Es könnte eng werden für Hannelore Kraft und ihre SPD in Nordrhein-Westfalen. Die CDU wirkt auf den letzten Metern agiler. Rächen sich nun handwerkliche Fehler der Ministerpräsidentin?

Die NRW-SPD ist nervös geworden. Im Umfeld der Düsseldorfer Parteispitze haben sie wenige Tage vor der Wahl mit Entsetzen in den Demoskopiedaten eine „Unterströmung zu Laschet“ wahrgenommen. In den Umfragen liegen beide Parteien Kopf an Kopf. Dass die rot-grüne Landesregierung keine Mehrheit mehr hat, ist seit langem klar. Dass die SPD auf Platz zwei abrutschen und Kraft ihren Posten als Ministerpräsidentin verlieren könnte, ist für sie und die Partei eine dramatische Entwicklung.

Seitdem sie 2010 zur Ministerpräsidentin gewählt wurde, tat Kraft alles, um sich als Landesmutter in der Tradition von Johannes Rau zu inszenieren. Konflikte mied sie, vor allem in der Koalition mit den Grünen sollte es harmonisch zugehen. Die SPD überließ in den vergangenen sieben Jahren dem kleineren Partner weitgehend die Politik in Nordrhein-Westfalen. Schulministerin Sylvia Löhrmann und Umweltminister Johannes Remmel prägten die Leitlinie der Regierung. Löhrmann setzte die Inklusion an den Schulen des Landes durch und brachte wegen der schlechten Umsetzung dieses eigentlich guten Vorhabens viele Eltern gegen sich auf. Remmel wurde zu einem Superminister, dessen Regulierungseifer die beiden SPD-Wirtschaftsminister, die es seit 2010 gab, nichts entgegen zu setzen hatten.

Friedhofsruhe in der Koalition

Kraft hatte aus der Niederlage der ersten, oft zerstrittenen, rot-grünen Koalition, die NRW von 1995 bis 2005 regierte, den Schuss gezogen, dass es keinen Streit zwischen den Partnern geben darf. Grüne berichteten in der Folge verwundert, dass sie bei Koalitionstreffen fast alles durchbekamen, was sie wollten. Aus der blassen Riege der sozialdemokratischen Minister ragten gerade einmal drei heraus: Finanzminister Norbert Walter-Borjans sorgte mit dem Ankauf gestohlener Steuer-CDs für Schlagzeilen und inszenierte sich als roter Robin Hood. Verkehrsminister Michael Groschek setzte sich medial effektvoll, aber ohne politische Wirkung, im vergangenen Jahr von den Grünen ab und beklagte, dass „durchgrünte Bürgerinitiativen“ in NRW viele wichtige Verkehrsprojekte verzögern, wenn nicht gar verhindern würden. Und dann ist da noch Ralf Jäger. Der wohl schlechteste Innenminister in der Geschichte der Bundesrepublik sorgte für eine nicht enden wollenden Liste von Skandalen:Ob die verpatzte Abschiebung des späteren Berlin-Attentäters Anis Amri, die Hogesa-Unruhen 2014, die durch Sparmaßnahmen befeuert wurden oder die sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht Köln – Jäger hatte sein Ministerium nie im Griff, lehnte immer die Verantwortung ab und kam damit durch, weil er sich der Unterstützung von Kraft sicher sein konnte. In ihrer Welt ist Loyalität alles und Leistung bedeutet nichts.

PR mit Kindern

Unter Kraft sackte das Land immer weiter ab: NRW-Schüler schneiden in Leistungstests schlechter ab als Kinder und Jugendliche in anderen Bundesländern, die Wirtschaft wächst langsamer als im Bundesdurchschnitt, die Arbeitslosigkeit befindet sich auf ostdeutschem Niveau und ihr zentrales Projekt „Kein Kind zurücklassen“ ist nicht mehr als eine unterfinanzierte PR-Aktion. Und das ist den Bürgern mittlerweile aufgefallen, eine Mehrheit gibt ihrer Arbeit als Regierungschefin schlechte Noten.

Kraft hat bei ihrem Versuch, Johannes Rau zu imitieren, etwas übersehen. Während Rau den eher Konflikte vermeidenden Landesvater gab, sorgte er gleichzeitig dafür, dass in seinem Kabinett starke Minister arbeiteten. Herbert Schnoor war einer der prägendsten Innenpolitiker seiner Zeit, Wolfgang Clement ein streitbarerer und zumindest bemühter Wirtschaftspolitiker und Raus Stadtentwicklungsminister Christoph Zöpel gründete mehrere Think-Tanks, um die Politik der Landesregierung intellektuell zu unterfüttern. Letzteres ein Anspruch, welcher den Sozialdemokraten Nordrhein-Westfalens vollkommen fremd ist.

Kraft ist mit ihrem Versuch gescheitert, sich als unpolitische Landesmutter erfolgreich zu positionieren. Sie hat die SPD inhaltlich entbeint und die Politik den Grünen überlassen. Wenn Rot-Grün am Sonntag in NRW endet, ist ihre einzige Hoffnung, das Amt als Ministerpräsidentin zu retten und Chefin einer großen Koalition zu werden. Gelingt ihr nicht einmal das, hat sie mit ihrer Politik der SPD bundesweit geschadet. Eine Niederlage der SPD in NRW würde dem Bundestagswahlkampf der Sozialdemokraten jede Restdynamik rauben. Schulz wäre am Ende, bevor der Kampf und das Kanzleramt begonnen hat.