Wer gerade ernstgenommen werden will, wählt rechtsextrem. Zehn Jahre nach Gründung ist die AfD stärker und faschistischer denn je. Und die politische Mitte überbietet sich, Entschuldigungen für die zu finden, die die Faschisten an die Macht bringen wollen. Dabei verdienen sie nur unsere Verachtung.

Von Marcel Rohrlack

Die bisherigen Strategien der politischen Mitte scheitern, weil sie Faschismus und seine Anhänger falsch verstehen. In den vergangenen Jahren war von „Protestwählern“ die Rede, obwohl eine Studie nach der anderen zeigt, dass die Anhänger der AfD deren Positionen aktiv befürworten. In der politischen Linken wird der Erfolg mit Ungleichheit und Armut erklärt, obwohl auch das empirisch kaum haltbar ist. Und bei den Konservativen und demokratischen Rechten wird auf Herausforderungen bei der Integration verwiesen – obwohl die Zustimmung dort am höchsten ist, wo es die wenigsten Ausländer gibt. Daraus spricht die Angst, was wirklich in den Köpfen der Deutschen vorgeht.

Das Angebot der Rechtsaußen ist eine einfache Welt, die in Verlierer und Gewinner aufgeteilt ist – und ihre Leute sollen oben stehen dürfen. Ohne dafür irgendwas zu tun. Und ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Höcke und Co. haben ein teuflisch gutes Angebot: Du darfst wieder. Du darfst dich wieder ein bisschen besser fühlen, indem du die Anderen niedermachst. Du darfst wieder laut sagen, was du eigentlich von Flüchtlingen hältst. Du darfst wieder das lesbische Paar und den Transmann widerlich finden. Du darfst wieder von der Volksgemeinschaft träumen, in der nur drin ist, wer sich anpasst. Du darfst wieder den deutsch-russischen Schulterschluss fordern. Du darfst wieder die Gefahr einer Pandemie ignorieren, weil es viel bequemer ohne Maske ist – und doch eh nur Alte und Kranke sterben. Du darfst wieder (mit russischem Öl) Vollgas geben, weil eine Welt mit Klimawandel viel komplizierter ist. 

Darin besteht das Gift des Faschismus: Er verspricht die Erlösung vom Anstand. Aber diese bürgerliche Zurückhaltung, die Rücksicht, der Respekt und der Zusammenhalt, diese Selbstbegrenzung ist nötig in einer freiheitlichen Gesellschaft.

Ein Teil der Deutschen will aber keinen Anstand mehr haben. Sie wollen die Sau rauslassen. Sie sehen die Welt als Nullsummenspiel, in dem sie außer ihrer Herkunft nichts vorzubringen haben. Kleine erbärmliche Würste – und die Politiker der Mitte adeln sie. Mit jedem „wir müssen Sorgen und Ängste ernst nehmen“, wächst das Selbstbewusstsein. Man ist wieder wer. Und wenn sich alles um die Faschisten dreht, wächst natürlich auch deren Attraktivität.

Die Sozialpsychologin und Mitverfasserin der vieldiskutierten Mitte-Studie, Beate Küpper, sagt: „Rechtsextrem zu sein ist nicht mehr etwas, was hinter vorgehaltener Hand passiert.“ Und genau darin liegt das Problem – den Faschisten ist es nicht mehr peinlich.

Das muss man sich mal vorstellen: Da wählt in manchen Regionen die Mehrheit eine Partei, die der Freiheit und ziemlich vielen Menschen an den Kragen will – und wir behandeln das, als wäre das eine gesellschaftlich akzeptable Position?

Es gibt dabei bisher zwei Denkschulen im Umgang mit den Faschisten in der Politik: Geld und rechte Politik. Die politische Linke glaubt, den faschistischen Drang nach moralischer Entgrenzung mit Geld zuschütten zu können. Jede neue Sozialleistung wird dann zum Antifaschismus verklärt. Und gleich die nächste gefordert. Und die Konservativen versuchen immer rechter zu sein, um vermeintlich irgendwen zurückzuholen.

Dabei öffnen sich Teile des bisher bürgerlichen Lagers für bisher inakzeptables Gedankengut. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz spielt etwa abgelehnte Asylbewerber und Deutsche aus: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen. Und die deutschen Bürger nebendran bekommen keine Termine.“ Wir gegen die. Deutsche gegen Ausländer.

Der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger spricht gleichzeitig davon, man müsse die „Demokratie zurückholen“. Seine eigene mutmaßliche rechtsextreme Vergangenheit klärt er nicht auf, sondern inszeniert sich selbst als Opfer.

Konservative und Linke machen dabei den gleichen Fehler: Sie füttern ein Monster, das nie satt wird. Faschismus gibt sich nicht mit Geld zufrieden und auch nicht mit ein bisschen mehr rechter Politik. Faschismus will alles. Die ideologische Grundlage ist das Freund-Feind-Denken, wie NS-Politologe Carl Schmitt es nannte. Die Logik dahinter: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und wird bekämpft.

Die Faschismusbekämpfung nach 1945 hat nicht darauf gesetzt, mit den Nazis zu reden oder auf einen Geistesumschwung zu hoffen. Natürlich waren die Nazis nicht plötzlich weg und sie nahmen weiter erschreckend einflussreiche Positionen vor allem im Westen ein. Und hinter verschlossenen Türen und teilweise auch öffentlich wurde noch astreines NS-Gedankengut verbreitet. Aber in der Öffentlichkeit wurde offen faschistisches Gedankengut nicht geduldet.

Faschisten müssen ohne Rücksicht ausgegrenzt werden. Schmeißt sie aus jedem Verein, ladet sie an Weihnachten aus, grüßt sie nicht und verbietet euren Kindern, mit ihren Kindern zu spielen. Es gibt keinen Grund, diesen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie bekämpfen die Freiheit. Sie wollen die Freiheit von uns allen zerstören. Sie sollen sich wieder schämen.

Marcel Rohrlack ist Kommunikationsberater, Grüner und lebt in Berlin. Ist zu jung zu politisch geworden und dann einfach geblieben.
(Foto: Andreas Gregor)