Die AfD, das hat André Poggenburg am Aschermittwoch wieder bewiesen, ist eine Geißel der Berliner Republik. Und sie wird ihr lange erhalten bleiben.

Es sind bald zweieinhalb Jahre vergangen seit dem denkwürdigen Sommer 2015. Schon damals, und bis heute, haben Journalisten und Politiker in aller Welt sich die Münder fusselig geredet und die Finger blutig getippt beim Versuch, das Offensichtliche – Donald Trumps katastrophale charakterliche Mängel und politische Unzurechnungsfähigkeit – zu problematisieren. Allein, es nützte nichts: Trump wurde in seiner Filterblase wie ein Popstar gefeiert und siegte, leider, auch an der Wahlurne deutlich. Alle Kritik konnte „Teflon Don“ nichts anhaben, im Gegenteil.

Wider die „Altparteien“

Uns Deutschen ist das Phänomen aus eigener Anschauung bekannt. Auch die AfD scheint, wie Trump oder Moskau, in einem ganz eigenen Universum zu leben, in dem alle bekannten Regeln der politischen Physik außer Kraft gesetzt sind. Was anderen schadet, scheint die AfD noch zu stärken. Der Politische Aschermittwoch hat dies gerade wieder bewiesen, als der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke sich bei Pegida bedankte und sein sachsen-anhaltinischer Kollege André Poggenburg die in Deutschland lebenden Türken als „Kameltreiber“ bezeichnete. Tabubrüche als Kalkül gehören ebenso zur AfD wie ihre strukturelle und politische Unfähigkeit, die sie – ganz Trump — wie eine Monstranz vor sich herträgt, ja sogar noch als besonderen Ausweis ihrer Unangepasstheit und damit Authentizität zelebriert. Es muss die AfD grenzenlos wurmen, dass der Begriff der „Partei neuen Typs“ geschichtlich schon belegt ist.

Mit ihrer konsequent alternativen Erzählung von Realität, in der die AfD sich sozusagen definitionsgemäß als abseits des herkömmlichen politischen Diskurses begreift, macht sie sich für ihre Gegner unangreifbar. Auch hier kennt man den Effekt von Trump: Kritiker des politischen Außenseiters sind aus Sicht seiner Unterstützer bestenfalls Vertreter des „Establishments“, in Deutschland auch der „Altparteien“, im schlimmsten Fall aber gleich Verräter. (Nicht ohne Grund auch Volksverräter, sieht die AfD sich doch bekanntlich als Stimme der „schweigenden Mehrheit“ und somit einzig legitime Volks-Partei). So kann die AfD sich von früh bis spät in allem ergehen, was für jede andere politische Gruppierung den sicheren Untergang bedeuten würde: Offene Lügen, interne Intrigen, alle Arten von Flügelkämpfen, stolz zur Schau getragener Rassismus und eine zur Tugend erhobene Anti-Attitüde, die alle klassischen Übereinkünfte und Methoden von Politik aktiv sabotiert. Dafür wird sie von ihren Anhängern gefeiert.

Die Rubikon-Partei

Indem die AfD sich so bewusst jenseits klassischer Politik stellt – um den Begriff Mainstream zu vermeiden – versperrt sie sich selbst ganz bewusst die Möglichkeit, im eigentlichen Sinne politisch aktiv zu werden. Ihr programmatisches Repertoire besteht gemäß des Selbstbildnisses der Partei nur aus Obstruktion, die ritualisierte Grenzüberschreitung wird bei ihr zur Essenz von Politik. Sie kann nicht auf Instrumente der konstruktiven Meinungsbildung zurückgreifen, ohne zu einer Partei unter vielen zu degenerieren. Sie ist eine Armee, die am liebsten ohne Unterlass den Rubikon überschreitet: Kaum sind aber die Pferde ans Ufer gewatet, muss man schon wieder durch den Fluss. Das trockene Land mögen andere bestellen.

Man muss sich die AfD daher als eine Ansammlung von Steve Bannons vorstellen. Wer ihre Philosophie teilt, der kann gar nicht anders – auch wenn der Begriff selbstverständlich brüsk zurückgewiesen würde – als zum Leninisten zu werden: Der Utopie als einzig legitimem Ziel gilt alle Anstrengung, und der perfekte Staat, den die Utopie verheißt, kann nicht nur gegen Widerstände und auf den rauchenden Trümmern des Ancien Regime errichtet werden – nein, er muss. Natürlich ist das kein wirklich bürgerliches Verständnis von Politik. So wie Donald Trump „a poor man’s idea of a rich man“ ist, so ist die AfD ein Zerrbild von Bürgerlichkeit, wie man sie sich unter frustrierten Ex-Wählern der Linkspartei vorstellt.

Dass die AfD zu dem werden konnte, was sie ist, hat sie vor allem den politischen Umständen zu verdanken und viel historischer Fortune. Ihre Metamorphose vom Professorenverein zur rechten Partei fand beispielsweise just im Juli 2015 ihren Abschluss, kurz bevor die Flüchtlingskrise der Partei ein politisches Konjunkturprogramm bescherte. Auf der folgenden Empörungswelle surfte sie elegant durch den politischen Flaschenhals, der andere rechte Protestparteien bislang zuverlässig aufgehalten hatte, bis in den Bundestag.

Das auch, weil es der AfD zusätzlich gelungen war, eine politische Öffentlichkeit aus Milieus zusammenzuschmieden, die bis dato schlicht nicht stattgefunden hatten: In sozialen Netzwerken versammelte sich unter ihrem Banner sehr schnell die Sorte Menschen, die alles schon immer gewusst und die ihr Vertrauen in die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen vor langer Zeit verloren hatten. Dass hier eine gefährliche, weil nahezu hermetisch abgeriegelte Gegenöffentlichkeit entstand, die für den klassischen politischen Diskurs praktisch von Beginn an unerreichbar war, wurde vielen erst klar, als das Kind längst in den Brunnen gefallen war. In den so entstandenen rechtsalternativen Filterblasen lag (und liegt) ein gewaltiges Protestpotenzial, das in analogen Zeiten am sprichwörtlichen Stammtisch oder im Wutausbruch auf dem Amt versandet wäre, das aber heute wie ein reifer Apfel von jedem gepflückt werden kann, der die entsprechende soziopolitische Paranoia im Angebot hat.

Opfer, Opfer, immer nur Opfer

Das trifft auf die AfD bekanntlich zu, und ihre Konzentration auf den provokanten Knalleffekt als einziges Mittel der politischen Auseinandersetzung macht es den anderen Parteien fast unmöglich, ihr beizukommen. Jeder Versuch, die ständigen Tabubrüche von rechtsaußen irgendwie zu sanktionieren, zementiert nur die Selbstwahrnehmung der AfD-Anhänger als rechtschaffene, von einem bösartigen Meinungskartell unterdrückte Außenseiter. Auch das Schweriner Modell, gegen die NPD in Mecklenburg-Vorpommern noch leidlich erfolgreich, zieht nicht mehr: Die AfD ist schlicht zu groß, um sie allein durch Nichtbeachtung ihrer Anträge kaltzustellen.

Bestes Beispiel dafür, wie kontraproduktiv die klassischen Methoden der Auseinandersetzung im Umgang mit der AfD sind, ist das berüchtigte NetzDG, das mit der löblichen Absicht verabschiedet worden war, Hass im Netz entgegenzutreten, das jedoch bekanntlich nur ein rechtlich fragwürdiges Willkürregime undurchsichtiger Löschschwadrone errichtet hat und das obendrein noch vielen AfD-Fans auf Twitter die Möglichkeit gibt, sich (in Verkennung aller Tatsachen) erneut als Opfer einer finsteren Zensurmaschinerie zu inszenieren.

Auch im Bundestag setzen die Parteien in Ermangelung besserer Ideen bislang auf Abgrenzung. Das bringt Teilerfolge, man kann so zum Beispiel zuverlässig über Jahre verhindern, dass die AfD einen Bundestagstagsvizepräsidenten stellt oder einen Vertreter ins Parlamentarische Kontrollgremium entsendet; aber erstens schaffen ihre Abgeordneten es am Ende eben doch in einflussreiche Positionen, und zweitens löst dieses Vorgehen das Problem AfD auf politischer Ebene in keiner Weise. Eckart Lohse und Markus Wehner brachten dies vor einiger Zeit in der FAZ sehr gut auf den Punkt: „Die Ausgrenzungsstrategie hilft der AfD, für Protestwähler attraktiv zu bleiben. Die anderen Fraktionen im Bundestag spielen, gewollt oder nicht, derzeit das Spiel der AfD.“ Alexander Gauland („Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg kriegen“) lieferte dazu bereits die Begleitmusik.

Der Krieg kommt

Das hat weitreichende Konsequenzen. Die AfD hat es schon jetzt geschafft, die Meinung eines bisher politisch weitgehend stummen Milieus ins Parlament zu tragen, dessen Ziele mit Protest weniger gut umschrieben sind als mit Destruktion. Sie hat, gemeinsam mit der Linken, bereits jetzt nahezu alles verunmöglicht, was die Bundesrepublik seit ihrer Gründung an Regierungskonstellationen gewohnt war, und darüber hinaus schickt sie sich nun auch an, die parlamentarische Arbeit an sich zu behindern und zu hintertreiben.

Und das Schlimmste: Kein Misserfolg der Welt dürfte ihr das Handwerk legen. Wunschträume der Union, die AfD werde sich im Parlamentsalltag schon selbst „entzaubern“ und ihre enttäuschten Anhänger reumütig in den warmen Busen einer Post-Merkel-Union zurückkehren, sind eben dies: Wunschträume. Warum sollten die Anhänger der AfD einem Projekt die Gefolgschaft verweigern, das vielleicht nicht aus der Sicht der anderen Parteien, wohl aber aus ihrer eigenen ausgesprochen erfolgreich verläuft?

Die einzige zumindest in der Theorie erfolgversprechende Front gegen die AfD verliefe hier: Wo Misserfolg sie stärkt, müsste Erfolg sie unsichtbar machen. Anträge zumindest zu besprechen statt zu verweisen, die Wahl ihrer Vertreter in die Gremien und die Behandlung als „normale“ Partei würden ihr den Nimbus des Underdogs nehmen. Damit gingen die anderen Parteien jedoch das unzumutbare Risiko ein, neuerliche Tabubrüche erst noch zu ermutigen und indirekt zu legitimieren. Und das ist noch nicht einmal das stärkste Argument gegen ein solches Vorgehen: Viel schwerer wiegt, dass das nunmehr erwachte rechtsalternative Milieu nicht in einen Dornröschenschlaf zurückfallen wird, nur weil die AfD als Spitze der Bewegung möglicherweise enttäuscht. Die Linkspartei hat bewiesen, dass ein einmal konstituiertes radikales Milieu sich mit weniger als einer offensiv vertretenen reinen Lehre nicht mehr zufriedengibt, und sollte die AfD dies nicht mehr tun, dann findet sich dafür eben jemand anders. So erzwingt die interne Dynamik von Parteien wie der AfD ihre weitere Spaltung und Radikalisierung, auf die wir alle – ironischerweise – nur hoffen können: Sie allein kann die Alternative Republik auf lange Sicht noch verhindern.