Ein Berliner Gymnasium will einen Mitarbeiter loswerden, der sich bei der „Identitären Bewegung“ engagiert hat. Das Vorhaben scheitert. Eine Rekonstruktion.

Konrad L. ist ein unauffälliger Mann mit zersausten Haaren, Vier-Tage-Bart und freundlichen Augen. Auf den Fotos, die ihn fast seinen Job als Lehrer an einer Berliner Schule gekostet hätten, wirkt er etwas deplatziert. Sie zeigen den 34-Jährigen auf Demonstrationen, Kundgebungen und im Wald – umringt von Rechtsextremisten der Identitären Bewegung. Die vergangenen Sommer öffentlich geteilten und inzwischen gelöschten Screenshots stammen von der Facebook-Seite der Gruppierung. Sie wurden vor einigen Wochen anonym an seinen Arbeitgeber geschickt, einem Gymnasium in der Köpenicker Prärie, an dem er Deutsch unterrichtet. Seitdem hatte er kaum eine ruhige Minute.

Konrad L. liebt Sprache. An der TU Berlin beginnt er 2004 sein Germanistik- und Philosophiestudium und schreibt für verschiedene Kultur- und Literaturmagazine. Als er 22 Jahre alt ist veröffentlicht der „Tagesspiegel“ eines seiner Gedichte: „An eine(n) Verzweifelte(n)“. Es sind dunkle Zeilen über Leid, Finsternis und Erlösung. Doch nicht nur die schönen Künste treiben ihn um. Schon früh macht er sich Gedanken um die Flüchtlingspolitik seines Landes.

Als Gymnasiast schreibt er einen Leserbrief, in dem er das Versagen deutscher Schüler im Pisa-Test kommentiert. „Meiner Meinung nach liegt der Hauptgrund für das Versagen der Schüler in dem hohen Anteil nicht integrierter Ausländer“, schreibt der damalige Zwölftklässler. „Um diese Situation zu verbessern, müssen wir die Integration der hier lebenden Ausländer massiv vorantreiben.“ Ein ehemaliger Schulfreund erzählt, wie ihn dessen wohlwollende Kommentare über die AfD in späteren Jahren befremdet hätten, fügt aber hinzu: „Knallharter Rassismus war nicht dabei.“

Kampagne gegen „den großen Austausch“

Von einer massiv vorangetriebenen Integration ist bei der Identitären Bewegung, für die sich Konrad L. viele Jahre später engagieren wird, nicht die Rede. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppe propagiert einen Ethnopluralismus und sähe die verschiedenen „Völker“ gerne in ihren „angestammten“ Gebieten. Davon zeugen Kampagnen wie „der große Austausch“, für die Konrad L. Werbung gemacht hat, wie eines der Fotos zeigt.

Im Manifest der Kampagne heißt es: „Wir wollen (…) klar benennen was hier auf dem Spiel steht: Nämlich die Existenz der europäischen Völker! Unsere Existenz – DEINE Existenz! Und uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Umrisse des Eisbergs sind bereits deutlich zu erkennen. Wir haben vielleicht noch ein Zeitfenster von 10 bis 15 Jahren, bevor wir eine Minderheit im eigenen Land sind.“

Das Berliner Gymnasium, an dem Konrad L. noch für sechs Monate als Referendar arbeitet, beteiligt sich an der Kampagne „Schule ohne Rassismus“. Stolz prangt eine entsprechende Plakette auf der Außenfassade des Gebäudes. Damit verpflichten sich Schüler und Lehrer, gegen Diskriminierung einzutreten. Im Innern des tristen zweistöckigen Gebäudes erzählen mehrere Aushänge von Fahrten zu KZ-Gedenkstätten, Fairtrade-Politik und dem Engagement der Schüler für Afrika. Der Schulleiter gibt sich kurz angebunden und möchte sich nicht zu der Sache äußern. Er verweist auf den christlichen Träger.

„Es ist wahr, dass unsere Schule ein anonymisiertes Schreiben erhalten hat, mit dem Hinweis, dass sich einer ihrer Mitarbeiter in der Identitären Bewegung engagiert“, teilt eine Sprecherin mit. Dessen Einstellung passe nicht zu ihren christlichen Werten. Man wolle den Lehrer loswerden, aber das sei nicht so einfach. Die bloße Mitgliedschaft in einer rechten Gruppierung, etwa auch der AfD, sei kein Kündigungsgrund. Man habe aber bereits das Lehrerkollegium und die Eltern informiert und werde der Sache weiter nachgehen. Es wird brenzlig für Konrad L.

Dieser wohnt in einem sanierten Hinterhaus in einem schicken Teil von Berlin Moabit, eine Etage über einer Kindertagesstätte. An der Außenfassade des Vorderhauses, das zur Straße hinzeigt, haben mehrere schwarze Farbbomben Spuren hinterlassen. Wem genau sie gegolten haben, ist unklar. Weil viele Eltern ihre Kinder aus der Kita abholen, herrscht reges Treiben im Hof. Konrad L. kommt auch einige Stunden nach Dienstschluss nicht nach Hause.

Der Schulleiter zitiert seinen Mitarbeiter eine Woche später in sein Büro. Konrad L. soll Stellung zu den Vorwürfen nehmen und probiert es mit der Salamitaktik. Zunächst leugnet er, näher mit den Identitären zu tun gehabt zu haben. Dann sagt er, er habe sich die Gruppe „nur mal angesehen“. Schließlich bricht auch diese Verteidigungslinie und er gibt den näheren Kontakt zu. Dies sei aber Vergangenheit. Heute habe er nichts mehr damit zu tun. Es folgt eine „Gesinnungsprüfung“. Man wolle schauen, ob L. rechtsnationale Tendenzen habe, hieß es hinterher. „Wir wollen uns von ihm trennen.“ Doch L. argumentiert geschickt. Zu einem Gespräch bringt er seinen Vater mit.

War er Mitläufer? Aktivist?

Schon kurz nachdem die Fotos an seine Schule geschickt werden, verwischt Konrad L. Spuren und löschte seine Social-Media-Accounts. Dennoch erscheint, sucht man im Netz nach seinem Namen, auf der ersten Google-Seite ein Facebook-Eintrag der Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg und ein „Zeit“-Artikel über die Gruppe. In diesem heißt es:

„Die Bewegung behauptet, Deutschlands Identität gegen Masseneinwanderung bewahren zu wollen. Die IBD setzt zudem auf ‚körperliche Ertüchtigung’ in sogenannten Sommerlagern und sieht sich ‚am Beginn einer Zeitenwende’. Im Internet wirbt sie um ‚die Mitarbeit von jungen, klugen und opferbereiten Aktivisten’, die willens seien, ‚ihre Heimat zu erhalten und zu verteidigen’.“

Wie genau das Engagement L.s aussah, ist nicht gesichert. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er Schüler indoktriniert hat. Über Verfahren wegen Volksverhetzung ist nichts bekannt. Doch die Fotos zeigen ihn – gekleidet in T-Shirts der Identitären – eindeutig in Aktion. War er ein Mitläufer? Ein Aktivist? Auf einem Screenshot sieht man ihn in einem Seminarraum. Dazu der Text: „Einführungsseminar“ und „Identitäre Bewegung“. Konrad L. ist auch zu sehen: Dem Publikum in Lehrer-Manier zugewandt.

Durs Grünbein mahnt

Am Ende gelingt es Konrad L., der Fragen des Autors nicht beantworten wollte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er muss dem Kollegium Rede und Antwort stehen und der Schule versichern, nichts mehr mit der rechten Szene zu tun zu haben. „Das ist unbefriedigend für uns“, sagt die Sprecherin des Schul-Trägers.

Für ein Literatur-Forum hat Konrad L. mehrere Gedichte des Lyrikers Durs Grünbein rezensiert. Dieser wiederum besuchte fast genau vor drei Jahren eine Pegida-Demonstration in seiner Heimatstadt Dresden. Im einem Text für die „Zeit“ gab er damals unter dem Titel „Das Volk, dieses Monster“ zu Protokoll:

„Zuletzt habe ich in Dresden das ‚Monster’ gesehen, es nennt sich Volk und fühlt sich im Recht. ‚Wir sind das Volk’, ruft es schamlos und schneidet dem Zweifler das Wort ab. Es weiß genau, wer dazugehört und wer nicht. Es macht denen Angst, die aus der Fremde kommen, weil sie in ihrer Not nicht anders können oder nach einer neuen Lebenschance suchen (…) Es ist der Traum von der Festung Europa“. Auch die Identitären träumen von einer Festung Europa. Vielleicht hat sich Konrad L. die Mahnungen des großen Dichters zu Herzen genommen.