Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 2. November 2017

Wenn jemand eine Aussage mit „Ich bin ehrlich…“ beginnt, folgt meistens eine Unverschämtheit – und nicht selten gleich eine zweite Lüge.

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Es war, glaube ich, die Neue Zürcher Zeitung, die darauf hinwies: Rette sich wer kann vor Politikern, die Gesetzesinitiativen damit begründen, dass sie ein „Zeichen setzen“ wollen. Sie verwechseln Propaganda mit der Wirklichkeit. Politiker können nicht „Zeichen setzen“, sondern nur Gesetze machen, die dann, wenn sie einmal in der Welt sind, von einer beflissenen Bürokratie erbarmungslos umgesetzt werden. Das „Zeichen“ ist schnell vergessen, aber die Gesetze wird man meist nie wieder los.

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Eine honorige liberale Institution lud nach Berlin zur Podiumsdiskussion über den Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Auf dem Podium: Ein Ökonom, ein Politiker und ein Soziologe. Der Ökonom sprach tatsächlich über Freiheit und Sicherheit. Doch die anderen beiden Referenten interessierten sich offensichtlich nicht für das Thema. Sie verkündeten stattdessen, dass Einwanderer in Deutschland eine minderwertige Auswahl an Personen aus ihren Herkunftsländern seien und unsere Sozialkassen plünderten. Die Bundesregierung sei verrückt und die Bundeskanzlerin bösartig. Die deutsche Presse sei von der Regierung gelenkt und die Europäische Union eine Diktatur. Die Darlegungen wurden immer wieder unterbrochen von heftigem Applaus aus dem Publikum, das dann in der anschließenden Fragerunde die Referenten zusätzlich befeuerte, beispielsweise mit der These, dass die Einwanderer die deutschen Kinder vergewaltigten und sich dann in unseren Gefängnissen eine schöne Zeit machten. Man kann nur hoffen, dass die Referenten sich ihr Publikum mitgebracht hatten. Denn wenn das die liberale Gesellschaft der Hauptstadt sein soll, möchte man sich nicht die nichtliberale vorstellen.

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In Hergés „Tim und Struppi“-Comics reisen die Helden bereits in den 50er Jahren zum Mond. In einer späteren Folge der Reihe werden sie einem Industriellen vorgestellt mit dem Verweis darauf, dass sie die ersten Menschen seien, die den Mond betreten hätten. Der Industrielle antwortet: „Ich glaube, ich habe mal irgendwas über Ihre Expedition gelesen, aber die Börse war wohl nicht davon betroffen.“ Diese hübsche kleine Karikatur illustriert gut, warum Unternehmer, obwohl sie über Wissen verfügen, das in der Politik bitter notwendig wäre, dennoch in aller Regel selbst keine guten Politiker sind.

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In einem Manuskript, das ich für eine politikwissenschaftliche Fachzeitschrift begutachten muss, lese ich den folgenden Satz: „…es ist daher zu erwarten, dass sich Journalisten auch den Sachkundigen zuwenden (…). Nach Habermas (2008, S. 416) kann diese Sprechergruppe als Experten bezeichnet werden.“ Da ist mehr als nur eine Stilblüte. Eine Wissenschaft, in der man glaubt, sich auf Autoritäten berufen zu müssen, bevor man Sachkundige als Experten bezeichnet, ist verloren.

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Es müssen bösartige Charaktere gewesen sein, die das ungeschriebene Gesetz der sogenannten feinen Küche durchgesetzt haben, wonach die einzige akzeptable Nudelform die der Bandnudel sei, während gleichzeitig gebundene Soßen pauschal als „Mehlpampe“ denunziert werden. Die Folge ist, dass man bei Geschäftsessen Nudelgerichte stehen lassen muss, weil die Nudeln unvermeidlich von der Gabel rutschen und patschend in die Pfütze auf dem Teller zurückfallen würden – mit der ebenso unvermeidlichen Folge, dass man nach dem Essen Hemd und Krawatte wechseln müsste. Eine wirklich feine Küche sorgt dafür, dass nicht nur die Gerichte selbst appetitlich sind, sondern auch appetitlich verzehrt werden können.

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Im Radio wird berichtet, dass viele Schüler Schwierigkeiten haben, Probleme durch selbständiges, kreatives Denken zu lösen. Der Radiokommentator leitet daraus die Forderung ab, es müsse an den Schulen mehr selbständiges Lernen geben. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie unscharfes Denken zu falschen Entscheidungen führen kann: Es geht nicht um selbständiges Lernen, sondern um das Erlernen von Selbständigkeit. Dies gelingt aber zumindest nach meiner Erfahrung am besten unter intensiver Anleitung, also unselbständiges Lernen.

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Eine Bürgermeisterin wird von ihrer eigenen Partei mit Intrigen aus dem Amt gedrängt. Sie schreibt daraufhin ein Buch, in dem sie den Verlauf der Intrigen aus ihrer Sicht darstellt. Eine führende Tageszeitung lässt das Buch von ihrem größten Gegner in der Partei besprechen, der wahrscheinlich wesentlich an ihrem Sturz beteiligt war. Es ist keine Überraschung, dass die Buchbesprechung vernichtend ausfällt. Der Hauptkritikpunkt ist, dass das Buch larmoyant sei.

Zum einen fragt man sich, was die Zeitung dazu getrieben haben mag, den Hauptintriganten die Rezension schreiben zu lassen. Mit dem Selbstverständnis, den Leser mit möglichst sachlicher Information zu versorgen, ist das Vorgehen jedenfalls nicht in Einklang zu bringen. Vor allem aber ist der Vorwurf der Larmoyanz aufschlussreich. Er gehört zu den hässlichsten Mitteln, einen Menschen mundtot zu machen. Er wird stets von Leuten erhoben, die sich jemand anderem gegenüber unfair verhalten haben und nun diesem auch noch das Recht abzusprechen versuchen, die Unfairness beim Namen zu nennen. Das ist, wie wenn der Schulrüpel den Mitschüler die Treppe hinunterstößt und diesem dann, wenn er sich darüber beklagt, hinterherruft: „Jetzt heult er auch noch.“

Wahrscheinlich ist man generell gut beraten, sich von Leuten fernzuhalten, die anderen Menschen Larmoyanz vorwerfen.

 

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Thomas Petersen berichtet in der Reihe „Mein Books of Kells“ in unregelmäßigen Abständen über das, was sich über die Jahre in seinem Notizbuch angesammelt hat. Die „Mein Book of Kells“-Reihe kann hier nachgelesen werden.