Alexej Nawalny zahlte für seine Überzeugungen mit dem Leben. Eines Tages wird die russische Gesellschaft sein Erbe antreten und den Tyrannen im Kreml beseitigen und zur Verantwortung ziehen.

Alexej Nawalny war populär, mutig und charismatisch. Für seine Tapferkeit und Entschlossenheit wurde er in Putins Gulag ermordet. Es ist angemessen – und etwas altmodisch in unserem säkularen Zeitalter – ihn einen Märtyrer zu nennen. Irgendwo am Polarkreis in einem einsamen Lager in den Weiten Sibiriens starb Nawalny für seine Überzeugungen einen frühen Tod, wie vor ihm in Jahrhunderten Tausende von Russen. Das allein ist in unserer Zeit außerordentlich und ich frage mich, ob westliche Politiker seine Opferbereitschaft überhaupt nachvollziehen können. Sie ist selten geworden. 

Wie ein Märtyrer ging Nawalny mit brutaler Konsequenz seinen Weg. Nachdem die russischen Behörden ihn 2020 vergifteten, holte Angela Merkel – eine der wenigen Sternstunden ihrer Kanzlerschaft – ihn nach Berlin, wo er sich vom Anschlag durch den FSB erholte. Doch Alexej Nawalny lag nichts an der Sicherheit Deutschlands und er entschied sich gegen die Existenz in der Diaspora. Das kann man mutig nennen oder auch töricht: Die Entscheidung allein verlangt jedoch Respekt. Mit seiner Rückkehr in die Putin-Diktatur nahm er weder Rücksicht auf sich selbst noch auf seine Familie. Er wagte, um seiner Sache willen, den Sprung ins Dunkle, in ein Reich der Schmerzen und der Demütigungen. Gestern hat er für seinen Entschluss mit dem Leben bezahlt. 

Wie andere, die im Widerstand gegen die Diktatur ihr Leben opferten – wir Deutsche denken an den Grafen Stauffenberg – war Nawalny kein Heiliger. Er war Aktivist und Politiker. Als politischer Stratege waren viele seiner Einstellungen kritikwürdig. Nawalny flirtete mit dem russischen Nationalismus, er hatte zur russischen Annexion der Krim nichts Nennenswertes zu sagen, er fokussierte seine Kritik an Putins Regime auf die Korruption, nicht auf Gewalt und Repression. Doch diese Entscheidungen des Politikers verblassen heute vor dem Opfer, das er bereit war zu bringen. 

In den wenigen Jahren seiner politischen Karriere war Alexej Nawalny mehr als ein Dissident. Er wollte Putin nicht nur kritisieren, er wollte ihn herausfordern und sein Kontrahent im Kreml hat das durchaus verstanden. Nawalny akzeptierte Putins Macht nicht, er war darauf aus, Putin zu delegitimieren, seinen Despotismus mit friedlichen Mitteln zu brechen. Seine YouTube Videos waren großes Kino. Er und seine Mitstreiter schufen, auf dem Höhepunkt ihres Widerstandes, eine soziale Bewegung, die nicht nur in Moskau und St. Petersburg, sondern auch tief in den Provinzen Russlands, das Regime herausforderte. Nawalnys Anliegen fanden Resonanz in der russischen Gesellschaft. Das machte ihn so gefährlich. Sein Gegenspieler, Wladimir Putin ist, wie wir seit langem wissen, niemand, der sich einer Herausforderung stellt. Er ist ein Mörder. Seine Probleme löst er – früher oder später – mit Gewalt.

Neben Anna Politkovskaja oder Sergei Magnitski und vielen anderen in Russland ist er ein weiteres Opfer der Mordlust Putins. Zugleich ist sein Tod jedoch ein Teil der Geschichte des genozidalen Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt. An der Front im Donbas ist das Sterben für die Freiheit seit fast zehn Jahren Alltag. Der Tod eines Einzelnen verblasst vor dem kollektiven Martyrium der ukrainischen Nation, die für die Freiheit Europas kämpft. Dennoch gilt weiterhin, dass es in Europa nur Frieden geben kann, wenn Putin stürzt. Die innere Transformation Russlands zu einer persönlichen Diktatur ebnete den Weg zu Krieg und Völkermord. Nawalny hat versucht, sich in den Weg des Despoten zu stellen.

Was bleibt von Alexej Nawalny? Sein Mut, seine Entschlossenheit und sein Charisma. Und der Versuch, eine Alternative zum verbrecherischen Regime Putins zu bieten. Für diese politische Herausforderung zahlte er mit seinem Leben. Der Tyrann duldet schon lange keine Gegenspieler mehr. Und doch wird der Tag kommen, an dem auch diese Gewaltherrschaft ihr Ende findet. Dann ist es Aufgabe der russischen Gesellschaft, Alexej Nawalnys Erbe anzutreten. Bis dahin gilt, was schon die Römer wussten: Sic semper tyrannis!