Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 29. Dezember 2017

Ein Bekannter, der aus langjähriger Geschäftstätigkeit in führenden Positionen in Russland dort über sehr gute Kontakte verfügt, schickte mir neulich die Abschrift eines heimlich angefertigten Mitschnitts der Redaktionsbesprechung einer russischen Zeitung zu. Die Chefredaktion war vom Regime entfernt worden. Nun stellten sich die neuen Chefredakteure vor. Sie sagten den Mitarbeitern, diese müssten sich keine Sorgen machen: Es sei nicht beabsichtigt, an der redaktionellen Linie des Blattes etwas zu ändern. Jeder könne weiterarbeiten wie bisher. Aber natürlich müssten sich alle an die Regeln halten, wenn sie ihren Job behalten wollten, doch das sei ja eine Selbstverständlichkeit. Es sei nicht anders als im Straßenverkehr, wo man ja auch nicht straflos die durchgezogenen Linien überfahren dürfe. Auf die Nachfragen der Redakteure, wo denn die durchgezogenen Linien verliefen, weigerten sich die Chefredakteure, eine klare Antwort zu geben.

Wie im Lehrbuch kann man hier sehen, wie sich totalitäre Regmine die Bürger gefügig machen, nämlich eben nicht mit eindeutigen Befehlen, wie viele glauben, sondern mit Unklarheit, verbunden mit Sanktionsdrohungen. Die Folge ist Unsicherheit, die Angst, folgenreiche Fehler zu begehen, ohne es zu wissen. Die logische Konsequenz ist die Unterwerfung unter diejenigen, die über das geheime Wissen zu verfügen scheinen und einen deswegen vermeintlich vor der Gefahr schützen können. Folgerichtig baten die Mitarbeiter die Chefredakteure, künftig zu prüfen, ob sie mit ihren Artikeln die durchzogenen Linien überquerten. Auf diese Weise bringt man Journalisten dazu, selbst nach der Zensur zu rufen.

Mein Bekannter bot das Dokument ihm persönlich bekannten Fachjournalisten an. Doch obwohl die deutschen Medien sonst keine Gelegenheit auslassen, sich lautstark über Gefährdungen der Pressefreiheit zu beklagen (während ihnen beispielsweise die Gefährdung der Forschungsfreiheit weitaus weniger wichtig zu sein scheint), interessierte sich keiner dafür.

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An den pädagogischen Hochschulen scheint es als der Gipfel des Fortschrittes zu gelten, einfache, für jeden auch nur halbwegs verständigen Menschen offensichtliche Tatsachen auf den Kopf zu stellen: Während seit Bologna die Studenten auf Punkt und Komma vorgeschrieben bekommen, was sie zu lesen und zu lernen hätten, so dass ihre Eigenständigkeit und wissenschaftliche Kreativität im Keim erstickt werden, werden an den Grundschulen Erstklässler mit Forderungen traktiert, „selbstbestimmt“ zu lernen. Kürzlich berichtete jemand auf einer Tagung, dass die Klassenlehrerin seines Kindes die Schüler aufgefordert habe, sich selbst einen Buchstaben auszusuchen, den sie lernen möchten. Wäre es nicht vielleicht doch angebracht, dass sich die akademische Pädagogik zumindest ein wenig mit Entwicklungspsychologie befasst und ihren Studenten wenigstens einfachste Grundkenntnisse auf diesem Gebiet vermittelt, bevor man sie auf die Kinder loslässt?

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Sozialismus ist Opium fürs Volk.

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Unter den Rechtsanwalts- und Arztsöhnchen, die den Stadtteil meiner Kindheit bevölkerten, war es üblich, über Neureiche die Nase zu rümpfen. Doch was bedeutet das eigentlich? „Das heißt“, bemerkte meine Schwester trocken, „dass jemand sein Geld selbst verdient hat.“

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Fernhalten muss man sich wohl von Organisationen, deren Name auf „-watch“ endet: „Foodwatch“, „Abgeordnetenwatch“, „Germanwatch“ etc. Manche davon mögen im Prinzip löbliche Unternehmungen sein, doch der Name verrät die Anmaßung des selbsternannten Polizisten, der glaubt, anderen vorschreiben und kontrollieren zu dürfen, was sie zu denken und zu tun hätten. Das kann in Extremfällen gar totalitäre Züge annehmen. Die Linksextremisten, die seit Jahren anonym den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler drangsalieren, weil er sich ihrer Weltsicht widersetzt, haben eine Internetseite eingerichtet, auf der Münkler regelmäßig mit neuen „Enthüllungen“ verunglimpft wird. Ihr Name: „Münkler-Watch“.

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Die Zeitungen meldeten kürzlich, dass in Plauen künftig Erich Ohsers „Vater und Sohn“ als Ampelmännchen zu sehen sein werden. Auch in Mainz gibt es Ampel-Mainzelmännchen (oder muss es heißen: Mainzel-Ampelmännchen?). Man kann sich Ähnliches für manche andere Stadt gut vorstellen: Asterix und Obelix in Paris, Tim und Struppi in Brüssel, Max und Moritz in Hannover, Werner in Kiel. Man sollte meinen, das sei eine nette Sache, gegen die niemand etwas haben kann, doch kürzlich ist in Stuttgart der Versuch gescheitert, eine Ampel mit den lokal aus dem Südfunk-Fernsehen bekannten und beliebten Figuren „Äffle und Pferdle“ aufzustellen. Eine solche Ampel sei nicht zulässig, weil laut Straßenverkehrsordnung nur Ampelmännchen erlaubt seien, und es sich beim Äffle und beim Pferdle eindeutig nicht um Männchen sondern um Tiere handele. Auch der bescheidenste, harmloseste Humor muss an der Wand schwäbischer Beamtengründlichkeit zerschellen.

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Das ganze Elend der Energiewende wird illustriert durch eine Notiz des Hausmeisters, die an der Tür einer Damentoilette am Allensbacher Institut hängt, die wochentags zusammengenommen vielleicht zwanzig Minuten lang benutzt wird: „Bitte das Licht anlassen. Hier leuchten Energiesparlampen, deren Lebenserwartung durch Dauerbetrieb deutlich verlängert wird.“

 

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Thomas Petersen berichtet in der Reihe „Mein Books of Kells“ in unregelmäßigen Abständen über das, was sich über die Jahre in seinem Notizbuch angesammelt hat. Die „Mein Book of Kells“-Reihe kann hier nachgelesen werden.