Unser Autor drückte sich vor 20 Jahren erfolgreich sowohl um Zivildienst wie auch um den Bund. Erst in Israel erlebte er die Segnungen, die eine Wehrpflicht mit sich bringen kann. Dennoch lehnt er einen Zwangsdienst in Deutschland kategorisch ab – weil nichts junge Leute in größere Distanz zu diesem Staat brächte.

Hätte es vor 20 Jahren das Internet in seiner heutigen Form gegeben, wäre kein Listicle besser geklickt worden als Diese 20 Tipps ersparen Dir das Schlammrobben und Bettpfannenschwenken. Wir besprachen uns auf dem Schulhof: „Mit einem Jeep eine fette Grasnarbe vors Kreiswehrersatzamt ziehen, in voller Tarnmontur reinstürmen und zur Begrüßung brüllen: ‚Gebt mir eine Waffe, ich will töten!‘ sollte ziemlich sicher T5 geben.“ Oder: „Unbedingt vor der Musterung kiffen und das auch angeben!“ Ein Freund hat sich tauglich mustern lassen und am ersten Abend auf der Stube in den Mülleimer geschissen – er war am nächsten Morgen frei und auf dem Heimweg. Es gab natürlich Freunde, die sowieso nichts besseres vorhatten und sich auf den Wehr- bzw. Zivildienst als Abenteuer oder als vermeintlich lehrreich freuten. Aber sehr viele junge Männer (sexistischerweise waren ja nur wir betroffen) hatten wenig bis gar keine Lust, sich entweder von irgendeinem Wendeverlierer mit Hauptschulabschluss schikanieren zu lassen oder als unterqualifizierte Pflegehelfer gut ausgebildeten Krankenpflegern und Schwestern als Lohndumpingkonkurrenz im Weg herumzustehen. Ich hatte besseres zu tun und mit Hilfe der örtlichen IHK, die sehr genau weiß, dass ihre Beiträge von mir als ihrem Mitglied und nicht von der Bundeswehr bezahlt werden, darlegen können, dass ich für meine Firma leider unabkömmlich bin. Das wurde dann zweimal verlängert und mit 27 war der Drops gelutscht.

Das Damoklesschwert der Wehrpflicht hatte aber einen anderen, viel länger anhaltenden Effekt: Ich wurde zum Staatsfeind. Ich fand die Idee, ein Jahr meines Lebens in Zwangsarbeit verbringen zu müssen, so derart unfassbar übergriffig, und evident sexistisch ungerecht, dass ich ganz bei Margaret Thatcher war:

„They are casting their problems at society. And, you know, there’s no such thing as society. There are individual men and women and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look after themselves first. It is our duty to look after ourselves and then, also, to look after our neighbours.“

Die Wehrpflicht hatte mich politisiert und zum Libertären gemacht. Ich fühlte mich bei den Jungen Liberalen pudelwohl.

In Israel funktioniert es

In den kommenden Jahren entdeckte ich meine Leidenschaft für den Nahen Osten, Israel und die israelische Armee. Natürlich musste gleich die erste Soldatin für ein Foto herhalten, als ich 2007 zum ersten Mal das Land bereiste. (Da sie wahrscheinlich kein Interesse daran hat, 11 Jahre später auf einem obskuren deutschen Politblog auffindbar zu sein, habe ich sie anonymisiert.) Ich mag starke, emanzipierte Frauen. Und eine Frau, die ein vollautomatisches Gewehr führt und bedienen kann ist zweifelsfrei: stark.

Israel braucht leider die beste Armee der Welt. Glücklicherweise hat Israel auch die beste Armee der Welt. Und die schafft  tatsächlich jene Kollateralnutzen, die sich Wehrpflichtbefürworter von einer deutschen Wehrpflicht zu unrecht erhoffen:

  • Gesellschaftliche Integration: Jemand, der vielleicht nicht so gut in Mathe war und lieber in die Muckibude als in den Englischunterricht gegangen ist, wird einer Einheit zugeordnet, deren Aufgabe es ist, unter höchstem persönlichen Risiko Türen einzutreten. Die braucht Israel nämlich leider. Und das weiß jeder Israeli. Und deshalb bringt jeder Israeli dem türeeintretenden Muskelpaket den Respekt entgegen, den er verdient. Es ist die Armee, die Ashkenasen, Sefarden und Mizrachi zusammenbringt. Es gibt Einheiten für Menschen mit Behinderung und solche, in denen orthodoxe Juden keine religiösen Kompromisse machen müssen. Drusen dienen in der Armee und Polizei und machen auf diese Weise Karriere. Für Beduinen ist der freiwillige Dienst an der Waffe der schnellste (und oft einzige) Weg aus Armut und Subsistenzwirtschaft. Auch Christen entscheiden sich zunehmend für den freiwilligen Dienst, da sie nicht übersehen können, wie dramatisch besser es ihnen in Israel geht als in jedem anderen Staat der Region.
  • Begabtenförderung: Wer bei der Einheit 8200 zum Cyberkrieger ausgebildet wurde, kann sich direkt nach der Armee aussuchen, von welchem Venturekapitalfonds er sich die ersten Millionen für sein Startup abholen will. Es gibt erheblich mehr Israelis, die einen Helikopter fliegen können als es auf dem freien Markt Bedarf an zivilen Helikopterpiloten gibt. Einen Apache fliegen zu können, macht sich trotzdem ganz nett im Lebenslauf.
  • Entlastung des zivilen Sektors: Diesen Teil sehe ich in Israel so kritisch wie in Deutschland, denn ich befürworte gute Löhne für gut ausgebildete Pflegekräfte überall auf der Welt. Zweifelsfrei funktionieren aber viele Institutionen in Israel ausschließlich deshalb mit ihren mageren Budgets, weil auch dort Zivildienstleistende ihre Arbeitskraft einbringen.

Blicken wir nun vergleichend auf die Bundeswehr:

  • Gesellschaftliche Integration: Integration verschiedener gesellschaftlicher Gruppen fand schon vor 20 Jahren nicht statt. Wer Abitur hatte (oder einfach nur Selbstachtung), hat selbstverständlich verweigert. In meinem Freundeskreis ging genau ein einziger zum Bund, wofür wir ihn äußerst schief angeguckt haben. Er stand unter größtem Rechtfertigungsdruck. Keineswegs, weil die pazifistischen Ansichten, die in die Verweigerungsschreiben gelogen wurden, irgendeine reale Basis gehabt hätten. Sondern weil das ein Scheißjob bei einer furchtbar schlecht organisierten Institution ist. Zivildienst kann wenigstens theoretisch und mit Glück Spaß machen oder irgendwie sinnstiftend sein. Der Bund war (und da scheint sich nicht viel geändert zu haben) einfach nur eine große Desillusionierungsmaschine. Nichts funktioniert, nichts ergibt irgendeinen auch nur logischen Sinn (von persönlicher Sinnhaftigkeit ganz zu schweigen). Selbst wenn man wie ich der Ansicht ist, dass Deutschland eine starke Armee braucht, dient man nicht beim Bund. Weil der keine starke Armee ist. Sondern etwas, das Kafka beschrieben hätte, wenn es zu seiner Lebzeit LSD gegeben hätte. Zum Bund geht man aus reiner Verzweiflung. Weil es sonst in McPomm keine Jobs gibt und in absehbarer Zeit auch nicht geben wird und man nicht so gut in Mathe war und zu faul ist, in der Schweiz für 30 Euro Stundenlohn zu kellnern. (Oh, stimmt: Dafür müsste man Kopfrechnen können – schlechtes Beispiel.) Die Bundeswehr ist statistisch ein Basket of Deplorables. Ursula von der Leyen gibt sich gewiss Mühe, die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver zu machen, ich sehe nur nicht, wie das strukturell möglich sein soll. Wer auch nur ein Minimum an Selbstwirksamkeit im Job spüren möchte, für den kommt dieser Laden auf absehbare Zeit nicht in Frage. Ich bin mit einem Berufssoldaten befreundet. Fragt man ihn nach seinem Job, antwortet er: „Freizeitorientierter Angestellter im Öffentlichen Dienst.“ Und der hat jeden Auslandseinsatz mitgemacht, den er kriegen konnte, ist also ein extremer Überperformer.
  • Begabtenförderung: Läuft. Bei Sportsoldaten und an der Bundeswehruni und den Bundeswehrkrankenhäusern. Die haben unter Personalern einen exzellenten Ruf. Als Arbeitgeber würden mich im Lebenslauf eines Bewerbers auch die KSK beeindrucken. Ich hätte auch nicht den geringsten Zweifel an der Fitness und den kognitiven Fähigkeiten eines ehemaligen Luftwaffenpiloten. Ich würde aber schon hinterfragen, wieso er, wenn doch fliegen offenbar seine Leidenschaft ist, sich bei einer Institution verpflichtet hat, die berühmt dafür ist, Piloten zwar auszubilden, ihnen dann aber funktionierendes Fluggerät systematisch vorzuenthalten.
  • Entlastung des zivilen Sektors: Geht’s noch? Wie wäre es, wir würden mal anfangen unsere Pflegekräfte ansatzweise leistungsgerecht zu belohnen? Leider zieht dieser Sektor naturgemäß Menschen mit einem Helfersyndrom und Hang zur Selbstausbeutung an. Und die gehen nicht in den Streik, wenn das voraussichtlich Menschenleben kostet. Dabei ist die Tatsache, dass ein halbwegs flächendeckend organisierter Streik genau das zur Folge hätte, der beste Grund, mal einen zu veranstalten.

Wir brauchen eine sehr viel stärkere und sehr viel besser organisierte Armee. Wir brauchen mehr, besser bezahlte und motivierte Pflegekräfte. Wir brauchen staatliche Institutionen, mit denen sich der Bürger identifiziert. Ein gut organisiertes Bürgeramt und eine funktionierende Polizei helfen da erheblich mehr als ein Zwangsdienst.