Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 8. Januar 2020

Kurz vor Weihnachten haben wir die Einladung zu einer Online-Umfrage an 5.000 zufällig ausgewählte Professoren geschickt. Die Bilanz nach einem Tag: 15 Professoren belehrten mich darüber, dass meine Umfragemethoden vollkommen falsch seien und wir vor allem die falschen Fragen stellen würden. Acht unterstellten uns suggestive Fragestellungen, zwei ausdrücklich Manipulationsversuche. Drei Professorinnen beklagten sich darüber, dass im Fragebogen das „dritte Geschlecht“ nicht berücksichtigt ist, zwei monierten eine nicht „gender-gerechte“ Sprache. Eine klärte mich darüber auf, dass der im Fragebogen einmal verwendete Begriff „political correctness“ eine Vokabel der „neuen Rechten“ sei und deswegen in Fragebogen unzulässig. Ein Befragter klärte mich in fehlerfreiem Deutsch darüber auf, dass es ja wohl das Letzte sei, eine Umfrage in Deutschland in deutscher Sprache durchzuführen, und dass er selbst selbstverständlich aus Prinzip nur englische Fragen beantworte. Insgesamt gab es 40 überwiegend negativ-belehrende Kommentare (Experten für sozialwissenschaftliche Methoden waren nicht unter den Autoren). Das entspricht bei einer zu dem Zeitpunkt erreichten Zahl von 644 Interviews einer Besserwisserquote von rund 6 Prozent. Puh. Das lief besser als erwartet.

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Die Professorenbefragung erhellt auch, wie sehr sich inzwischen bürokratisches Denken an den Universitäten nicht nur in der Verwaltung, sondern auch bei den Professoren ausgebreitet hat: Der Fragebogen enthielt auch die Frage, wie viele Mitarbeiter man habe, ob einen, zwei, drei oder mehr. Mehrere Professoren fragten mich daraufhin empört, wie ich nur so dumm sein könne, nicht die Antworten 0,25 oder 0,5 vorzusehen. Ich habe bisher der Versuchung widerstanden, die Betreffenden zu bitten, sie möchten sich ihren Assistenten, auch wenn er vielleicht nur für ein paar Stunden pro Woche zur Verfügung steht, doch bei Gelegenheit wieder einmal anschauen, denn ich sei mir recht sicher, dass er nicht ein halber sondern ein ganzer Mensch sei.

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Im „Spiegel“ lese ich einen Jubelbericht über den Umbau einer alten Scheune in ein Ferienhaus: „Für ihr Wochenendhaus am Chiemsee baute die Münchner Architektin Stephanie Thatenhorst das Heulager auf dem Bauernhof ihrer Familie um zu einem Refugium, in das sie flüchten kann aus dem Grau des Alltags.“ Dazu eine Bildergalerie: Sämtliche Wände und der Fußboden der Wohnung bestehen aus unverputztem und durch nichts abgedecktem Beton. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Alltag noch grauer sein soll.

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Ich blättere gerne in den Supermarktprospekten, die am Wochenende in meinen Briefkasten geworfen werden. Seit einigen Monaten bereitet die Lektüre oft ein besonderes Vergnügen, weil in der Redaktion des EDEKA-Prospekts ein Scherzkeks sitzt, der Kalauer zwischen den Anzeigen unterbringt, die einen beträchtlichen Sprachwitz zeigen. Da wird dann eine Seite, auf der Geflügel angeboten wird, überschrieben mit „Lust auf Hähnchenhalten?“ Auf der Fischseite steht „Qualität höchsten Fanges“, auf der mit Haushaltsartikeln „Hausgesuchte Angebote“ usw. Nun las ich, dass EDEKA einen Sturm moralischer Empörung ausgelöst und sich den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit eingehandelt hat. Das Vergehen: Im Prospekt war eine Seite mit Angeboten für Damenhygieneartikel überschrieben mit „Tolle Tage“. Man wünscht sich die offene und tolerante Gesellschaft des Kaiserreiches zurück.

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Warum sieht man in Bioläden eigentlich fast nie einen lächelnden Menschen?

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Zwei Erlebnisse aus dem Alltag. 1.: Meine elfjährige Tochter erzählt, dass sie als Sternsängerin kein Geld annehmen darf. Wenn also nach einem geglückten Vortrag die Omi den Kindern ein Euro-Stück zustecken möchte, müssen diese es zurückweisen. 2.: Vor einigen Jahren lief ein Büttel über den örtlichen Weihnachtsmarkt und verbot mit großer wichtiger Geste den Eltern der Kindergartenkinder den Verkauf des selbstgemachten Marmorkuchens, weil auf dem Stand keine Liste mit Zutaten und allergieauslösenden Inhaltsstoffen auslag. Dieses Land wird nicht im Krieg untergehen. Es wird nicht in Verbrechen und Korruption versinken, auch nicht in einer Umweltkatastrophe enden oder aussterben. Es wird an seinen Ämtern zugrunde gehen.

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Rainer Zitelmann macht mich auf eine Aussage von Marcel Reich-Ranicki aufmerksam: „Die anständigen Menschen arbeiten wegen des Ruhms und des Geldes. Die unanständigen wollen die Welt verändern und die Menschen erlösen.“

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Zitelmann selbst schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung: „Steve Jobs, dessen iPhone mehr als 30 Geräte überflüssig gemacht hat, trug allein damit mehr zur Ressourcenschonung bei als die neuen Öko-Apokalyptiker, die nicht mehr als eine gute idealistische Gesinnung vorweisen können.“

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Für ein etwas schwieriges, aber auch besonders interessantes Forschungsprojekt kontaktierte ich an einer deutschen Elite-Universität einen Professor, der, wie ich meinte, über das Fachwissen verfügte, das mir für das Projekt fehlte. Ich bot ihm an, den Fragebogen für die geplante Umfrage gemeinsam zu entwickeln: Er solle mir helfen, die richtigen Fragen zu stellen, und bekäme im Gegenzug die Daten, mit denen er machen könne, was er wolle. Er entgegnete, dass er daran kein Interesse habe. Was ich vorhabe, sei zwar eigentlich sehr interessant, aber leider auch gänzlich neu und habe damit keine Chance, in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlicht zu werden. Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da war mir schon klar, dass ich mit diesem Menschen nie wieder etwas zu tun haben wollte. Nicht, weil er mein Angebot abgelehnt hatte, sondern wegen der Begründung: Wie kann es sein, dass ein Mann den Ruf auf einen Lehrstuhl an einer deutschen Elite-Universität erhält, der offen bekennt, dass er sich nicht für Neues interessiert. Und wie soll sich eine Wissenschaft weiterentwickeln, in der Neues nicht akzeptiert wird?