Dass Russland in Europa vor allem destabilisieren will, hat sich inzwischen bis nach London herumgesprochen. In Deutschland findet derweil BND-Chef Kahl deutliche Worte.

Kennen Sie den? Ein bedeutendes Industrieland, immerhin die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, lebt vom Handel, dem Zugang zu freiem Waren- und Personenverkehr und einer herausragenden Stellung im internationalen Bankensektor. Trotzdem lässt dieses Land sich in einer beispiellosen Angstkampagne einreden, dass seine internationale Einbindung ein Fehler war und dass es in umfassender wirtschaftlicher und politischer Isolation viel besser dastehen, weil endlich wieder Herr der eigenen Grenzen und der eigenen Geschicke sein würde.

Zugegeben, ein echter Kracher ist das nicht, und die Briten, die sich das im Juni 2016 ausgedacht haben, finden das Sache rund anderthalb Jahre nach ihrem knappen Brexit-Votum auch schon lange nicht mehr lustig. Zu den wenigen, denen das Ergebnis der Abstimmung dagegen bis heute zuverlässig ein Lächeln auf die Lippen zaubert, gehört Wladimir Putin. Bis zur Wahl Donald Trumps blieb die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, das größte Geschenk, das der Westen dem russischen Präsidenten hätte machen können.

Der Hauptvorteil des Brexit liegt dabei aus russischer Sicht in seiner Dauerhaftigkeit. Ein einmaliges Ereignis sorgt für anhaltende Destabilisierung, der Engländer spricht vom „gift that keeps on giving“. Es ist noch weit über ein Jahr bis zum Stichtag im März 2019, da Großbritannien die EU auch tatsächlich verlässt, doch schon jetzt binden die längst in Slapstick abgedrifteten Verhandlungen beiderseits Ressourcen, die anderswo schmerzlich vermisst werden. Das endlose Gerangel um Personenfreizügigkeit, Freihandel und Grenzfragen schwächt die Briten, vor allem aber schwächt es die Europäische Union, was den Kreml natürlich freut.

Steter Tropfen

Den Russen fiel dieses Ergebnis aber nicht einfach in den Schoß. Mit derselben Melange aus ostentativer Kuschelei mit rechtsgerichteten Politikern und Einflusskampagnen in den sozialen Medien, die wenige Monate später auch Donald Trump ins Weiße Haus spülen sollten, beeinflusste Moskau den Kampf um die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens. Gewährsmann der russischen Interessen in London war der damalige Vorsitzende der UK Independence Party (UKIP), Nigel Farage. Farage, später der erste ausländische Politiker, der sich mit Trump als President-Elect traf, war die treibende Kraft hinter der Leave-Kampagne. Aus seiner glühenden Verehrung für Putin, laut eigener Aussage der von ihm am meisten bewunderte Politiker, machte er nie einen Hehl. Eine direkte finanzielle Verbindung zwischen Moskau und Farage oder seiner UKIP konnte zwar bislang noch nicht nachgewiesen werden, doch verbinden sich rund um Farage auch so zunehmend die Punkte. Nicht genug damit, dass er für jedermann sichtbar das Geschäft des Kreml in Großbritannien besorgte, er wurde im Juni diesen Jahres auch als „Person of Interest“ im Zusammenhang mit der Untersuchung von Sonderermittler Robert Mueller in den USA genannt. Der Grund: Farage soll eines der Bindeglieder zwischen der Trump-Kampagne und dem Wikileaks-Team rund um Julian Assange gewesen sein, dessen prorussische Agenda außerhalb der Redaktion von „Russia Today“ kaum noch ernsthaft angezweifelt wird.

Gespräche ja, Partnerschaft nein

Kurzum, man muss nicht paranoid sein, um zumindest eine begrenze Einflussnahme der Russen auch in Großbritannien zu erkennen. Klare Worte fand dazu dieser Tage Premierministerin Theresa May, deren Regierung das Brexit-Debakel bekanntlich auszubaden hat. Beim jährlichen Bankett des Lord Mayor of London erklärte May, Russland versuche die freien Gesellschaften des Westens zu untergraben, greife manipulierend in Wahlkämpfe ein und betreibe Cyberspionage. Das müsse aufhören, denn „wir wissen, was ihr tut, und ihr werdet damit keinen Erfolg haben“, so May. Das russische Außenministerium drohte auf Twitter umgehend zurück, man wisse auch genau, was Theresa May so tue. Diese aus russischem Munde nur schwach verhüllte Drohung passt ins Bild des mafiösen Politikstils, den Moskau nicht erst seit 2014 pflegt.

Derweil hielt Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, ebenfalls diese Woche in München eine vielbeachtete Rede, in der er Russland eine „potenzielle Gefahr“ für die europäische Sicherheit nannte. Nachdem durch Leugnen und Verharmlosen der russischen Einflussnahme in Europa und der Welt schon jetzt zu viele Kinder in den Brunnen gefallen sind, ist man für so klare Worte hierzulande dankbar. Man muss hoffen, dass sie auch aus der neuen Bundesregierung zu vernehmen sein werden.