Nach einem Jahrzehnt bei Facebook und Twitter war unser Autor genervt und gelangweilt und stieg aus. Er schreibt aber weiter gern Randbemerkungen über Aktuelles und Zeitloses, Wichtiges und Marginales. In loser Folge dokumentieren wir hier seine Zwischenrufe.

Einigkeit und Recht und Trägheit

Ich habe es am 15. März 2021 überprüft: Keine der fünf Apotheken in Berlin-Mitte, bei denen ich nachfragte, hatte bisher Covid-19-Selbsttests geliefert bekommen. Auch die große 24-Stunden-Apotheke im Hauptbahnhof nicht. Es ist zum Wutbürger-Werden.

Adenauer in Grün

Bei der Baden-Württemberger Landtagswahl wanderten 70.000 Ex-CDU-Wähler zu den Grünen, 2016 waren es 107.000. Erstaunlich? Nein. Der heutige Konservatismus ist grün. Adenauer gewann den Bundestagswahlkampf 1957 mit dem Slogan: „Keine Experimente!“. Auf Kretschmanns Wahlplakaten stand: “Sie kennen mich“. In dem Magazin „liberal“ habe ich 2016 das grün-schwarze Biedermeier beschrieben:

Links blinken und rechts abbiegen

Vieles, was sich heute links nennt, war einmal weit rechts. Lautstarke Teile der Linken entsorgten die Klassenfrage und den Fortschrittsgedanken und übernahmen dafür grüne, identitäre und woke Vorstellungen, die noch vor einem halben Jahrhundert zum geistigen Fundus von Blut-und-Boden-Ideologen gehörten.

Eine kleine Liste:

  • Gegen Globalisierung sein
  • Die Natur als Ideal betrachten
  • Gegen freie Rede sein
  • Kunst verdammen, wenn sie nicht die richtige Gesinnung transportiert
  • Glauben an den Weltuntergang
  • Gegen Wohlstand und Wachstum sein
  • Die Forderung, dass Lebensmittel und Energie teuer werden müssen
  • Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht als Kriterien der Einteilung von Menschen
  • Verbrüderung mit religiösen Dunkelmännern (speziell Islam)
  • Gegen das Reisen sein
  • Technikfeindlichkeit (Atomkraft, Pflanzengentechnik)
  • Relativierung des deutschen Völkermordes an den Juden, indem man ihn in eine Reihe mit den Verbrechen der Kolonialmächte stellt

Noch vor zwei Generationen waren dies Positionen reaktionärer Denker wie Ernst Jünger, Martin Heidegger, Konrad Lorenz oder Armin Mohler. Sie haben sich aus ihren Gräbern erhoben und als woke Grüne verkleidet.

Generationen gibt es nicht

Die Medienbranche ruft gern Generationen aus. Seit einiger Zeit ordnet sie diese nach Buchstaben: Generation X, Y und Z. Den zufällig im gleichen Zeitraum Geborenen werden gemeinsame Eigenschaften zugeschrieben. Die Achtundsechziger waren rebellisch, die Null-Bock-Generation der 80er-Jahre bestand aus lauter Aussteigern und Verweigerern usw. Solche Zuschreibungen waren schon immer Quatsch und wurden durch soziologische Empirie stets widerlegt. Ein auffälliger Teil der Jugendkulturen bekommt ein journalistisches Etikett verpasst und steht damit im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Mehrheit der Gleichaltrigen wird ausgeblendet. Kürzlich veröffentlichte die Europäische Investitionsbank eine repräsentative Umfrage zum Thema Klima. Und siehe da: Die „Generation Greta“ ist genauso fiktiv wie ihre Vorgänger. Nur 26 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, man müsse den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas aus Klimaschutzgründen reduzieren. Insgesamt zeigten sich die über 65-Jährigen wesentlich besorgter über den menschlichen Einfluss aufs Klima.

Was ein Skandal wird – und was nicht

„Die Zeit“ hatte am 16. Dezember 2020 in einem ausführlich recherchierten Artikel die Organisation „Plant for the Planet“ (https://bit.ly/3roBnix) unter die Lupe genommen und nachgewiesen, dass sowohl die ökologischen Erfolge als auch die finanzielle Redlichkeit dieser von der bayerischen Familie Finkbeiner geführten NGO höchst zweifelhaft sind. Scheinbar ist diese Enthüllung folgenlos verpufft. In Hamburg und Berlin sieht man zur Zeit an jeder Ecke Plakate, auf denen Prominente wie der Schauspieler Hannes Jaenicke für „Plant for the Planet“ werben. Man stelle sich vor, Ähnliches würde über die CDU oder die SPD bekannt. Alle Medien würden die Story aufgreifen. Bei einer grünen NGO ist das was anderes.

Weiblicher Eigensinn

„Die potente Frau“ ist ein Essay, den Svenja Flaßpöhler bereits 2018 veröffentlichte, auf den ich aber leider erst jetzt aufmerksam wurde. Es ist ein Aufruf zu mehr weiblichem Eigensinn, zu einem Frausein, das sich der eigenen Stärke bewusst wird und nicht in einer Opferrolle verharrend nach Schutzräumen verlangt. Flaßpöhler schrieb dieses Buch in der Zeit der #Metoo- und #aufschrei-Kampagnen und bekam reichlich Gegenwind. Weil sie argumentiert, dass es einen Unterschied gibt zwischen sexueller Gewalt und Nötigung, und Situationen, in denen Frauen sich dem Willen eines Mannes fügen, weil sie sonst Nachteile in ihrer Karriere befürchten.

Neben den guten Argumenten Flaßpöhlers habe ich zwei Dinge durch dieses Buch gelernt. Erstens: Fast alle Thesenbücher sind viel zu dick. Flaßpöhler überzeugt auf 48 Seiten. Kein Wort zum viel und keines zu wenig. Zweitens: Wenige Menschen schaffen es, auf dem Höhepunkt solcher Kampagnen wie #Metoo distanziert darüber nachzudenken, was da eigentlich gerade vor aller Augen stattfindet.

Svenja Flaßpöhler
Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit
48 Seiten
Ullstein, Berlin 2018