Vor rund fünfzig Jahren gab es den ersten Machtwechsel in der Bundesrepublik Deutschland: von Schwarz zu Rot. Steht jetzt wieder ein Machtwechsel an? In der Fantasie wird der Machtwechsel fix zur Realität, wie der Autor beweist.

Wir schreiben das Jahr 2019. Der Souverän muss wieder ran. Nach Diesel-Krise, politischem Dauerstreit und mehreren Ermüdungsbrüchen in der Großen Koalition füllt er vorgezogen die Wahlurnen und lässt Jörg Schönenborn um 18 Uhr verschmitzt lächeln, bevor er eine Sensation verkündet. In den meisten Parteizentralen wird es still. Der Schock sitzt tief bei den so Getroffenen. Aber irgendwer muss ja verlieren. Doch niemand hat damit gerechnet, dass es so plötzlich und so „radikal“ vonstatten gehen würde. Jetzt ist der Machtwechsel da. Nach fünfzig Jahren wieder mal einer. Die ganze Welt schaut, wie nach der Weltmeisterschaft 2014, nach Deutschland: kopfschüttelnd, spöttisch, bewundernd, ratlos.

Es hatte sich ja schon angedeutet: Über fünfzig Prozent der Deutschen, so eine Umfrage, konnten es sich irgendwie vorstellen. Dann verband sich die Vorstellung mit dem Willen und schuf ein Wahlergebnis, das alle immer noch nicht recht für möglich halten. Am wenigsten die Sieger selbst, obwohl einige von ihnen nun keinen Hehl daraus machen, dass sie sich immer schon für den Vollstrecker eines neuen Weltgeistes hielten. Und nun bestimme er die Tagesordnung, sei Sand im Getriebe der globalisierten Welt, trotze dem Gott Mammon, führe die Armen aus dem Elend und heile die Natur und die Seele des Menschen.

Jetzt geht alles ganz schnell. Macron gratuliert, Salvini droht, Kurz freut sich auf eine gute Zusammenarbeit, Boris Johnson will den Brexit „immediately“, Trump verhängt Strafzölle gegen deutsches Müsli und Sonnenblumenöl.

„Der Spiegel“ produziert eine Sonderausgabe und stellt Vergleiche mit den Siegen von Kennedy und Obama an. „Die Zeit“ bringt eine Serie über die Agrarwende, die Energiewende, die Verkehrswende, die Bauwende. „Bento“ fragt sich, was das mit dem Land und den Menschen macht. Der „Cicero“ weiß von einer geheimen Verbotsliste mit 100 Spiegelstrichen. Roland Tichy fällt nix mehr ein. Matthias Matussek steigt am Alexanderplatz auf eine Bananenkiste und ruft zur Konterrevolution auf. Anja Reschke und Georg Restle suchen nach der richtigen Miene zu ihren triumphierenden und mahnenden Worten. Tina Hassel hat Tränen in den Augen.

KANZLER HABECK

Auftritt von Hofreiter, Trittin und Ströbele; sie warnen, stellen Forderungen. Die AfD brüllt, sie werde sich ihr Land zurückholen. Lindner und Kubicki sehen den Industriestandort Deutschland in Gefahr und prophezeien die Abwanderung von Unternehmen; außerdem sei jetzt Zeit für Steuersenkungen. Die CDU schweigt, die (Ex-)Kanzlerin gratuliert und zieht sich in die Wälder Mecklenburg-Vorpommerns zurück. Nur der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther (CDU) erneuert umgehend seine Forderung mit den Linken zu reden. Gysi sendet positive Signale zurück. Wagenknecht verlangt ein Zusammengehen von SPD und Linken, sonst würde der Neoliberalismus siegen. Im Parlamentskreis Pferd treffen sich die Reste der SPD und stellen sich Fragen, auf die es keine Antwort gibt.

Robert Habeck rasiert sich. Dobrindt und Scheuer tun Buße und fahren nur noch Rad. Höcke baut auf seinem Grundstück einen Bunker.

Der DAX kriegt einen Schluckauf. Das Wachstum will es fortan machen wie Oskar Matzerath, wenigstens für eine Weile. Der Preis des Öls fällt um 10 Cent. Porsche erklärt den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für 2035. Die Bienen atmen auf, die Ferkel feiern Feten. Der Anteil der Veganer in der Bevölkerung steigt um 0,9 Prozent. In all das platzt der erste E-Mobil-Skandal: Die Akkus halten alle eine Stunde weniger als angegeben.

Der Verband klassischer Homöopathen Deutschlands e.V. fordert einen von ihnen als Gesundheitsminister. KGE will nicht Verteidigungsministerin werden.

Hambi bleibt (vielleicht).

Über Nacht steht plötzlich ein Petra-Kelly-Denkmal vor dem Kanzleramt. Igor Levit sitzt daneben und spielt 24 Stunden lang „Imagine“ auf dem Klavier. Am Prenzlauer Berg bekommen die SUVs Sonnenblumen unter die Scheibenwischer gesteckt. Henckel von Donnersmarck will jetzt das Leben von Claudia Roth verfilmen.

Robert Habeck rasiert sich.

Die Partei verzeichnet auf einmal viele Neuzugänge. Begeisterte. Mitläufer. Überläufer.

Die erste Sonntagsfrage nach den Neuwahlen zeigt erste Verluste. Trotzdem, Robert Habeck wird Bundeskanzler. Seine Vereidigung – er trägt einen dunklen Zweireiher von einer bislang unbekannten jesidischen Modemacherin aus Berlin, ein offenes Bio-Hemd mit Knöpfen aus Steinnuss, Budapester Schuhe aus dem Secondhand-Laden, lila Socken von Lidl – schließt er mit der Formel: „So wahr mir meine Frau helfe.“

Seine erste Regierungserklärung beginnt mit der Feststellung, man könne eine Politik nicht mit einem Streich ändern, seine Sprache aber schon. Applaus aus vielen Fraktionen. Noch während der Rede kritisieren Abgeordnete der Regierungspartei per Twitter, Habeck habe die Gendersternchen nicht mitgesprochen. Der neue Kanzler der Bundesrepublik Deutschland schließt endlich mit den Worten: „Das ist die wahre Herausforderung: Zuversicht.“