FDP-Chef Christian Lindner ist ein exzellenter Polit-Techniker. Aber leider unpolitisch. So lenkt er seine Partei in den Abgrund, aus dem er sie geführt hat.

Die globale Pandemie ist, ohne die Situation zu romantisieren, doch eine Denkgelegenheit. Also kann man beispielsweise mal über Christian Lindner nachdenken.

Es ist ein anhaltendes Rätsel, wie ein Politiker gleichzeitig so smart und so abgrundtief dumm sein kann wie er. Lindner hat die Schläue eines sehr teuren Staubsaugerroboters, der die meiste Zeit sehr verlässlich seine Bahnen zieht, gut seine Arbeit macht, leuchtet, schön aussieht, exzellent verarbeitet ist aber manchmal, bei merkwürdigem Ausfall der Sensorik, kuhblöd gegen die Wand fährt, immer wieder gegen die selbe Stelle, dotz, dotz, dotz.

Das Drama in der Rezeption seiner Arbeit ist, dass man ihn beinah nicht dumm finden kann, ohne dass ihm dieses Dummfinden einen Selbstgerechtigkeitsschub verleiht. Er weicht bei Kritik auf die Metaebene aus, denn er ist nicht nur sehr dumm, er ist gleichzeitig sehr smart. Er kritisiert also, als Reaktion auf die Kritik, gerne die Kritikkultur im Internet, was ein durchschaubarer Ausweichschritt ist, aber Lindner trägt es so zahnweiß-blendend vor, dass man ihm diese Versicherung abkauft. Wie ein Staubsaugerroboter vermisst er verlässlich den Abstand zu Hindernissen, auch zu neu hinzugekommenen. Und es gelingt ihm, dank exzellenter Technik, im letzten Moment auszuweichen, fast immer.

Als sich in Thüringen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählen ließ, mit den Stimmen der Höcke-AfD, ergab Lindner erste Raumvermessung, dass er da durchkommt samt Pakt mit den Höcke-Faschisten. Als Hindernisse auftauchten, Demonstrationen, Proteste, steuerte er schnell um. Der Akku scheint meist geladen, die sanfte Bräune aus Timmendorf.

Dumm ist er deshalb, weil er im Kern, man kann fast zu keinem anderen Ergebnis kommen, unpolitisch ist. Wie liberal ist es denn, Wladimir Putin das Wort zu reden und dafür zu plädieren, dass man die Krim-Sache doch mal langsam beiseite lässt? Wie klug ist es, gegen eine Jugendbewegung wie Fridays for Future zu argumentieren mit dem bräsigen Stromberg-Argument, man solle Klimaschutz doch besser mal den Profis zu überlassen?

Feindbild und Enttäuschung

Wie verantwortlich ist es, öffentlich zu fordern, die Kontaktbeschränkungen wegen Corona dürften keinen Tag länger dauern als medizinisch notwendig? Als würde irgendjemand wollen, dass der Isolations-Spaß unendlich weitergeht. Wie weit entfernt ist Lindner von der Raunern der AfD, wenn er auf einem glitzernden Sharepic für Mundschutz aber gegen einen Maulkorb plädiert?

Niemand, Christian, legt dir einen Maulkorb um. Wenn es auch in deiner Partei inzwischen eine erhebliche und wachsende Anzahl an Menschen gibt, die sich das wünschen. Denn Lindner, dem Freund von Leistung und Aufstieg, fehlt vor allem eins: der Erfolg.

Und das ist doch der eigentlich spannende Punkt. Dass Lindner für viele Linke ein traumhaft klares Feindbild ist: geschenkt, langweilig. Dass Lindner für viele Liberale eine Enttäuschung ist, die von Tag zu Tag größer wird, das ist für Lindner die eigentliche Bedrohung.

Eine Bedrohung, die er durch Diskurskritik nicht abwehren kann. Seine Saugkraft hat nachgelassen. Er zieht noch seine Bahnen, vermisst, steuert um, weicht aus. Aber die Leistung lässt rapide nach. In den Ecken bleiben Krümmel liegen, er lässt Staub aus, die Misere ist im Gegenlicht unübersehbar.

Er spricht nicht mehr gerne über die Jamaika-Verhandlungen und wirft Kritikern vor, sie würden in der Vergangenheit verharren, es sei doch langsam mal gut. Gesund ist derart offensiver Unwille, über die Vergangenheit zu reden, selten. Jamaika war das größte Verhandlungsversagen in der bundesrepublikanischen Geschichte von Koalitions- und Sondierungsverhandlungen.

Lindner hat nahezu alles falsch gemacht, was er falsch machen konnte. Wäre er bei der Begründung seiner Flucht wenigstens bei einer Version geblieben. Am Ende war es ihm mal zu Schwarz-Grün, mal zu wenig Soliabbau, mal zu viel Harmonie von Seehofer und Grünen, mal zu viel Trittin, mal zu wenig FDP. Dass er seine fehlende Durchsetzungskraft letztendlich noch mit schnittigen Polit-Aphorismen ummantelte („Besser nicht regieren, als falsch regieren“) war ihm hoffentlich selbst peinlich. Einigen Parteifreunden, die daneben standen, war es das, dem Vernehmen nach.

Die FDP schleicht in unsicherem Abstand zur Fünfprozenthürde einer Wahl entgegen, die möglicherweise bestimmt sein wird von einem Comeback der GroKo-Parteien, die sich gerade als überraschend krisentalentiert beweisen. Lindner dreht seine Runden, ohne wirklich voran zu kommen. Es ist eine Frage der Zeit, bis in seiner Partei die Anzahl derjenigen groß genug ist, die nicht mehr akzeptieren wollen, wie nachlässig Lindner arbeitet, wie viel er liegen lässt.

Jasper Jarolim ist Autor, Poet, politischer Beobachter und Freund liberaler Ideen.