnen. Dieses Experiment, das Ungarns Regierungschef Viktor Orbán „illiberale Demokratie“ nennt und das mit „Demokratur“ besser beschrieben ist. Das breitet sich nun nicht nur über Europa aus, sondern schimmert auch am westlichen Horizont. Es drohen raue Zeiten für Minderheiten, für Individualisten, für Leute, denen Nationalstolz suspekt ist oder für Leute, die sich keiner Gruppe zugehörig fühlen wollen.
Es ist, als habe jemand dieses Dach über uns geöffnet und für einen Moment einen gigantischen Magneten aktiviert. Mit gravierenden Folgen. Wir sind dabei alle durch die Luft gewirbelt worden. Und mir geht es jetzt so, dass ich mich nach der Landung erstmal orientieren muss. Neben wem bin ich gelandet? Und wo ist jetzt eigentlich mein magnetischer Nordpol?
Ich gebe Ihnen vier Beispiele aus einer mittlerweile sehr langen Reihe:
1: Pegida rennt jetzt auch vereinzelt mit Fahnen der Vereinigten Staaten durch Dresden.
2: Alt.Right, was nichts anderes als klassisch rassistisch bedeutet, wird jetzt von Teilen der israelsolidarischen Szene als Speerspitze im Kampf gegen den Antisemitismus betrachtet. Hinter diesen Verrenkungen steckt ein einfaches und dabei gefährliches Prinzip. Das geht so: Der VERMEINTLICHE Feind ( in diesem Fall Israel) meines Feindes (in diesem Fall „die Muslime“) ist mein Freund.
3: Sahra Wagenknecht und Alexander Gauland beziehen deckungsgleiche Positionen. Das gilt auch für die „Junge Welt“ und das „Compact-Magazin“.
4: Leute, die bis vor wenigen Monaten die Straßenseite wechselten, weil sie mich für einen reaktionären Spinner halten, flüstern mir jetzt ins Ohr, CDU zu wählen. Auf Davids Facebook-Seite bekannte sich ein jahrzehntelang kampferprobter Antifa-Aktivist, Aufkleber zu entfernen, auf denen „Merkel muss weg!“ steht.
Diese US-Wahlen, meine Damen und Herren, sind ein Fanal. Nur sind sie leider kein Fanal der Hoffnung. Im Gegenteil. Für mich und für viele von Ihnen hier im Raum sind die USA das Rückgrat des Westens gewesen. Auch wenn alles schief ging, es gab immer Amerika. Die Reststruktur.
Jetzt nicht mehr. Wer an den Westen glaubte, dem geht es gerade so wie einem Katholiken, dem aus irgendeinem Grunde Zweifel an der Auferstehung kommen. Gideon Böss wird als Fachmann für so ziemlich jede Religion nun einwenden, dass einem Katholiken niemals Zweifel an der Auferstehung kämen.
Das beweist: Der Atlantizismus als Konfession des Westens ist weniger robust als der Katholizismus.
Wir befinden uns in einer schweren Glaubenskrise:
In den USA hat ein Kandidat die Präsidentschaftswahlen gewonnen, der die wichtigsten Prinzipien Amerikas und des Westens gezielt verletzt hat. Ein Kandidat, der gegen Minderheiten hetzt, der die offene Lüge als Instrument der politischen Auseinandersetzung wählt, der ankündigt, Wahlergebnisse nicht zu akzeptieren – und das jetzt sogar nach seinem Sieg tut – und der im Wahlkampf ankündigt, seine Konkurrentin in den Knast werfen zu lassen.
Mittlerweile ist der Kandidat President Elect, der uns mit jedem Tweet etwas mehr Einblick in seine Psyche gestattet. Und von dem wir Stück für Stück erfahren, dass er in einer Welt zuhause ist, die wir seit ein paar Wochen „postfaktisch“ nennen. Eine Welt, die Peter Pomerantsev in seinem großartigen Buch „Nothing is True, Everything is Possible“ beschrieben hat.
In dieser Welt sind Fakten und Tatsachen zu einer Frage des Gefühls geworden. Wer das bisher noch nicht zur Kenntnis genommen hat und diese Welt noch nicht gesehen hat, der schaue einfach mal ein paar Stunden am Stück „Russia Today“, das zu den meist verbreiteten fremdsprachigen „Nachrichten“-Anbietern der Welt gehört.
Meine Damen und Herren, wir haben die Salonkolumnisten gegründet, weil uns mulmig wurde. Weil wir als im weitesten Sinne Liberale bei aller berechtigten Kritik an den bestehenden Verhältnissen in Politik, Medien und Kultur nicht mit Leuten in einer Badewanne sitzen wollen, die mit Wendungen und Begriffen wie „linksgrün-versifft“, „Umvolkung“, „Staatsratsvorsitzende Merkel“ oder Abkürzungen wie EUdSSR um sich werfen.
Wir möchten die Kritik an informellen Denkbarrieren, an der Diskussionskultur, an den etablierten Parteien, am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und NGOs nicht denen überlassen, die in Wahrheit eben keine Kritik üben wollen, sondern an fundamentalen Umwälzungen arbeiten.
Diejenigen, die heute „Das System“ verächtlich machen, meinen damit schlussendlich diese parlamentarische Demokratie mit ihren meist mühsamen Mechanismen, die aber doch die beste Welt hervorgebracht hat, die es jemals gab. Mehr oder weniger unverhohlen propagieren sie ein autoritäres System. Es müsse jetzt mal Schluss sein, mit diesem „Gender-Wahn“, dieser ewigen Rücksicht auf irgendwelche Minderheiten. Wie gefährlich das ist, muss ich an dieser Stelle niemandem erläutern.
Warum haben die Demagogen gerade so leichtes Spiel? Vielleicht ja, weil politische Redekunst schon lange keine große Rolle mehr spielt. Steht die große Koalition mit ihrer überwältigenden Mehrheit nicht auch für das Ende des politischen Streits? Können Sie sich an Redeschlachten innerhalb des „Systems“ erinnern? Leidenschaft ist uns ja schon beinahe suspekt geworden.
Vielleicht war es eine Phase lang ganz richtig, möglichst sachlich verwaltet zu werden, ohne Pathos, große Gefühle und ausgeschmückte Reden. Ganz Merkel eben.
Doch jetzt – und vielleicht ist das der Lauf der Dinge – befinden wir uns in einer anderen Phase. Einer, die nach einem Hauch von „never surrender“-Rhetorik verlangt.
Vielleicht brauchen wir jetzt gegen die Demagogen der postmodernen Finsternis unsere eigenen Demagogen. Demagogen des Guten.
Dazu können wir vielleicht einen bescheidenen Beitrag leisten.