L.A. Chronicles III: Auf den Spuren von Meister Bukowski
Charles Bukowski starb 73-jährig im Jahr 1994. Über sein Leben schrieb er urkomische Bücher. Ich habe einige seiner Schaffensplätze in L.A. besucht.
Sein vernarbtes Gesicht, seine begnadete Schreibe. Kurzweilig, aber nicht dumm, sondern tief und ehrlich. Ich war schon früh ein Fan von Bukowski. „Ham on Rye“, „Post Office“, „Hollywood“. Aber auch seine Kurzgeschichten-Bände wie „South of No North“ oder seine Prosagedichte, wunderbar!
Oft folgen seine Geschichten einem bewährten Setting. Bukowski malocht bei einfachen, harten Jobs als Rinderhälftenträger oder Postausfahrer, um Geld zum Überleben zu haben. Dann verzockt er einen Teil davon auf der Pferderennbahn, betrinkt sich Abends in einer seiner heruntergekommenen Buden, hört Klassikradio, schreibt nachts auf seiner Maschine, glotzt jungen Mädchen von der Veranda aus hinterher, schlägt sich gehandicapped von seinen kleinen Händen mit anderen Trinkern, schleppt ihm ähnlich kaputte Frauen aus Spelunken ab, kauft sich Steaks, die im Kühlschrank blau werden. Manchmal nimmt er seine uralte Karre und fährt ans Meer.
Sein 20er-30er-Jahre-Kindheitshaus aus dem besonders autobiographischen „Ham on Rye“ liegt an der South Longwood Ave 2122. Hier wuchs der junge, von Akne geplagte Bukoswki auf mit einem frustrierten Vater, der ihn brutal züchtigte, wenn er einen Grashalm im Garten beim Mähen stehen lies. Hier prügelte sich Bukowski sich mit anderen Jungs auf der Straße, spielte Baseball, um dann zu Hause vom Vater noch einmal Prügel zu bekommen, wenn seine Hose kaputt gegangen war.
Heute ist da am „Ort des Schmerzes“, wie Bukowski einmal sagte, ein frisch renoviertes Häuschen. Der Rasen ist frisch gemäht.
Die anderen Häuser in der Gegend sind eher heruntergekommen. Zwei weiße Säufer mit bunten Hüten, welche die Straße im Klein-Häusermeer von Los Angeles entlangschlurfen, erinnern an den alten Meister. Sie erinnern sich an ihn, wussten aber gar nicht, dass er hier mal gelebt hat. „Der lebte drüben in Hollywood“, sagt einer von ihnen. Die anderen Nachbarn sind hauptsächlich Latinos und Schwarze.
Die nächste Station ist 521 Union Drive, fünf Meilen Richtung Osten. Hier steht ein für L.A. ungewöhnlich hohes, zweistöckiges Appartmenthaus mit Feuerleitern wie aus New York. Hier bezog Bukowski in den 1940er-Jahren auch auf der Flucht vor dem Vater eines jener Zimmer, die in seinen Büchern vorkommen, stets auf der Hut vor der Landlady, die wie ein Drache lauert und noch offene Miete fordert.
Die Gegend ist mexikanisch geprägt, ein verarmter Mann durchwühlt gerade eine Mülltonne vor dem Haus. Ein Anderer, leicht verrückt blickender, schaut aus einem dunklen Fenster in einem roten Backsteinhaus daneben. Zwei Mexikaner binden in einer Art Fabrik auf dem Bürgersteig Blumen.
Hier scheint inmitten der immer teurer werdenden Stadt der Engel immer noch ein Moloch zu sein. Und die Bleibe erinnert an das vielleicht größte schriftstellerische Vorbild Bukowskis, John Fante, der sich wegen Armut in so einem L.A.-Zimmer von Orangen ernährte, wie er im genialen „Ask the Dust“ schrieb.
Ich fahre weiter, wieder fünf Meilen Richtung Nordwesten nach Hollywood an die 5124 De Longpre Ave. Hier wirkte Meister Bukowski von 1963 bis 1972, nachdem er aufgehört hatte, bei der Post zu arbeiten, diesem zunächst anstrengenden Knochenjob als Fahrer mit heruntergerockten Lastwagen und danach ewigen, stumpfen Jahren als Briefsortierer. Hier, in diesem Häuschen, empfing er seine sporadischen Liebschaften, trank sixpackweise Bier und dichtete.
Man ist stolz jetzt auf den alten Säufer, „Bukowski Court“ steht auf einem Schild davor, das ein Kulturerbe-Auschuss aufgestellt hat als „Monument Nr. 912“.
Das Häuschen ist winzig, davor ist eine Mini-Veranda mit einem Schaukelstuhl. Hier saß Buk wohl und schaute sehnsüchtig den jungen Damen nach.
Zufällig lerne ich Tad Toby (28) kennen, der gerade zu seiner Arbeit als Kellner geht. Ich spreche ihn an, frage ihn nach Bukowski. Tad ist selbst Dichter, kann aber davon ähnlich wie anfangs Bukwoski offenbar nicht leben und macht auch einen Geldjob, um seine Dichtung zu finanzieren.
Gerade hat er auf Seite 89 der „Angel City Review“ ein schönes, kleines Gedicht über den Kosmos und die Liebe geschrieben. Ein pdf von diesem Lyrik-Magazin kann man sich herunterladen. Tad wohnt genau um die Ecke ebenfalls in einem Mini-Appartment und ist großer Fan von Bukowski. „Er hat eine Stimme, die nicht viele Dichter haben. Großartig und direkt“, sagt Tad.
2013 ist er nach einem Literatur-Studium aus dem fly over-state Indiana nach L.A. gezogen, wohl auch in der Hoffnung, ein ähnliches Kunststück wie Bukowski hinzulegen, der erst späten Ruhm genoss, gutes Geld verdiente und irgendwann von hier in ein schönes, feines Haus nach Süd-L.A., in den Stadtteil San Pedro zog. Da in der Nähe hat Donald Trump jetzt einen Golfclub.
Tad gibt mir den Tipp, nach Los Feliz zu fahren, einem Stadtteil der nur eine Meile entfernt von Bukowskis „Post Office“-Domizil liegt. „Da ging er zum Party machen hin, in Bars. Zum Beispiel ins Ye Rustic Inn, das steht noch. Es gibt da auch ein Wandbild von ihm. Und der Laden Skylight Books hat alle seine Bücher“, sagt Tad.
Ich fahre den kurzen Weg rüber, schaue mir das Porträt mit dem Bukwoski-Spruch „Am meisten kommt es darauf an, wie gut Du durchs Feuer gehen kannst“ an der Kingswell Ave an. Das Bild sieht sehr frisch aus, als Google im April 2015 mit seinem Street-View-Kamerwagen hier durch fuhr, war es jedenfalls noch nicht da.
Der Buchladen, von dem Tad erzählte, macht gerade den ganzen Tag Inventur, aber durch das Fenster sehe ich Bukowski-Regale. Das würde den Alten freuen, denke ich. Bukowski soll ja teilweise in Europa und besonders in Deutschland bekannter als in den USA gewesen sein.
Die alte Buk-Kneipe „Ye Rustic Inn“ ist dem Augenschein nach immer noch eine dunkle Säuferspelunke fast ohne Fenster, die auch Weihnachten und Neujahr aufhatte, wie auf einer Werbeplane steht. Hier saß er also am Tresen, kippte sich zu und wartete, dass etwas passiert. Rein kann ich nicht, das Inn macht erst um vier Uhr nachmittags auf.
Ich laufe dann zu einem Taco-Laden am Hollywood Blvd, den mir ein Mexikaner empfohlen hat. Auf der Kreuzung davor steht eine Zeltstadt von Obdachlosen. Eine Frau, relativ fein gekleidet, sie könnte als Sekretärin arbeiten, wacht gerade auf, kommt aus einer Zeltöffnung. Irgendein Offizieller mit einem Brief will etwas von ihr. Es gibt keine Meldebehörde in den USA, aber der Mann hat sie gefunden.
Dabei ist dieses kleine Zeltdorf nur ein Überbleibsel. Bis vor kurzem reihte sich hier am Boulevard Zelt an Zelt, Ungeziefer machte sich breit, dann kam das Ordnungsamt und siedelte die Meisten um, erzählt mir später die Tacoladen-Besitzerin. „Die Obdachlosen kommen aus dem Norden hier runter, weil es hier im Winter nicht so kalt ist“, sagt sie. Ein Ex-Broker sei auch dabei gewesen. „Manche werden sogar in den Flieger nach Hawaii gesetzt, um sie loszuwerden!“, sagt sie. Bukowski kennt sie nicht.
Ein uralter, weißhaariger Mann, ebenfalls obdachlos, geht stark gebückt an mir vorbei. Beim Taco-Laden sortiert er seinen Reichtum, Münzen, die er aus einer Socke kippt und ein paar Eindollarscheine, die nette Besitzerin schenkt ihm ein Sodagetränk wie jeden Tag. Seine Halbglatze ist von der stetigen kalifornischen Sonne verbrannt, etwas zerkratzt.
Ich kaufe ihm einen Taco mit Hühnchen, versuche mit ihm zu reden. Er antwortet freundlich in gutem, gebildtem Englisch, aber etwas verwirrt. Die Jahre auf der Straße fordern ihren Tribut.
Wer weiß, wäre Buk in der heutigen Zeit in den USA am Strugglen gewesen, hätte es für ihn vielleicht wie nun für so viele nicht mehr für ein schmutziges Loch in einem Appartmenthaus gereicht. Vielleicht würde er auch in einem Zelt auf einer Kreuzung liegen wie geschätzt 44.000 Menschen in L.A. Der alte Mann könnte der Geist von Bukowski sein, denke ich.
Ein Bukowski-Gedicht:
2 flies
The flies are angry bits of
life;
why are they so angry?
it seems they want more,
it seems almost as if they
are angry
that they are flies;
it is not my fault;
I sit in the room
with them
and they taunt me
with their agony;
it is as if they were
loose chunks of soul
left out of somewhere;
I try to read a paper
but they will not let me
be;
one seems to go in half-circles
high along the wall,
throwing a miserable sound
upon my head;
the other one, the smaller one
stays near and teases my hand,
saying nothing,
rising, dropping
crawling near;
what god puts these
lost things upon me?
other men suffer dictates of
empire, tragic love…
I suffer
insects…
I wave at the little one
which only seems to revive
his impulse to challenge:
he circles swifter,
nearer, even making
a fly-sound
and one above
catching a sense of the new
whirling, he too, in excitement,
speeds his flight,
drops down suddenly
in a cuff of noise
and they join
in circling my hand,
strumming the base
of the lampshade
until some man-thing
in me
will take no more
unholiness
and I strike
with the rolled-up paper–
missing!–
striking,
striking,
they break in discord,
some message lost between them,
and I get the big one
first, and he kicks on his back
flicking his legs
like an angry whore,
and I come down again
with my paper club
and he is a smear
of fly-ugliness;
the little one circles high
now, quiet and swift,
almost invisible;
he does not come near
my hand again;
he is tamed and
inaccessible; I leave
him be, he leaves me
be;
the paper, of course,
is ruined;
something has happened,
something has soiled my
day,
sometimes it does not
take a man
or a woman,
only something alive;
I sit and watch
the small one;
we are woven together
in the air
and the living;
it is late
for both of us.