Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 11. Februar 2020

Es gibt drei Kandidaten: Der erste tritt für eine zumindest in Teilen linksradikale Partei an, der zweite für eine rechtsradikale, der dritte für eine demokratische Partei der Mitte. Es ist nicht das Ende der Demokratie, wenn der Kandidat der Mitte die Abstimmung gewinnt. Das Ende der Demokratie wäre aber nahe, wenn die Parteien der Mitte ihre Kandidaten nicht mehr zur Wahl stellen und damit den Radikalen kampflos das Feld überlassen würden vor lauter Angst, sie könnten von den Falschen gewählt werden.

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Chemische Düngung und Schädlingsbekämpfung, Konservierung von Lebensmitteln, freier Handel, Fernhandel, eine auf Wettbewerb, Eigentum und Eigenverantwortung gegründete Volkswirtschaft, Verbrennungsmotoren, Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke, motorisierte Flugzeuge und Schiffe, industrielle Massenproduktion, Kunststoffe, eine auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende, durch chemische Industrie und technische Geräte unterstützte Medizin, Automobile, Atomkraftwerke, Gentechnik. Wer dies alles ablehnt – man könnte auch vereinfacht sagen: Wer die meisten großen Neuerungen der letzten 500 Jahre ablehnt, den bezeichnet man in deutschen Intellektuellenkreisen als „progressiv“.

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Mit großem Furor ziehen neuerdings Bußprediger gegen Kreuzfahrten zu Felde: Diese seien ungeheuer umweltschädlich, verpesteten die Meere, ruinierten das Klima, versenkten Venedig usw. Hier sind vielleicht ein paar Zahlen interessant: Nach den Angaben des Umweltbundesamtes sind derzeit rund 90.000 Schiffe auf den Weltmeeren unterwegs, Fischerei nicht mitgerechnet. Darunter sind 500 Kreuzfahrtschiffe. Wer glaubt, dass diese besonders groß seien und besonders viel Energie benötigten, dem sei empfohlen, einmal in Hamburg oder Rotterdam eine Hafenrundfahrt zu unternehmen. Zwar sind die allergrößten Kreuzfahrtschiffe in ihren äußeren Abmessungen nicht sehr viel kleiner als die großen Containerschiffe (360 gegenüber 400 Meter Länge), aber bei der Verdrängung zeigen sich die Unterschiede: Das derzeit größte Kreuzfahrtschiff, die „Synphony of the Seas“, hat eine Tragfähigkeit von 18.000 Tonnen. Das größte Containerschiff, die MSC Megamax 24, trägt 228.000 Tonnen, der größte Schüttgutfrachter, die Yuan He-Hai, 402.000 Tonnen und der größte Öltanker, die TI Europe, 442.000 Tonnen. Würde man von morgen an sämtliche Kreuzfahrten einstellen, würde man dadurch ein halbes Prozent des weltweiten Schiffsverkehrs (ohne Fischerei) und einen noch kleineren Teil des Verbrauchs an Schiffsdiesel einsparen. Hurra, wir retten die Welt! Aber immerhin kann man anderen Leuten völlig unnötig den Urlaub madig machen und sich dabei auch noch moralisch überlegen fühlen.

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Ganz schlimm: Nahrungsmittel sind preisgünstig.

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Vor Jahren spazierte ich einen ganzen Tag lang kreuz und quer durch New York. In einer Nebenstraße im südlichen Manhattan stieß ich auf einen kleinen Flohmarkt. Auf den ersten Blick schien nichts Ungewöhnliches daran zu sein, doch auf den zweiten Blick stellte ich fest, dass an fast jedem zweiten Stand deutsche Bücher angeboten wurden. Viele deutsche Bücher, viel mehr als englische. Sie stammten überwiegend aus den 50er und 60er Jahren, viele Buchclub-Ausgaben. Unterhaltungsliteratur der damaligen Zeit: Simmel, Konsalik usw., aber auch die Bestseller der anspruchsvolleren Literatur: Böll, Frisch, Grass, Bachmann. Die Atmosphäre auf diesem Flohmarkt war angenehm, doch es war aus zwei Gründen ein trauriger Ort: Zum einen zeigte er das Heimweh der Emigranten. Viele von ihnen waren in den 30er Jahren knapp aus dem Land entkommen, in dem sie verfolgt worden waren und in dem ihre Verwandten drangsaliert und umgebracht wurden, und doch wurden sie ihre Heimat nicht los und ließen sich noch Jahrzehnte später Bücher von dort schicken. Nach ihrem Tod aber, und das ist der zweite traurige Aspekt, konnten ihre Kinder und Enkel mit den Büchern nichts mehr anfangen. Vermutlich konnten die meisten sie gar nicht lesen, also boten sie sie für Centbeträge auf dem Flohmarkt an, wo niemand sie kaufte. Wer sich über den Niedergang der transatlantischen Beziehungen wundert, sollte in New York einen Flohmarkt besuchen.

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Man wird den Verdacht nicht los, dass eine Gesellschaft, in der sich die Leute ständig selbst fotografieren, eine Gesellschaft ist, in der sich die meisten vor allem für sich selbst interessieren.

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Fast schon lustig ist die unterschwellige Provinzialität der sich doch so gerne weltläufig gebenden überregionalen Medien. Liest man die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, gewinnt man den Eindruck, Frankfurt sei die bedeutendste Metropole Europas. Ähnliches gilt für den „Spiegel“ und Hamburg. Nun hat der Deutschlandfunk aufgehört, Verkehrsnachrichten zu senden. Für die allermeisten Hörer ist das kein Verlust angesichts der Tatsache, dass die Redaktion ohnehin fast nur Staus in und um Köln der Meldung wert befunden hatte.

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Wenn die Schlagzeile lautet: „Börsenexperte warnt“ oder „Finanzprofi rät“, ist die Lektüre des Artikels Zeitverschwendung.

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Die ehemalige slowakische Ministerpräsidentin Iveta Radicova zitiert Hannah Arendt mit dem Satz „Die zweite Seite der Demokratie ist Korruption.“ Ich bin kein Hannah-Arendt-Experte, kann mir aber gar nicht vorstellen, dass sie etwas so Dummes gesagt – oder zumindest gemeint – haben soll. Tatsächlich ist natürlich das Gegenteil richtig: Zwar gibt es unbestritten auch in Demokratien Korruption, aber die Liste von „Transparency International“ zeigt Jahr für Jahr, dass das Problem in totalitär regierten Ländern viel größer ist. Wie sollte es auch anders sein: In der Demokratie kann man den Rechtsweg beschreiten, wenn man sich von Vertretern des Staates ungerecht behandelt fühlt. In der Despotie muss man sich dagegen ihre Gunst erkaufen.