Maxim Biller hat mit dem Essay „Sind Sie auch ein Linksrechtsdeutscher?“ ordentlich hingelangt. Einer der kritisierten Autoren antwortet.

Der begnadete Polemiker Maxim Biller hat in der „Welt“ einen durchaus lesenswerten Essay über „Linksrechtsdeutsche“ à la Frank Schirrmacher veröffentlicht. Die Salonkolumnisten veröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung des Autors eine ursprünglich auf Facebook erschienene Replik von Tobias Rapp, dessen „Spiegel“-Text über Götz Kubitschek von Maxim Biller in dem Essay angegriffen wurde:

Der Schriftsteller Maxim Biller hat gestern eine große Polemik gegen die so genannten Linksrechtsdeutschen veröffentlicht, und ich komme in diesem Text vor. Ich habe mir länger überlegt, ob ich etwas dazu schreiben soll, bei Polemiken macht der Ton ja einen großen Teil des Arguments aus, darauf zu antworten ist immer schwierig. Aber ich sehe, dass viele Menschen in meiner Timeline diesen Text geteilt haben, ausnahmslos zustimmend, deshalb möchte ich ein paar Dinge klarstellen. Biller unterstellt mir, Sympathien für die radikale Rechte zu haben und das kann ich so nicht stehen lassen.

Anders als Frank Schirrmacher und Dirk Kurbjuweit, die auch vorkommen, werde ich zwar nicht namentlich genannt, dafür aber zitiert:

„Da registriert dann einer der weitsichtigen „Spiegel“-Redakteure bei Kubitschek wohlwollend eine „Kapitalismuskritik, die bei Linken anschlussfähig sein dürfte“ und dessen quasi grüne „Zweifel an der Moderne und an den Segnungen des Fortschritts“. Da erregt sich ein anderer über die „Schützengräben des Meinungskampfes“, die sich durch das erodierende Deutschland ziehen, und fordert – ein Volk, eine Republik, eine Idee! –, dass „die Deutschen über die politischen Grenzlinien hinweg miteinander“ sprechen sollten, und setzt dabei in perfekter Alain-de-Benoist-Manier Leute wie Gauland, Kubitschek, Diana Kinnert und Boris Palmer gleich.

Und da gibt wiederum der erste den neuen Nazis den sehnsüchtigen Ratschlag, wie sie es, so wie einmal die Grünen, schaffen könnten, die Mitte zu erobern: „Eine rechte Gesellschaftskritik, die bei einer Fortschrittsmüdigkeit ansetzt, die überall in der westlichen Welt herrscht, und diese mit dem Glauben an eine starke Identität verbindet, könnte für viele gesellschaftliche Lager anschlussfähig werden.“ Denn: „Die Demokratie in diesem Land hat schon immer eine große Integrationskraft gehabt.“ Komisch, dass hier das Wort Demokratie genauso klingt wie das Wort Diktatur. Und das Wort Identität wie das Schnalzen einer Reiter-SS-Gerte.“

Das erste Zitat kommt aus meinem Text über den rechten Verleger Götz Kubitschek, genau wie die Zitate aus dem zweiten Absatz. Zum ersten Zitat: Ich soll also „wohlwollend“ bemerkt haben, dass Kubitscheks „Kapitalismuskritik (…) bei Linken anschlussfähig sein dürfte“ weil seine „Zweifel an der Moderne und an den Segnungen des Fortschritts“ grün seien.

Was habe ich geschrieben? Es ist ein langer Text, also zitiere ich den ganzen Abschnitt:

„Was denkt dieser Mann? In Kubitscheks Welt gibt es Völker. Und es gibt Staaten. Das Volk ist für ihn eine Schicksalsgemeinschaft. Historisch geprägt, durch gemeinsame Abstammung verbunden, durch Angriffe von außen zusammengeschweißt. Das Volk könne sich verändern, aber das dauere. Neulinge integrierten sich nur über Generationen. Der Staat sei der Rahmen, der dieses Volk ausrichte, im Guten wie im Schlechten. Im Idealfall, wie etwa im Fall Preußen, könne der Staat sein Volk auch hervorbringen. Und zwar, indem der Herrscher dem Volk seine Idee eines Staates aufzwinge und diese Idee dann so fruchtbar sei, dass jeder Mensch in diesem Staat einen Platz finden könne. Die einen oben, die anderen unten. Und dieses System erzeuge dann im Kopf seiner Bürger, oder Untertanen, den Wunsch zu dienen.

Man kann das völkisches Denken nennen. Die Rechte nennt es Ethnopluralismus, was meint: Die Völker sollten nebeneinander existieren, aber sich nicht mischen. Diese Idee stehe, so sieht es die radikale Rechte, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in erbittertem Kampf mit den Kräften des Kapitalismus und des Liberalismus, einem Wettstreit, der schlussendlich verloren wurde. Das Ergebnis sei die globalisierte Welt von heute, wo der Kapitalismus alles sei und die Völker nichts. Wo die Menschen nur noch Manövriermasse seien, die den Kapitalströmen folgten. In einem System, das alle kulturellen Unterschiede einebne. Und die Grenzen öffne, damit Menschen aus aller Welt nach Europa strömten. Die Rechte hasst das, was sie die „Multikulti-Ideologie“ nennt. Der Glaube, die Buntheit sei eine Bereicherung, könne in Wirklichkeit nur ein Herrschaftsmittel sein, um diese gleichmacherische Welt zu schützen.

Im Weltbild der radikalen Rechten war die Öffnung der Grenzen kein humanitärer Akt und auch keine kurzfristige Reaktion, um die Stabilität des Balkans zu garantieren. Für sie war es der Höhepunkt eines Prozesses, der seit Jahrzehnten laufe: des „Austauschs“ und der „Entwurzelung“ der Völker Europas. Und in diesem großen Kampf werde das Abendland im Westen von den USA bedroht, einer kulturimperialistischen Macht, die der ganzen Welt ihre Sicht der Dinge aufzwingen wolle. Und aus dem Süden vom Islam, einer Religion, die Europa erobern und unter Kontrolle bringen möchte. Und von innen durch die Dekadenz: Die Menschen wüssten nichts von den Kräften, die sie bedrohten, ließen es sich gut gehen und hätten so ihre Widerstandskraft verloren.

Das ist die Welt, in der die radikale Rechte lebt. „Eigentlich“, sagt Kubitschek, „müsste die Regierung für den Ernstfall vorsorgen. Macht sie aber nicht. Es reicht, dass wir Konsumenten sind.“ Und wie würde die Ausrichtung auf den Ernstfall aussehen? „Dass es eine gemeinsame Herkunft gibt“, sagt Kubitschek, „aus der sich eine gemeinsame Geschichte und Erzählung ergibt. Und wenn der Gegner auftritt, heißt es: wir oder die anderen.“ Was wäre denn der Ernstfall?

„Wenn das Recht nicht mehr gilt. Wenn sich etwa die Mehrheit von einer Minderheit die Scharia als Rechtsform aufdrücken lässt.“

Kubitschek spricht breites Schwäbisch, er ist in Ravensburg aufgewachsen. Kositza kommt aus Offenbach. Kubitschek ist sichtbar autoritär, aber gleichzeitig in seinem Denken unsystematisch, eigentlich neugierig. Was auch für seine Ehefrau gilt: Kositza hat ein Buch gegen den sogenannten Genderwahn geschrieben, liest aber „Emma“.

Die Rede von der Freund-Feind-Trennung ist klassisches rechtes Denken, der Staatstheoretiker Carl Schmitt hat sie in den Zwanzigerjahren als Grundfigur des Politischen überhaupt entwickelt. Schmitt war einer der Vordenker der Konservativen Revolution, auf die sich rechte Intellektuelle überall in Europa gern beziehen.

Aber sonst? An diesem Abend auf dem Rittergut wird weder das „Dritte Reich“ verherrlicht noch der Holocaust angezweifelt oder dem offenem Rassismus gehuldigt. Stattdessen: eine Kapitalismuskritik, die bei Linken anschlussfähig sein dürfte. Ein Zweifel an der Moderne und an den Segnungen des Fortschritts, die nicht weit von dem entfernt ist, woran einmal die Fundis bei den Grünen glaubten. Dazu Islamophobie. Grundiert durch den Glauben an das Volk.

Referenzen sind der Schriftsteller Ernst Jünger, und zwar vor allem der Jünger aus den Zwanzigerjahren, der sich als Krieger sah und in Büchern wie „In Stahlgewittern“ das heroische Erlebnis des Krieges feierte. Und eben Schmitt, der später den Nazis und ihren Rassengesetzen huldigte, aber in der Weimarer Republik einer der Vordenker der Konservativen Revolution war. Antidemokratisch, antiliberal und elitär.“

Das habe ich geschrieben. Der Text ist zwei Jahre alt, und ging damals von einer Frage aus: Was denken radikale Rechte? Es war eine Frage, die sich damals stellte, als die radikale Rechte so deutlich auf dem Vormarsch war. Und meine Antwort ist journalistisch. Ich versuche zu beschreiben, was einer der zentralen Protagonisten dieser Szene denkt.

Wohlwollend ist an diesem Text nichts. Wirklich nichts. Ich stelle fest, dass es zwischen einer bestimmten rechten Kapitalismuskritik und einer linken Kapitalismuskritik Ähnlichkeiten gibt. Mehr nicht. Dass ich Sympathie für Kubitscheks Projekt hätte, ist reine Unterstellung, die durch nichts belegt wird.

Nun zum zweiten Zitat. In dem Biller behauptet, ich würde „sehnsüchtig“ den Rechten Tipps geben, wie sie so erfolgreich sein könnten wie die Grünen. In einem Ton, der durchscheinen lasse, dass Demokratie für mich das gleiche sei wie Diktatur – und der klinge wie das „Schnalzen der SS-Gerte“.

Das hier ist der Schluss meines Textes:

„Der Aufstieg der AfD hat einige Parallelen zum Aufstieg der Grünen, der vor allem darauf beruhte, große gesellschaftliche Themen zu einer Geschichte zusammenführen zu können: Umweltschutz, Frieden, den Kampf gegen die Atomkraft, die Frauenbewegung, Kapitalismuskritik. Themen, die vorher nicht notwendigerweise zusammengehörten, die aber zusammenpassten, weil die Gruppen und Bewegungen, die sie trugen, sie in dieser Partei zu grünen Themen machten. Mit den rot-grünen Koalitionen in Bund und Ländern fanden viele dieser Themen dann ihren Weg in die Regierungspolitik.

Die AfD hat die Kritik am Euro, an der Flüchtlingspolitik, die Abneigung gegen die sogenannte Political Correctness und das Gefühl vieler Deutscher, ihr Land zu verlieren. Auch Themen, die nicht zwangsläufig zusammengehören. Zusammengepackt können sie trotzdem noch weit tragen.

Aber der Aufstieg der Grünen war nicht nur eine große Erfolgsgeschichte, es war auch ein kurviger Weg. Ein deutscher Bildungsroman.

Die Milieus, die diese neue Partei trugen, mussten in die Bundesrepublik einwandern. Die linke Utopie, einen neuen Menschen schaffen zu können, blieb dabei auf der Strecke. Das war der Preis, der gezahlt wurde. Viele Aktivisten sind daran zerbrochen.

Doch dies ist der Weg, den die Geschichte der Bundesrepublik bislang gegangen ist und der immer in die Mitte geführt hat.

Jedes Milieu ist ihn gegangen, und das ist wohl auch einer der Gründe für die Stabilität dieses Landes. Die alten Nazis. Die Vertriebenen. Die 68er und die K- Gruppen, die aus der Studentenbewegung hervorgingen. Die Funktionseliten der DDR. Die Demokratie in diesem Land hat schon immer eine große Integrationskraft gehabt.

Ob die Neuen Rechten diesen Weg ebenfalls gehen werden, wird wohl davon abhängen, wie selbstbewusst die Mehrheitsgesellschaft ist – und was die Rechte bereit sein wird aufzugeben. Wer völkisch denkt, dürfte es in einer Einwanderungsgesellschaft schwer haben. Eine rechte Gesellschaftskritik, die bei einer Fortschrittsmüdigkeit ansetzt, die überall in der westlichen Welt herrscht, und diese mit dem Glauben an eine starke Identität verbindet, könnte dagegen für viele gesellschaftliche Lager anschlussfähig werden.

Es wäre aber naiv zu glauben, dass nur die etwas aufgeben müssen, die sich auf den Weg in die Institutionen machen. Die bundesrepublikanische Demokratie hatte schon immer eine gewisse Geschmeidigkeit: Wer zu ihr will, dem kommt sie entgegen.

Man kann sich die Rechte wegwünschen. Aber das ist magisches Denken. Sie ist da, sie wird bleiben. Man wird sie nicht einfach abstellen können.“

Niemand muss mit meiner Schlussfolgerung übereinstimmen. Ich habe Kritik für diesen Text bekommen und ich bin dem Streit auch nie ausgewichen. Aber mir zu unterstellen, ich würde den Rechten Tipps geben, weil ich eigentlich ja auch eine SS-Gerte im Schrank hätte, ist absurd. Und ich frage mich, wie eine Zeitung die Die Welt, die ich sehr gerne lese, so einen Unfug ungeprüft drucken kann.