Vermutlich morgen wird der Mueller-Bericht redigiert und mit Schwärzungen an die Öffentlichkeit kommen. Ein guter Anlass, sich mit der Geschichte des Verrats in Amerika zu befassen.

Was ist Verrat? Wer ist ein Verräter? Die amerikanische Verfassung hält eine sehr klare und enge Definition bereit: Verrat begeht demnach nur, wer Feinden der amerikanischen Republik während eines Krieges „aid and comfort“ gewährt. Das heißt: Man muss Rotröcken, die für Seine Majestät George III. kämpfen, Scones mit Clotted Cream und heißen Tee ans Bett bringen, während die Kampfhandlungen noch andauern. Eine Minute nach Friedensschluss ist man dann schon kein Verräter mehr.

Unsere Freunde von Wikipedia haben dankenswerterweise eine Liste von Leuten zusammengestellt, die wegen Verrats verurteilt wurden. Unter ihnen befinden sich zwei Leute, die an der „Whiskeyrebellion“ gegen die junge amerikanische Republik beteiligt waren (sie wollten keine Steuern zahlen); und John Brown, der gegen die Sklaverei kämpfte; und Mildred Millars, die im Zweiten Weltkrieg für die Nazis Propaganda machte. Insgesamt waren es 14 Leute, eine lächerlich kleine Zahl.

Das Interessante an dieser Liste ist, wer fehlt. Zum Beispiel Jefferson Davis, der Senator aus Kentucky, der einem Phantasiegebilde namens „Konföderierte Staaten von Amerika“ als Präsident diente. Oder General Robert E. Lee, der Rebellentruppen in grauen Phantasieuniformen anführte, die auf Soldaten der Vereinigten Staaten schossen. Oder Alexander Stephens, der als Vizepräsident der „Konföderierten Staaten“ offen aussprach, worauf sich jenes Phantasiegebilde gründete: die Sklaverei.

Nur ein kleiner Bürgerkrieg

Diese Leute hatten lediglich einen Bürgerkrieg angezettelt, der (nach jüngsten Schätzungen) 750.000 Amerikaner das Leben kostete. Mehr war es ja nicht. Und weil sie dabei mit keinem äußeren Feind der Vereinigten Staaten im Bunde standen (wenngleich Großbritannien unter Queen Victoria ein bisschen versuchte, den Südstaatlern zu helfen – nicht das tollste Kapitel in der britischen Geschichte) – also: weil diese Feinde der amerikanischen Republik auf eigene Faust und von innen heraus gegen sie Krieg führten, galten sie selbstverständlich nicht als Verräter.

Alexander Stephens saß nach dem Bürgerkrieg zwar für ganz kurze Zeit im Gefängnis. Doch 1873 saß er schon wieder als Abgeordneter im Kongress. Jene schwarzen Abgeordneten aber, die nach dem Bürgerkrieg gewählt worden waren, verschwanden nach 1877 im großen Vergessen. In jenem Jahr zogen sich nämlich die Unionstruppen aus dem Süden zurück: Die „reconstruction“ (Umerziehung, Neuordnung) der Südstaaten scheiterte, mit Terror wurde die Herrschaft der weißen Männer wiederhergestellt.

Ebenfalls nicht auf der Liste: das Ehepaar Rosenberg. Als „Verrat“ konnte ihre monströse Tat nach amerikanischem Recht nicht gelten; denn sie halfen lediglich, die Herren des Gulag mit Massenvernichtungswaffen auszustatten. Aber befanden die Vereinigten Staaten sich damals etwa in einem Kriegszustand mit der Sowjetunion? Nein. Verurteilt wurden sie also nach dem „Espionage Act“, einem Gesetz, das auf Initiative von Woodrow Wilson 1917 vom Kongress verabschiedet wurde. (Übrigens diente der „Espionage Act“, der später um einen „Seditions Act“ erweitert wurde, seinerzeit hauptsächlich dazu, völlig harmlose Deutsch-Amerikaner abzuurteilen, die den Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg ablehnten, sei es, weil sie Mennoniten, sei es, weil sie säkulare Pazifisten, Anarchisten oder Sozialdemokraten waren.)

Vom Gesetz in keiner Weise betroffen war Walter Duranty, unseligen Andenkens. Duranty war der Muoskaukorrespondent der „New York Times; er wurde in Stalins Moskau wie ein Staatsgast behandelt.

Kein Hunger in der Ukraine

Wahrscheinlich geht auf ihn der Ausdruck „Stalinismus“ zurück: Stalins Herrschaft, erklärte Duranty, habe überhaupt nichts mit Marxismus zu tun, sie sei einfach der zeitgemäße Ausdruck des aufgeklärten Zarismus, also genau das, was die Russen, bei denen es sich um Asiaten handle, bräuchten. Dafür bekam er dann den Pulitzerpreis. 1932 und 1932 verriet Duranty der amerikanischen Öffentlichkeit, dass in der Ukraine kein Mensch verhungere. Wirklich, kein einziger. 1938 verteidigte er die Moskauer Schauprozesse.

Mittlerweile wissen wir, dass es nicht die pure Doofheit war, die ihn veranlasste, seine Propaganda abzusondern. Duranty wusste es besser: Privat äußerte er, dass in der Ukraine wahrscheinlich zehn Millionen Menschen verhungert seien. Wenn er log, so deshalb, weil er dem sowjetischen Regime helfen wollte.

Natürlich kann man Walter Duranty (der in Moskau, wie gesagt, mit Kaviar und Krimsekt hofiert wurde) als Einflussagenten der Sowjetunion bezeichnen. Aber strafrechtlich relevant ist das nicht. Seine Lügen waren durch den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung gedeckt.

Am Donnerstag werden der Kongress – und dann wahrscheinlich auch die amerikanische Öffentlichkeit – eine redigierte Fassung des Mueller-Berichts zu sehen bekommen. Ich will mich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber ich vermute stark, dass in diesem Bericht circa Folgendes steht:

  • Es gab einen starken und konzertierten Versuch russischer Geheimdienste, per Facebook und Twitter Propaganda zu verbreiten, um Donald Trump 2016 zum Wahlsieg zu verhelfen; Teil dieses Propagandafeldzuges war ein Hackangriff auf einen Server der Demokratischen Partei.  Der russische Versuch war von Erfolg gekrönt.
  • Während des Wahlkampfes 2016 gab es 102 Treffen zwischen Mitgliedern von Trumps Wahlkampfteam und hochrangigen Vertretern des Putin-Regimes.
  • Donald John Trump versuchte während dieses Wahlkampfes, ein lukratives Immobiliengeschäft in Moskau einzufädeln, und hat später mehrfach darüber gelogen.
  • Schon in den Jahren davor gab es zahlreiche Geschäftsverbindungen zwischen Donald Trumps Immobilienimperium und den Russen.
  • Donald Trumps Wahlkampfmanager war mehrere Monate lang Paul Manafort, ein mittlerweile wegen Wirtschaftsverbrechen verurteilter Mann, der zuvor in der Ukraine für Putins Verbündeten, den Diktator Wiktor Janukowytsch, Lobbyarbeit gemacht hat, und über Konstantin Kilimnik, einen mutmaßlichen Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes, den Russen elektronische Daten über Donald Trumps Wahlkampf weitergab.

Und nichts davon ist strafrechtlich relevant.