Trump überträgt eine Management-Methode, die in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen hat, in die Politik: Als Variante des „Lean Startup“. Wir erleben den „Lean Fascism“. So funktioniert er:

US-Präsident Donald Trump stellt die Welt vor viele Rätsel. Neutrale Beobachter und entschiedene Kritiker suchen nach Mustern, die sein Handeln erklären, denn nicht jeder will sich mit dem gängigen Narrativ anfreunden, dass der Oberbefehlshaber der mächtigsten Armee der Welt maßgeblich von Instinkten, der wechselseitigen Erbringung von Gefälligkeiten sowie seiner Laune und Eitelkeit geleitet werde, mithin also mangels Strategie nicht kalkulierbar sei. Viel wird spekuliert über die Rolle einzelner Personen im Trump-Team und über die Taktik einzelner Entscheidungen.

Politische Positionen werden nicht mehr theoretisiert und unter gesellschaftlicher Kontrolle im politischen Diskurs entschieden. Sie werden einfach implementiert, bewusst auch handwerklich mangelhaft, um anschließend die Reaktionen der Gesellschaft messen zu können. Das Ziel dieses „machiavellistischen Blitzkrieges“, dessen Zeugen wir bspw. bei den Executive Orders wurden, die „Planned Parenthood“ und Einreisende aus muslimischen Ländern betroffen haben, ist es nicht, durchschlagende Veränderungen herbeizuführen. Auch Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren ist nur ein wünschenswerter Nebeneffekt. Diese Vorgehensweise dient dazu, die „Lean Startup“-Methoden in die Politik zu übertragen.

Wer leistet Widerstand?

Jede Order stellt ein sogenanntes minimal funktionsfähiges Produkt (MVP – Minimum Viable Product) dar: Es sieht aus wie ein Gesetz, es wird in den ersten Stunden angewendet wie ein Gesetz und man kann die Reaktionen der Gesellschaft messen, als wäre es ein Gesetz. Das Ziel dieser Methode ist, eine enge Feedbackschleife zwischen einer Handlung der „Insel der Planung“ (Regierung//Unternehmen) und der „chaotischen Reaktion“ (Gesellschaft//Markt) zu finden: Welche Behörden, gesellschaftlichen Gruppen und Individuen sind bereit, eine Maßnahme sogar dann mitzutragen, wenn sie offensichtlich gegen die Verfassung verstößt? Wer leistet Widerstand? Findet dieser Widerstand innerhalb des Systems statt (bspw. durch Berufung auf den Rechtsstaat und/oder die Verfassung) oder außerhalb, durch Proteste, Erhöhung des Organisationsgrades oder Rechtsbruch?

Executive Orders als MVP einzusetzen ist mit einem umfangreichen Erkenntnisgewinn über viele Subsysteme des Staates und der Gesellschaft bis hin zum Individuum verbunden, ist aber längst nicht mit den hohen politischen Kosten verbunden, die das Schmieden von Mehrheiten für echte Gesetze mit sich bringen würde.

Die Reaktionen von Richtern und Behörden, die Pressemitteilungen von Organisationen, die Tweets und Facebook-Postings aller Menschen werden voll- und teilautomatisch ausgewertet und ein detailliertes Stimmungsbild entworfen; natürlich werden Listen geführt, vielleicht sogar mit einem individuellen Scoring, um die Veränderung von Zustimmung und Ablehnung über die Zeit auf individueller und organisatorischer Ebene beobachten zu können. Wann wird der einzelne Gegner müde?

Warten auf Protestmüdigkeit

Proteste sind in diesem frühen Stadium durchaus erwünscht. Das Team um Trump kann nicht nur damit rechnen, dass früher oder später eine Protestmüdigkeit einsetzt, so wie auch die markigen Thesen im Wahlkampf Trumps schnell als alltäglich und eben seine Marotte wahrgenommen wurden. Die Proteste sind geradezu erwünscht, denn sie stellen den Gradmesser für öffentliche Empörung dar: Ein muslim ban bringt die Menschen auf die Straße, nicht aber die Entvölkerung des State Departments – gut zu wissen, wenn es an die Kontrolle des nächsten Verwaltungsapparates geht!

Aktionen politischer Gegner werden aus der Position der Macht heraus, die noch mindestens weitere vier Jahre erhalten bleibt, nicht mehr als echte Opposition erfasst, die der Implementierung der eigenen Policy entgegen steht – jede Handlung der politischen Gegner ist vielmehr eine Messgröße in einem kleinen Experiment, aus dem man lernt, womit man den Gegner beschäftigen kann, während man die nächste Behörde unter Kontrolle bringt, oder auf welche Akteure man auch dann zählen kann, wenn man Recht beugt, bricht oder beseitigt. Im Lean Fascism gibt es keine klassische Opposition mehr.

Wer steht wo?

Jüngst liefen zwei große Tests: Trumps Beraterin Kellyanne Conway ist mit ihrem frei erfundenen Bowling Green Attentat gescheitert und seitdem angezählt. Für den Fortgang der Geschichte ist sie persönlich allerdings genau so irrelevant wie Bowling Green. In diesem Test werden sich wertvolle Daten darüber ergeben haben, welche Menschen dieser Art krasser Lüge zugänglich sind. In Zukunft kann man diese Gruppe gezielt mit Lügen adressieren, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas davon erfährt. Conway mag sich abnutzen, aber für Trump ist sie nur ein weiterer nützlicher Datenlieferant, bis sie gefeuert wird – hinter ihr stehen nützliche Idioten ohnehin Schlange für ihre Position.

Der nächste Test richtet sich gegen einzelne Richter und das Justizsystem als solches, was ungleich spannender ist, da es ein Verfassungsorgan betrifft: Ein Richter ist laut Trump nur noch ein „sogenannter Richter“, dessen Urteil „lächerlich“ ist und „bald aufgehoben wird“. Zahlreiche Menschen an der Grenze zwischen Justiz und Politik müssen sich nun formell oder informell bekennen, auf welcher Seite sie stehen, ob sie der Gewaltenteilung oder der Trump-Administration die Treue halten. Wertvolle Erkenntnisse für die weitere Vorgehensweise, die gewonnen werden konnten, ohne ein einziges Mal eine Mehrheit im Kongress organisieren zu müssen.

Es bleibt so spannend, weil das Tempo so hoch ist.

Nicolas Katte studiert Wirtschaftswissenschaften und Chemie und ist Gründer des E-Learning-Startups CoTutor. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie Innovationen die Gesellschaft beeinflussen und umgekehrt – und damit, wie Organisationen und Methoden Veränderungen begünstigen können.