Ehe für alle – und keiner jubelt. Warum eigentlich nicht?
Der Bundestag ermöglicht gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung. Ein gutes Signal – und interessanter als Parteitaktik
Wenn man verstehen will, wie stark sich die deutsche Politlandschaft in den letzten 20 Jahren geändert hat, lohnt ein Blick auf die Debatte über die Ehe für alle. Was hier passiert, ist, gemessen am klassischen Links-Rechts-Spektrum, bemerkenswert: Eine konservative Großpartei geht, sicher etwas halbherzig, den Weg mit, die Eheschließung, klassisches Symbol christlichen Traditionalismus, für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Für liberal denkende Menschen mag die Ehe für alle selbstverständlich sein. Aber für Konservative, sollte man meinen, nicht. Da ist schon die Aufhebung des Fraktionszwanges bei der Abstimmung im Bundestag nicht trivial.
Aber – sie ist es letztlich offenbar doch. Denn anders als von linksliberalen Medien erwartet, geht eben kein „Beben“ durch die CDU. „Spiegel Online“ hatte schon ziemliche Schwierigkeiten, irgendwie das Bild einer Gegenfront aufzubauen. Die Ehe für alle kommt – und wird auf konservativer Seite mit ziemlicher Gelassenheit akzeptiert.
Bei der CDU herrscht Entspanntheit, in der Gesellschaft insgesamt eher Übellaunigkeit. Warum eigentlich? Weshalb wird das Thema so missgestimmt verhandelt? Es ist doch eigentlich ein starkes Signal in Richtung einer offeneren Gesellschaft. Das ist wichtig in einer Zeit, in der ja durchaus das Modell eines, toleranten städtischen Bürgertums zur Disposition steht. Zumindest gibt es Kräfte, die dieses untergraben wollen. Aber die momentane Debatte wirkt seltsam routiniert und parteitaktisch unterminiert. Mit viel Verve wird Angela Merkel die Art vorgeworfen, wie sie ihr Umschwenken begründet hat. Wie wäre es mit einer Konzentration auf das Wesentliche? Darauf, dass sich hier eine konservative Kanzlerin, Pfarrerstochter obendrein, für ein Reformvorhaben öffnet, das für traditionelle kirchliche Kreise so selbstverständlich nicht sein dürfte?
Kein großes Ding mehr
Man kann die Grummeligkeit, die momentan herrscht, positiv interpretieren als Zeichen dafür, dass die Ehe für alle eben wirklich kein großes Ding mehr ist in Deutschland, längst eingepreist, überfällig. Aber vielleicht steckt auch mehr dahinter. Vielleicht zeigt sich hier, zum Beispiel auf Seiten alternativer Sozialreformer, auch die Einsicht in ein identitätsbezogenes Problem: Wenn sich die große deutsche konservative Partei hier – mal wieder – einer klassischen Forderung linksalternativer Progression öffnet, was bleibt dann überhaupt noch an Differenzierungsmerkmal? Was ist dann heute noch links?
Auch die SPD fragt sich dies ja gerade. Die übliche Umverteilungsprogrammatik elektrisiert die Massen nicht mehr. Die Ehe für alle taugt als Thema für die ganz großen Frontbildungen offenbar auch nicht. Was aber dann? Vielleicht ist es diese Orientierungslosigkeit, die zur schlechten Laune beiträgt.
Schade ist es dennoch. Denn, das darf man noch mal sagen, auch wenn ich damit manchen langweilen sollte – die Ehe für alle ist ein wichtiges Zeichen für Liberalität und Offenheit. Vielleicht liegt es daran, dass ich momentan in Mexiko lebe, einem Land, in dem Zehntausende gegen Gay Rights auf die Straße gehen – mich freut es, dass das Gesetz übermorgen verabschiedet wird.