Sturmtruppen-Rhetorik und autoritäres Selbstverständnis: Aktionskünstler wie Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit teilen mit AfD und Pegida mehr, als ihnen lieb ist, warnt unser Gastautor Daniel Hornuff.

Über Wochen hinweg versuchte sich die Identitäre Bewegung an einer Verteidigung der „Festung Europas“. Mithilfe eines gecharteten Schiffs sollten im Mittelmeer europäische Außengrenzen geschützt werden. Ziel sei es gewesen, „kriminelle NGOs“ daran zu hindern, „hunderttausende illegale Migranten nach Europa“ zu bringen. Eine Selbstbegründung verschaffte sich die Bewegung durch rassistische Perversionen – verpackt in dem Hinweis, dem „Massensterben von Afrikanern im Mittelmeer“ nicht länger zusehen zu wollen. „Helft uns, Leben zu retten“, blökte ihr zynischer Nazismus auf der Unterstützer-Page.

Die Methode dieses rechtsextremen Vorhabens darf eigentlich niemanden verwundern. Schließlich führt es nur aus, was die Identitären programmatisch seit langem ausarbeiten. Umso mehr ruft die Aktion Defend Europe eine andere, nicht minder erschreckende Verwandtschaft in Erinnerung: Die Rechten übernehmen eine Inszenierungspraxis, die hierzulande vor allem durch das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) massenmediale Aufmerksamkeit erlangt. So politisch divergent beide Gruppierungen erscheinen mögen – sie verbindet ein strukturelles Moment: Jeweils werden mit symbolisch gemeinten Aktionen einem autoritären Selbstverständnis Ausdruck verliehen – mit dem Ziel, „das Volk“ aus seiner Ohnmacht zu reißen.

Sehnsucht nach der starken Hand

So jedenfalls tönt Philipp Ruch in seinem als „Politisches Manifest“ pseudo-literarisch etikettierten, im Kern allerdings spätpubertär quengelnden Megalomanie-Erguss („Wenn nicht wir, wer dann?“). Die sogenannte „politische Aktionskunst“ des ZPS unternimmt ein direktes Investment in politische Radikalisierungen. Ihr Bestreben zielt darauf ab, die Lösung ebenso drängender wie extrem komplexer Fragen durch die starke Hand einer absolutistischen Führung zu beantworten. Dass dies durch eine an Avantgarde-Manifesten abgekupferte Sturmtruppen-Rhetorik garniert wird, unterstreicht nur, wie sehr sich die Gruppe nach ästhetizistischer Selbstherrschaft sehnt.

So schreibt Ruch: „Die Sprache, die unsere Politiker sprechen, ist mutlos, uninspiriert und leer. […] Bürger politisiert man mit Mut, Wagnissen und Visionen. Politik ist ein Epos, das überzeugen muss.“ Und an anderer Stelle: „Eine beispiellose Visions- und Ziellosigkeit hält unser Zeitalter im Würgegriff oder besser: hat die Zeit ausgerenkt. Es kommt darauf an, sie wieder einzurenken.“ Man fragt sich, warum AfD und Pegida nicht längst auf die Idee kamen, Philipp Ruch als gemeinsamen Kampagnenchef zu engagieren. Oder ist selbst ihnen eine solche Metaphorik inzwischen zu explizit, zu Höcke-lastig?

Vor diesem Hintergrund wirkt die Defend Europe-Aktion wie eine dramaturgisch konsequente Antwort auf die Proklamation des ZPS, zwischen Afrika und Europa „bis 2030“ eine Fluchtbrücke aufzuspannen und zunächst „1.000 Rettungsplattformen“ zu Wasser zu lassen. Billigste Hands-on-Suggestionen links wie rechts. Ein, wie das ZPS in bester trumpistischer Manier posaunt, „monumentales Symbol des 21. Jahrhunderts“.

Das große Endziel lockt

Als weiteres Merkmal der Verwandtschaft kommt hinzu, dass sich beide Gruppierungen durch massive Schmähungen der NGO-Arbeit legitimieren wollen: Suggerieren die Identitären, ein übereifriges Gutmenschentun würde die „Zusammenarbeit mit Schlepperbanden“ gezielt suchen, tadelt das ZPS die Bemühungen von Sozial- und Hilfsorganisationen in ebenso arroganter Saturiertheit als zu zögerlich, gesetzestreu und uneffektiv: „Da kann man nicht einfach in der Fußgängerzone stehen und Prospekte verteilen“. Wie bei allen Kulturchauvinisten hat sich die Wesensähnlichkeit auch hier bis hinein in die Sprachform durchgedrückt.

Die Interessen des ZPS sind indes eindeutig. Aufgeboten werden die klassischen Instrumente des populistischen Agierens, um an die niederen Instinkte potenzieller Mitstreiter, Unterstützer (Spender!) und sonstiger Fans zu appellieren. Diese finden sich denn auch von einem schier unwiderstehlichen Versprechen umschmeichelt: „Machen Sie grenzüberschreitende Eskalation möglich!“ Was gibt es für regressiv Gestimmte Beglückenderes, als endlich mal Konventionen aushebeln und zur Demonstration der eigenen Außerordentlichkeit ein bisschen schwarze Farbe ins Gesicht schmieren zu dürfen? Immerhin lockt das große Endziel: durch Akte humanistischer Notwehr in den Status einer politisch-historischen „Lichtgestalt“ (Ruch) aufsteigen zu können.

Opfer der eigenen Dynamik

Doch wie bei allen, die vorgeben, besonders radikal unterwegs zu sein, ist auch das ZPS letztlich nur ein Opfer seiner von ihm in Gang gesetzten Dynamik. Die Erzeugung von Ausnahmeerlebnissen steht im Zwang, jedes neuerliche Spektakel als Überbietungsleistung des vorhergehenden zu verkaufen. Andernfalls stellen sich Gewöhnungseffekte ein, die man sich buchstäblich nicht leisten kann. Das Immer-Mehr wird zur Masche. Folglich wird zu stets größeren Anleihen gegriffen, werden noch bedeutsamere Referenzen (inzwischen: Sophie Scholl) gezogen, wird immer lauter gebrüllt.

Die Populisten vom ZPS sind viel mehr Kinder ihrer Zeit, als sie es selbst wohl zugestehen würden. Setzten sie die Brille der politischen Romantik ab, müssten sie erkennen, in welch beschämender Nachbarschaft sie sich angesiedelt haben. Seit‘ an Seit‘ marschieren ZPS und Neue Rechte für ein totalitäres Verständnis von Politik. Mit Kunst hat das hier wie dort nichts zu tun.

Daniel Hornuff lehrt Kunstwissenschaft an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Dieser Beitrag erschien zuerst in der „Kunstzeitung“ (Nr. 253; September 2017).