Zwischen den Jahren wird gemeinhin Bilanz gezogen. Man plant das neue Jahr. Es gibt aber auch einiges, das im alten Jahr offen geblieben ist, unerledigt mitgenommen wird. Es ist also auch die Zeit der Wiedervorlage. Hier liegt ganz obenauf ein Thema: Die Wahl des nächsten Bundespräsidenten.

Gewählt werden soll am 12. Februar 2017 in Berlin – wobei: genaugenommen ist der Begriff der Wahl ein Euphemismus. Denn das Ergebnis steht jetzt schon fest: Weil sich die Große Koalition darauf geeinigt hat, mit Frank-Walter Steinmeier auf einen gemeinsamen Kandidaten zu setzen, kann sich der derzeit amtierende Außenminister im Februar wohl schon im ersten Wahlgang über eine ausreichend große Zustimmung zu seiner Ernennung freuen. Denn die Große Koalition stellt gemeinsam 73,5 Prozent der Mitglieder der 16. Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt kürt.

Reine Formsache

Man mag einwenden, dass es sowieso egal sei, wer unser höchstes Staatsoberhaupt stellt, nimmt doch der Bundespräsident in der Regel nur noch repräsentative Aufgaben wahr. Da sollte man fotogen sein und gut reden können, fertig. Natürlich dürfte es außerdem hilfreich sein, wenn man möglichst parteiübergreifend wohlgelitten ist. Wenn man sich im Dschungel der Politik, mitsamt ihrer komplizierten Verwaltung und allen diplomatischen Erfordernissen, gut auskennt. Joachim Gauck hatte da wohl so seine Probleme.

Die Wahl durch die Bundesversammlung findet auch 2017 wieder fern vom Souverän statt, dem Bürger. Und das in Zeiten, in denen weltweit Fragen nach den Grundlagen und der Zukunft der westlichen Demokratie gestellt werden. Kann man dem Volk nicht trauen? Ist die Zivilgesellschaft nur eine Phrase? Was genau könnte er denn bedeuten, dieser Satz vom „mehr Demokratie wagen“, den Steinmeiers Genosse Willy Brandt in seiner Regierungserklärung 1969 sagte?

Politik in Zeiten des wütenden Misstrauens

Erinnern wir uns: Die Mitteilung darüber, dass Steinmeier der gemeinsame Kandidat der Großen Koalition sein werde, erfolgte nur kurz nach der Wahl von Donald Trump in den USA. Es war die Zeit der politischen Reuebekenntnisse und Besserungsgelöbnisse, in denen es hieß, dass man „die Menschen da draußen“ vielleicht doch „besser kennenlernen“ und „ihre Sorgen ernster nehmen“ müsse, um den Populisten Einhalt zu gebieten. Ansonsten stehe die Demokratie auf dem Spiel. Die Unzufriedenen einfach als „Wutbürger“ abzukanzeln, schien nicht mehr genug.

Ein Vorwurf der „Unzufriedenen“ ist aber nun doch, dass „die da oben“ alles einfach unter sich ausmachen, dass sie nicht transparent sind, dass sie auf Kosten der Steuerzahler ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Welchen Eindruck hinterlässt da ein Wahlprozedere, bei dem das Ergebnis schon im Vorhinein feststeht?

 Ohne echte Alternative gibt es keine Wahl

Um eine echte Wahl zu ermöglichen, hätten die Regierungsparteien eigene – und glaubwürdig eigene – Kandidaten gebraucht. Jemanden, der den Job auch wirklich überzeugend ausüben könnte. Erst dann hätte es zu einem Wettstreit der guten Ideen kommen können, erst dann hätten die Mitglieder der Bundesversammlung wirklich eine Wahl gehabt.

Dass „Die Zeit“ ein Porträt über Frank-Walter Steinmeier zunächst mit der Formulierung „der künftige Bundespräsident“ einleitete, war deshalb im Grunde nur folgerichtig. Und dass des Außenministers Buchverlag nur wenige Tage nach Bekanntgabe seiner Kandidatur schon mit dem aktuellen Buch „des zukünftigen Bundespräsidenten“ warb, war zwar schamlos und frech, aber zu diesem Zeitpunkt im Grunde auch schon egal. Die normative Kraft des Faktischen hatte längst gesiegt. Und die Demokratie verloren.

Letzte Chance – vorbei

Das ist nun nicht allein das Versagen von CDU/CSU und SPD. Der Ausweg aus diesem Glaubwürdigkeitsdesaster wären wählbare Gegenkandidaten der Grünen und der FDP gewesen. An diesen beiden Parteien wäre es gewesen, attraktive Alternativen zu Frank-Walter Steinmeier aufzustellen, um aus der Veranstaltung am 12. Februar 2017 eine Wahl zu machen, die diese Bezeichnung auch verdient hätte. Darauf warten wir bislang aber vergeblich.

Laut Paragraph 9 Absatz 1 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung hätte jedes einzelne Mitglied der Bundesversammlung das Recht, einen weiteren Kandidaten vorzuschlagen, sogar noch am Tag der Wahl selbst. Von Parteiräson steht nichts in diesem Gesetz. Und weil der Bundespräsident ohne vorherige Aussprache gewählt wird, wäre es jetzt allerhöchste Zeit, alternative Kandidaten ins Rennen zu schicken, damit diese noch für sich werben können. Die Bürger können den Bundespräsidenten nicht direkt wählen – Optionen zum Regierungsliebling zu bieten ist für die Mitglieder der Bundesversammlung deshalb nicht nur ein Recht, sondern in Zeiten der Großen Koalition auch deren Pflicht. Dieser kommen, neben den Freien Wählern mit ihrer Nominierung des Fernsehrichters Andreas Hold, nur noch die extremen Parteien am linken und rechten Rand nach: Die SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ durch die Nominierung von Christoph Butterwegge und die „AfD“ mit Albrecht Glaser. Ausgerechnet.

Mitmachen zu dürfen scheint im Jahr der Bundestagswahl für Grüne und FDP  wichtiger zu sein als zu gestalten. Den extremen Parteien nützt dieses Duckmäusertum: Die erforderliche Mehrheit werden sie für ihre eigenen Bundespräsidentschafts-Kandidaten nicht zusammenkriegen, aber das macht nichts – im Gegenteil. Scheitern gehört zum Geschäftsmodell dieser Parteien, weil sie sich auf diese Weise nur umso glaubwürdiger als Gegner des verhassten „Establishments“ inszenieren können – ein Begriff, der eben nicht allein mauschelnde Eliten meint, sondern das demokratische System im Kern treffen soll.

Weil die etablierten Parteien aber den Wettbewerb scheuen, können sich die Radikalen aller Couleur nun einmal mehr als echte Opposition und die wahren Retter der Demokratie profilieren – eine schöne Aufwärmübung für die anstehenden Bundestagswahlen. Wenn Frank-Walter Steinmeier am 12. Februar 2017„planmäßig“ zum Bundespräsidenten gewählt wird, dann hat man nicht mehr Demokratie gewagt, sondern weniger. Und wird sich alles, was danach kommt, mit ankreiden lassen müssen.

 

Katharina Lotter ist Diplom-Wirtschaftsjuristin (FH) und findet, dass Ökonomie zu wichtig ist, um sie allein den Spezialisten zu überlassen. Um als Journalistin einem breiteren Publikum Lust auf Wirtschaft zu machen, kündigte sie im Krisenjahr 2008 ihren sicheren Job in einer Unternehmensberatung, absolvierte Praktika bei dem Wirtschaftsmagazin „brand eins“ sowie der „Financial Times Deutschland“ und arbeitete einige Jahre als freie Autorin für u.a. „Die Welt“ und das Magazin „liberal“ der Friedrich-Naumann-Stiftung.