Wenn in Terrorlagen wenig Fakten und viele Gerüchte unterwegs sind, werden gerne Journalisten attackiert. Dabei lernt die Branche gerade, mit solchen Ereignissen immer besser umzugehen.

Wohin mit Fassungslosigkeit und Wut, wenn es zu einem Terroranschlag kommt? Am besten zum Überbringer der schlechten Nachrichten. Da auf Twitter keiner so richtig greifbar ist, nimmt man halt Ingo Zamperoni und Christian Sievers in ihren Nachrichtenstudios. Terrorlagen und Amokläufe werden stets zu Echtzeittribunalen der vulgären Medienkritik. Weil wenig bis nichts bekannt ist, weil viele Gerüchte und kaum Fakten zu haben sind und weil „Tagesthemen“ moderieren wie Nationalmannschaft trainieren ist: Davon versteht fast jeder etwas.

Dabei hat vieles am Berliner Terrorabend besser geklappt als noch vor einem halben Jahr beim Anschlag in München. So wurden nicht pausenlos Tweets durchgereicht, wirkten die Sender nicht wie Katastrophenverstärker.

Wohlfeil ist die Kritik, dass ARD und ZDF ihre Sondersendungen nicht beenden, wenn es keine Neuigkeiten gibt. An Abenden, an denen sich Amokläufer, Dschihadisten oder anderweitig gestörte Existenzen in Nizza, Brüssel, München oder Berlin aufmachen, um ihren tödlichen Wahnsinn der Welt vorzuführen, gibt es unmittelbar nach dem ersten Tweet vom Anschlagsort eine explosionsartig steigende Nachfrage nach… ja nach was eigentlich? Vermutlich nicht nur nach Informationen. Denn niemand, der gerade im Netz einen frischen Social-Media-Eintrag über einen Terroranschlag gesehen hat, wird davon ausgehen, sofort alle offenen Fragen beantwortet zu bekommen. Wer ist der Täter? Was ist sein Motiv? Wer sind die Opfer und wie viele? Offenbar ist mit dem Impuls, den Fernseher einzuschalten auch das Bedürfnis verbunden, nicht allein mit einem unfassbaren Ereignis zu sein.

Nach dem Münchner Anschlag schrieb Sascha Lobo in seiner SpOn-Kolumne einen klugen Satz: „Mit den gegenwärtig vorhandenen Nachrichteninstrumenten redaktioneller wie sozialer Medien lassen sich in Echtzeit begleitete Geschehnisse noch nicht ausreichend gut abbilden, sondern führen zu oft in eine erst vermutungsschwangere, später verschwörungsgebärende Resonanzkatastrophe.“ So war das in München, als Twitter-Gerüchte von mehreren Attentätern in der Stadt von TV-Redakteuren zu Nachrichten geadelt wurden.

Auf betreutes Twittern wurde in Berlin zum Glück weitgehend verzichtet. Offenbar lernen Journalisten mit jedem schrecklichen Ereignis dazu. Das klassische Fernsehen nutzt seine Chance, eine neue Rolle zu finden. Jedes katastrophale Ereignis, jedes gewaltige Verbrechen erreicht Mediennutzer heute live. Jedes dieser Ereignisse erzeugt dabei seinen eigenen Resonanzraum. Je weniger gesicherte Informationen vorliegen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass dieser Raum in einem erträglichen Schwingungsrahmen bleibt. Jedes Gerücht, jedes Raunen, jede Vermutung regt den Raum an. Dabei muss man sich bewusst machen, dass viele Gerüchte auch aus böser Absicht und nicht aus Konfusion oder Schockzuständen heraus entstehen. TV- und Online-Redaktionen beginnen, sich als Manager dieses Resonanzraums zu begreifen und die Resonanzkatastrophe zu verhindern.

Wir werden weiter lernen müssen, welche Dynamiken Tweets und Facebook-Posts in solchen Lagen entwickeln können. Wir wissen mittlerweile, dass ein einzelner Tweet oder Retweet – egal aus welcher Motivation heraus – einen Informationsorkan auslösen kann, der die Interpretation eines Ereignisses in eine völlig falsche Richtung lenkt. Es muss noch viel stärker betont werden, dass den meisten Informationen nicht getraut werden kann. Deshalb war es gestern richtig, unerträglich lang darauf hinzuweisen, dass die Polizei einen Terroranschlag noch nicht bestätigt hatte.

(Teile des Textes sind eine Aktualisierung einer Kolumne, die ich nach München schrieb.)