Shareware-Lyrik und seichte Gedanken – Von der Hölle des Selbstgereimten.

Wenn ich mir mal einen schlimmen Abend machen will, dann gebe ich bei Google eine Suche nach Gedichten in Auftrag. Nicht nach Klassikern, sondern nach diesen vorgefertigten Gedichten für jeden Anlass, die jeder schon mal irgendwo gehört oder gelesen hat. Zugegeben: Ich kenne mich mit den Bräuchen in anderen Ländern nicht genügend aus. Hoffentlich nur deshalb bilde ich mir ein, dass es eine deutsche Spezialität ist, in emotionalen Momenten wie Taufe, Geburtstag, Beerdigung oder Hochzeit dem geladenen Volk Gereimtes vorzutragen, statt einfach betrunken seinen Arsch zu entblößen, wie es Engländer zu diesen Anlässen allem Anschein nach zu tun pflegen.

Und weil wir Deutschen nun einmal Idealisten und Romantiker sind, klauen wir nicht irgendwas von jemandem, der sich mit sowas auskennt, sondern wir basteln selbst. Oder, noch einfacher, wir bedienen uns an Shareware-Lyrik, die andere Amateuren mit diesem unerklärlichen Selbstbewusstsein ins Internet gestellt haben, das man von Kandidaten in den ersten Runden von Castingshows kennt. Beispiele gefällig? Ungern.

Die Liebe ist ein zarter Vogel / der sachte durch die Lüfte schwebt. / Ein Hauch von Sehnsucht, die ihn antreibt, / für die allein er einzig lebt“, findet man auf liebeschenken.net. Und das ist völlig harmlos. Man sollte auch nicht darauf wetten, dass es nicht tiefer ginge als in der so genannten Versschmiede von Horst Winkler. „Viele Kinder und auch Lehrer / Alle freuen sich auf dich / In der Schule hast du keine / Langeweile sicherlich“, trägt uns zur Einschulung er an – und zur Hochzeit reimt er dann: „Die Braut vor Glück heut strahlt / Ein Anblick wie gemalt / Es sprüht vor Lebenslust / Mit stolzgeschwellter Brust / Der Bräutigam daneben.“ Nichtmal vor dem Einschlafen ist deutschen Kindern Reimfreiheit gegönnt. Schließlich gibt es auch noch das hier von ILD, wer auch immer das ist: „Drei Sterne schenkt man dir heute Nacht. / Hüte und beschütze sie mit Bedacht. / Denn jeder Stern etwas besonderes in sich trägt. / Wo Wünsche und Träume noch zählen. / Schlaf nun schön und gute Nacht, / deckt man dich zu ganz sacht.“

Es wimmelt von Sternen und Nebel und Schwingen und Vögeln und Glück, es wird gehaucht und gesehnt, dass es einem ganz blümerant wird. Das Fremdbeschämendste daran ist nicht etwa, dass allüberall Versmaß und Sprachgefühl mit sehr schweren Stiefeln in Reimförmchen getreten werden. Hinter den mühsam mit Bombast verkleideten Wortskeletten verbirgt sich eine Gedankenuntiefe, gegen die selbst Kalenderblätter mit Fußspuren im Sand wie die Offenbarung eines neuen Gottessohnes scheinen. Aber das Gruseligste ist, dass diese Gräuel vielen Leuten gar nicht weiter auffallen. Ja, dass sie ihnen auch noch gefallen!

„ihr habt hammer gedichte“

Wäre es anders, dann läse man wenigstens ab und zu in der Zeitung, dass eine Hochzeitsgesellschaft in Notwehr einen reimenden Brautvater mit der Torte erstickt hat oder dass ein Taufbecken über einem pathetischen Paten geleert worden wäre. Man würde im Radio die Meldung hören, dass ein Bräutigam seine Trauzeugin mit einer brennenden Hochzeitszeitung angesengt hat.

Es wurde bis heute kein Krimi mit dem Titel „Der Dichter und sein Henker“ gedreht, in dem ein verzweifelter Poet Selbstjustiz an einem Do-it-yourself-Reimer verübt. Dabei drängt sich dieser Plot nun wirklich auf. Stattdessen wird höflich geklatscht oder gar begeistert zugestimmt. Und je mehr man hofft, es handele sich dabei lediglich um mangelnde Zivilcourage einer leidenden Mehrheit, desto tiefer brennt sich das Feedback einer Userin auf liebeschenken.net ein. „Ihr habt hammer gedichte“, steht da. Und als ob das nicht reichte. Wenn ich erstmal so weit bin, fange ich auch noch selbst an, Verse zu schmieden.

Reimt der Deutsche in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“

Na bitte. Schenk ich euch.