Wann, wenn nicht jetzt?
In vier Wochen beginnen in Iowa die Vorwahlen der Demokratischen Partei in den USA. Trotz Impeachment – um Donald Trump aus dem Amt zu kriegen, wird es auf die Präsidentschaftswahlen im November ankommen. Und auf die Lernfähigkeit der Demokraten. Ein Blick zurück nach vorne.
Ich hatte im Jahr 1996 die Gelegenheit und das Glück, einige Zeit in den USA zu verbringen und den damaligen Präsidentschaftswahlkampf zu verfolgen. Das brachte mich in New York auch zu einer sehr gut besuchten Veranstaltung der Grünen Partei. „Der Grünen Partei?“, werden Sie jetzt fragen. Ja, das war damals, während der Präsidentschaft von Bill Clinton der Inbegriff des Neuen und Progressiven. Und tatsächlich hatten die amerikanischen Grünen mit Ralph Nader auch einen kompetenten Kandidaten. Nader war ein ziemlich erfolgreicher und charismatischer Verbraucheranwalt, der es schon in den 1970er-Jahren verstanden hatte, der Automobilindustrie die Hölle heiß zu machen. Seine Kandidatur wurde gefeiert, und die ganze grün-alternative Euphorie gipfelte in dem Slogan: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Man spürte Rückenwind, weil nach vier Jahren Clinton-Administration die Erwartungen enttäuscht worden waren. Aber wann wurden bzw. werden Erwartungen in der einen oder anderen Weise nicht enttäuscht?
Gleichzeitig, so konnte man damals mutmaßen – wie ich es irrigerweise tat –, ließe sich dieser grüne Versuchsballon auch völlig gefahrlos aufpumpen, weil Clinton von einer prosperierenden Wirtschaft profitierte und der Milliardär Ross Perot wie schon vier Jahre zuvor als unabhängiger Kandidat antrat und dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole viele Stimmen wegnähme, so dass dieser den Demokraten und Bill Clinton überhaupt nicht gefährlich werden könnte. So kam es auch, Clinton wurde klar bestätigt, und Nader landete bei harmlosen 0,7 Prozent, war also zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Widerwahl Clintons. Doch trotz dieses niederschmetternden Ergebnisses hatte Ralph Nader wohl Blut geleckt. Er trat im Jahr 2000 erneut an, als es hieß: der Republikaner George W. Bush gegen den Demokraten und Clintons Vizepräsidenten Al Gore, der sich Anfang der 1990er-Jahre mit seinem Buch Earth in Balance einen Ruf als ökologischer Vordenker und Umweltpolitiker gemacht hatte. Dessen ungeachtet begründete Nader seine Kandidatur mit den fehlenden politischen Unterschieden zwischen Bush und Gore. Je nach Standpunkt im System kann man das auch teilweise so sehen – und gleichzeitig ist es natürlich ein gewaltiger Humbug.
Die Demokraten waren damals jedenfalls von Anfang an alarmiert, weil sie ein enges Rennen vermuteten – ein bei US-Präsidentschaftswahlen gar nicht so seltenes Ereignis. Trotzdem ließ sich Nader nicht dazu überreden, wenigstens in einigen besonders engen Bundesstaaten mit wechselnden Mehrheiten, den sogenannten „Swing States“, auf eine Kandidatur zu verzichten. Seine Kampagne lief tatsächlich gut, er rechnete mit einem guten Ergebnis und hatte recht: Er kam diesmal auf rund drei Millionen Stimmen, das machte 2,7 Prozent und – null Wahlmännerstimmen, denn die Regel des Spiels lautet ja: The Winner Takes All.
Wer es vergessen hat: In Florida bekam Nader damals 97 Tausend Stimmen und George W. Bush gerade mal 600 mehr als Gore, was ihm aber nach einigen juristischen Scharmützeln alle Wahlmännerstimmen Floridas sicherte und damit die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Rest ist Geschichte: Bush und sein Vize Cheney führten mit fadenscheinigen Begründungen u.a. Krieg im Irak mit all seinen Konsequenzen; Gore setzte sich fortan außerhalb der Politik für den Klimaschutz ein und erhielt dafür 2007 den Friedensnobelpreis.
(Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es vor vier Jahren die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein und der Libertäre Gary Johnson insgesamt auch auf über vier Prozent der Stimmen brachten, aber ohne letztlich wahlentscheidend zu sein, obwohl das bei Jill Stein für einen Moment anders aussah.)
SICH SELBST EIN BEIN STELLEN
Wenn man sich all dessen erinnert, verwundert es nicht, dass im letzten Jahr das Gerücht bei den Demokraten für Aufregung sorgte, Russland könnte einen dritten, linksliberalen Kandidaten (Namen tun hier nichts zur Sache) installieren oder unterstützen, nur um wenige, aber entscheidende Prozentpunkte dem Demokratischen Kandidaten abzuluchsen und so Trump zur Wiederwahl zu verhelfen. Wahrscheinlich wird nichts aus dieser Verschwörung. Und auch Michael Bloomberg der vor ein paar Wochen noch auf den Vorwahlzug aufgesprungen ist, würde nicht als Unabhängiger kandidieren, wenn er die Nominierung auf dem Parteitag der Demokraten im Frühsommer nicht bekäme. Tatsächlich hat sich aber jetzt der Ex-Republikaner Lincoln Chafee dazu entschlossen, auf dem Ticket der Libertären zu kandidieren. Dass er damit Donald Trump eine größere Zahl an Stimmen und in den richtigen Bundesstaaten abnimmt, ist eher unwahrscheinlich. Größer ist die Gefahr, dass sich die Demokraten wie vor vier Jahren selbst ein Bein stellen.
Das Land hat ja – auch wenn es manchmal nicht so scheint – eine wertkonservative, liberale, progressive Mehrheit. Sie muss nur mobilisiert werden, vor allem natürlich in den sogenannten Swing States wie Florida, Pennsylvania, Ohio, Michigan und acht weiteren Staaten. Klagen über den Einfluss von Milliardären, das ungerechte Prinzip des Wahlleutegremiums (Electoral College) usw. sind so sinnvoll wie die Klage eines Fußballspielers über die besondere Körpergröße und Sprungkraft des gegnerischen Torhüters.
Auf drei Punkte wird es ankommen, um Trump zu schlagen: die richtige Strategie in den Swing States, während des Impeachments und letztlich auf den Kandidaten oder die Kandidatin.
DIE GEFAHR DER FALSCHEN THEMEN
Wer immer sich nach der langen und anspruchsvollen Prüfung als Bewerber für dieses eine besonders anspruchsvolle Amt im Weißen Haus durchsetzt, er oder sie wird den Blick vor allem auf die Sorgen der Mittelschicht wenden (die im übrigen denen in Europa ähneln): Triggerthemen wie unkontrollierte Migration, Wohlstandsverluste bzw. Abstiegsängste wegen Globalisierung und Digitalisierung, Umbau der Wirtschaft wegen der ökologischen Herausforderungen, von denen sich auch die USA nicht absentieren können etc. – also im Ganzen das Gefühl von Verunsicherung und dass es auf breiter Linie abwärts geht oder gehen könnte. Der Charakter Trumps, sein fragwürdiger Umgang mit offensichtlichen Wahrheiten, seine zur Schau gestellte Verachtung für Andersdenkende und Minderheiten, sein Missbrauch der Institutionen und sein Desinteresse an den Paragraphen und Werten der Verfassung werden weniger wahlentscheidend sein als die Antworten der Demokraten auf die Fragen über die Zukunft des Landes. Natürlich ist die Person Trump und sein Verbleiben im Präsidentenamt auch eine entscheidende Frage für die Zukunft der USA. Es könnte sogar eine Schicksalsfrage sein. Und das nicht nur wegen seines Hangs zu außen- und sicherheitspolitischem Hasard, dessen Konsequenzen für die Wahl nicht absehbar sind. Aber je weiter man von der Hauptstadt entfernt ist – und das ist in den europäischen Hauptstädten genauso –, sind die politischen Prioritäten anders, nämlich alltäglicher, lebensnäher und tatsächlich weniger parteipolitisch.
Das Impeachment könnte – so legitim es ist – ein Problem für die Demokraten werden, denn das Repräsentantenhaus hat sein Pulver verschossen, und nun wird sich der Senat mit seiner republikanischen Mehrheit mit der Causa beschäftigen und es zu einem Tribunal gegen die Demokraten umwidmen, wann es ihm am günstigsten dünkt.
Leider sind die Sitten mittlerweile so: Jedes Gran an gegenseitigem Respekt, Überparteilichkeit und Gemeinsamkeit in Grundsatzfragen ist in der Post-Clinton-Ära verloren gegangen, alles Handeln wird dem Machterhalt untergeordnet. Wer auch immer aussichtsreicher Kandidat der Demokraten werden will, er dürfte gezwungen sein, sich weitgehend außerhalb des Kanonenrauchs aufzuhalten, den die Schlacht im Senat produzieren wird. Das dürfte nicht leicht sein, ist aber auch die Chance, sich als überparteilicher Repräsentant des Volkes und Wahrer amerikanischer Interessen und Werte zu inszenieren. Partikularthemen werden wahrscheinlich an der Stelle nicht weiterhelfen.
Letztlich kommt es aber auf die Basis an: Wen werden die Demokraten als ihren Kandidaten wählen? Einen der drei bislang in Umfragen Führenden: Joe Biden, Bernie Sanders oder Elisabeth Warren? Oder doch den Youngster und Außenseiter Pete Buttigieg, der sich durch geschickte Akquisition von Wahlkampfspenden und einiger finanzstarker Unterstützer bislang einfach nicht abschütteln lässt? Oder doch den ehemaligen Bürgermeister von New York City und Milliardär Michael Bloomberg? Man kann einfach nur hoffen, dass sie nicht den kompromisslosen Wünschen und sektiererischen Rechthabereien der neuen Linken innerhalb der Partei folgen. Bedenklich, dass Anhänger von Bernie Sanders schon angekündigt haben, keinen anderen Kandidaten unterstützen zu wollen, wenn sich ihr Mann bei den Vorwahlen nicht durchsetzt. Möge dies keinen Trend in der Partei widerspiegeln, sondern nur der übliche, aber letztlich folgenlose linke Sektiererirrlauf bleiben!
Es wäre zudem nicht schlecht, könnte man die Grüne Partei überreden, keinen Kandidaten zumindest in den Swing States aufzustellen. Noch weiß man nichts Verbrieftes über die grünen Absichten, und auch das Potential wird nicht mehr so groß sein wie im Jahr 2000. Aber: Es kommt auf jede Stimme an!
Und genau das müssen sich die Demokraten bis zu den Präsidentschaftswahlen Anfang November immer und immer wieder vor Augen führen: dass es eng wird – und dass sie an einem Strang ziehen müssen. Wann, wenn nicht jetzt?