Politische Popkultur hatte unser Autor stets gehasst. Heute hält er sie für unverzichtbar – und schöpft Hoffnung.

Der Erkenntnisgewinn politischer Talkshows liegt für Newsjunkies wie mich bei Null, weshalb ich nur alle paar Monate mal – vermutlich getrieben von einem unbewussten Masochismus – bei Hart aber Maischwillner reinschalte. Ein besonderes Ärgernis waren und sind mir stets Gäste, die ihre Prominenz einer künstlerischen Tätigkeit verdanken, aber irgendwie halt grade Zeit hatten, und sich dann zu politischen Themen äußern sollen. Ausnahmen: Dominic Boeer, den man zwar auch aus Seifenopern kennt, der aber neben seinem Aussehen auch die Kompetenz als Dozent für politische und mediale Kommunikation mitbringt, sowie die großartige Samira El Ouassil, die einen Master of Arts in Politik, Philosophie und Wirtschaft hat und bei den Kollegen von“ Übermedien“ kolumniert. Andere Schauspieler haben in einer Polittalkshow nichts verloren. Dass Taylor Swift ihre Millionen Fans jahrelang nicht damit behelligte, was sie zu politischen Fragen so dachte, sondern sich einfach aufs Singen beschränkte, rechnete ich ihr hoch an. Ansonsten war ich stets bei Alice Cooper:

„If you’re listening to a rock star in order to get your information on who to vote for, you’re a bigger moron than they are. Why are we rock stars? Because we’re morons. We sleep all day, we play music at night and very rarely do we sit around reading the Washington Journal.”

Kunst fand für mich stets in einer anderen Sphäre statt als Politik, und sobald sie politisch wird, wird sie meist grottig unterkomplex, Grüße an Banksy. (Wobei The Walled Off Hotel ein schönes Wortspiel ist, immerhin.) Wäre ich nicht in der Lage, Werk und politische Aussagen des Künstlers voneinander zu trennen, wäre ein Großteil der besten Kunst gänzlich ungenießbar. In der Woche nach der Wahl Trumps habe ich genau ein einziges Mal abschalten können: Beim Jazzkonzert der bezaubernden Anna Margolina. Und dann kam die Planung der Amtseinführungsfeier und meine Meinung von gestern interessierte mich nicht mehr. Taylor Swift sagt ab, wow! Celine Dion sagt ab, wow! Andrea Bocelli sagt ab, wow! Der Countrysänger Garth Brooks, den hierzulande niemand kennt, der aber Anfang der 90er in den USA mehr Alben verkauft hatte als Elvis, sagt ab, Doppelwow! Jemand wie Garth Brooks kann im total polarisierten und politisierten Meinungsklima der USA mit so einer Absage gleich mal die Hälfte der für die nächste Tour gebuchten Megastadien canceln.

Man kann heute kein unpolitischer Künstler sein. Ich möchte meinen Freund Björn Casapietra nach wie vor nicht in der Phoenix Runde sehen, aber dass er bei seinen Auftritten in dunkeldeutschen Kleinstädten (Übrigens eine schöner als die andere, ich war diesen Sommer viel auf dem Land unterwegs und stellte fest: Die von Kohl versprochenen blühenden Landschaften wurden geliefert wie bestellt.) jedes Mal erklärt, dass es schlicht unanständig ist, Faschisten zu wählen, rechne ich ihm hoch an. Andrew Breitbart, der inzwischen verstorbene Gottvater des Trolluniversums, dessen Shitlords Trump erst ermöglicht hatten, hatte nämlich völlig recht: “Politics is downstream from culture.” Und das lässt mich hoffen, dass Trump – leider vielleicht nach einer zweiten Amtszeit – die USA nicht unwiederbringlich und dauerhaft ruiniert haben wird, sondern als die Anomalie in die Geschichte eingehen wird, die er ja bereits zweifelsfrei ist. Und diese Hoffnung hat konkret zu tun mit einem Bild, das heute in meinem Instagramfeed aufgetaucht ist.

Dieselben Sozialen Medien, die dafür sorgten, dass das „Overton Window“, also der Rahmen des Sagbaren derart erweitert wurde, dass Trump selbst nach Pussygate die Wahl nicht verlor, sorgen eben auch dafür, dass die derzeit beste Sängerin der Welt wirkmächtig Werbung für Bernie Sanders macht. (Was übrigens ebenfalls mutig ist, denn sie gehört ganz sicher zu den Leuten, die Sanders zu Tode besteuern würde.) Und der hat seinerseits das Overton Window bereits soweit verschoben, dass jemand der sich als „Socialist“ bezeichnet, nach aktuellen Umfragen auf Platz drei der Kandidaten der Demokraten landet. Die Sängerin, immer schon eine LGBTQ-Advokatin, die im Gegensatz zum Kind im Weißen Haus auch den Umgangston trifft (siehe ihre Reaktion auf den islamistischen Anschlag auf ihr Konzert in Manchaster), selbstreflektiert (siehe dieses Interview sowie ihre Comebacksingle nach der wegen des Anschlags abgebrochenen Tour) und großherzig (siehe dieses Lied) ist, erreicht damit auf Instagram mal eben 167 Millionen Abonnenten. Auf Twitter folgen ihr 67,4 Millionen Leute. Donald Trump hat 66,9 Millionen Follower. Ich weiß auch ohne nähere Analyse, wessen Follower eher sterben und wessen Follower das Wahlalter erst noch erreichen werden. Und das macht Hoffnung, dass wir tatsächlich ein letztes Aufbäumen der autoritären, alten weißen Männer erleben.