Wer in Großbritannien ungesunde Softdrinks trinkt, bezahlt das nicht nur mit der Gesundheit, sondern auch mit einer Zuckersteuer. Das Prinzip könnte noch ausgebaut werden, befindet unser Autor in seiner Polemik.

Neulich spazierte ich an einem regnerischen Sonntag durch London. Etwas außerhalb des wunderschönen Holland Parks fiel mein Blick im Vorbeigehen durch die Tür eines kleinen Lebensmittelladens und dort auf eine Dose Fanta Lemon in der Kühltheke. Aus irgendeinem Grund bekommt man diese Sorte nicht so leicht in München. Also ging ich in den Laden und kaufte mir eine Dose. Der erste Schluck, lecker Zitrone, schön süß. Im Abgang dann plötzlich dieser furchtbare Süßstoffgeschmack, der sich auf die Zunge legt. Nach drei bis vier Trinkversuchen reicht es mir – die halbvolle Dose flog in einen barocken britischen Mülleimer. Schade darum, schade für mich. Zumindest musste ich keinen Dosenpfand bezahlen.

Nur ein großes Missverständnis

Was war passiert? Fanta ist offensichtlich Opfer der britischen Zuckersteuer geworden – und ich mit ihr. Getränke mit einem bestimmten Zuckeranteil werden seit April dieses Jahres mit 18 bis 24 Pence pro Liter zusätzlich besteuert. Die Abgabe zielt wohl auf die sogenannte Volksgesundheit – horribile dictu – und soll die Kosten für Erkrankungen wie Diabetes und Fettleibigkeit reduzieren. Um eine Preiserhöhung durch die Strafsteuer zu vermeiden, hat der Hersteller Coca Cola Zucker durch Süßstoff ersetzt.

Womöglich handelt es sich hier um ein schönes Beispiel dafür, was der Soziologe Ulrich Beck einmal “nicht-intendierte Nebenfolgen politischen Handelns” nannte: Der Staat hätte demnach nie beabsichtigt, dass Getränkehersteller ihre Produkte ungenießbar machen. Jene haben nur anders reagiert, als es sich die Köpfe hinter der Steuer dachten. Vielleicht sollte der Einzelne nur an den Kosten für seinen ungesunden Lebensstil beteiligt werden. Das britische Gesundheitssystem ist schließlich steuerfinanziert. Wer Zucker zu sich nimmt, bezahlt die Kosten dafür direkt bei Kauf – pay per drink. Wie die “Ärzte Zeitung” 2012 berichtete, verursacht ein Diabetes-Patient durchschnittliche Kosten von 3835 Euro pro Jahr. Mit der Zuckersteuer werden diese Kosten dann entsprechend auf den zukünftigen Patienten umgelegt.

Es ist kompliziert

Nun gibt es aber keinen Grund, nur Zucker in Getränken zu besteuern. Viel logischer wäre es doch, eine allgemeine Steuer auf Zucker einzuführen. Ebenso auf Fett, Alkohol und Weißmehl. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die von den Deutschen gerne verleumdete englische Küche tatsächlich ungenießbar würde.

Und warum macht man überhaupt Halt bei Lebensmitteln? Hobbyfußballer bescheren dem Gesundheitssystem mit ihren ständigen Bänderrissen und Zerrungen laufend Kosten, die der umsichtige Aquagymnast mittragen muss. Bürostühle verursachen teures Rückenleiden. Von Rauchern brauchen wir erst gar nicht sprechen – die wurden ja aber schon in den letzten Jahren abgefrühstückt. Wobei jene im Durchschnitt ja wiederum kürzer leben, was die Rentenkassen entlastet. Es ist kompliziert.

Was wir also brauchen ist ein ausgeklügeltes System, das Bonus- und Maluspunkte gegeneinander aufrechnet, belohnt und bestraft und so Gerechtigkeit herstellt: Süßstoffbrot und Peitsche. China arbeitet gerade an einem ähnlich ambitionierten System, das sich sicher als White-Label-Lösung lizenzieren ließe.

Alternativ können wir auch einfach jeden für sein eigenes Schlamassel aufkommen lassen. Selbst schuld, wer seinem Körper zuckrige Plörre zumutet. Die Rechnung wird er beim Zahnarzt bekommen – und selbst bezahlen! Wer unbedingt Skifahren möchte, kommt auch für die OP nach dem Beinbruch auf. Fairerweise müsste dann aber auch die Rente jedem selbst überlassen werden. Schließlich will ich nicht mit meinen Ersparnissen den extra-langen Lebensabend meiner zuckerfreien Mitmenschen finanzieren, während ich schon längst in meinem Grab liege.

Doch halt! Jeder nur für sich, das ist auch nicht mehrheitsfähig. Dann versuchen wir es vielleicht doch mit der guten alten Solidarität – und lassen uns in Zukunft einfach etwas mehr in Ruhe. Ich mach mir eine Dose Zuckerwasser auf und gönne meinem Nächsten seinen Bänderriss.

Autorenzeile: Simon Tischer schreibt sonst über Start-Ups. Er sagt Ja zur modernen Welt und findet, dass der Westen eine gute Erfindung war. In München.