Trotz neuer und höchst brisanter Russland-Enthüllungen besteht keine Hoffnung auf eine Amtsenthebung Trumps. Wahrscheinlicher ist, dass Tochter Ivanka nach vier oder acht Jahren den Job übernimmt.

Beginnen wir mit etwas Positivem: Sollte es am Ende doch noch gelingen, die menschliche Zivilisation halbwegs intakt in die Post-Trump-Ära zu retten, so können wir uns zumindest auf eine Reihe hervorragender Filme freuen. Trumps unglaublicher Weg ins Weiße Haus und seine noch junge Präsidentschaft haben schließlich schon nach kurzer Zeit genügend Material für eine ganze Generation von Regisseuren und Produzenten geliefert.

Diese Blockbuster werden dermaleinst natürlich eher für unsere Kinder und Enkel gedacht sein. Ihre Anziehungskraft auf uns heute Lebende dürfte begrenzt sein, denn wir haben längst das Gefühl, den Film schon hundertmal gesehen zu haben.

Die Story wiederholt sich ja auch seit Ende Januar mit nur minimalen choreographischen Änderungen und einem nur auf den ersten Blick rasant ansteigenden Spannungsbogen nach dem immer gleichen Muster: Die New York Times oder die Washington Post bringen eine Story ans Licht, die auf jedem normalen Planeten der Knüller des Jahres wäre. Im nach zwei Jahren trumpistischen Trommelfeuers abgestumpften Amerika regen sich aber nur noch einschlägige Kreise darüber auf, während Trump Country nur die Schultern zuckt und die Kongressrepublikaner sich beim Versuch, die absurden Ausfälle ihres Chefs wegzuerklären, wie üblich zu Brezeln verbiegen. Bei der linksliberalen amerikanischen und praktisch der gesamten kontinentaleuropäischen Presse diesseits der „Weltwoche“ kommen alle überein, dass Trump mit seinem letzten Stunt den Bogen nun aber wirklich überspannt hat und jetzt definitiv erledigt ist. Bis zur nächsten Bombshell, bei der er dann mysteriöserweise immer noch Präsident ist.

Teflon-Don

Dieses Muster ist nicht neu. So fragte Nate Silver, Betreiber des Prognoseblogs FiveThirtyEight, schon nach der letzten Fernsehebatte zwischen Trump und Clinton im Oktober 2016 rhetorisch „Is Trump Toast?“ Zwar formulierte er im zugehörigen Artikel unmissverständlich die Möglichkeit eines erheblichen Umfragefehlers, aber die Stoßrichtung des Textes war trotzdem bereits nach dem ersten Satz überdeutlich:

„I’m not sure I need to tell you this, but Hillary Clinton is probably going to be the next president.“

Dieses Maß an Klarheit konnte der sonst eher zurückhaltende Silver sich gestatten, weil nach dem Access-Hollywood-Skandal und dem dritten Fernsehduell fast niemand mehr ernsthaft in Zweifel zog, dass Trump selbstverständlich weg vom Fenster war. Wenn selbst diese Episode nicht gereicht hatte, um ihm das Genick zu brechen, was brauchte es denn bitte dann?

Solche Fragen kommen uns heute, ein volles Dreivierteljahr später, leider immer noch sehr bekannt vor, denn Donald Trump wurde bekanntlich von keiner seiner Abstrusitäten gefällt. Michael Seemann verglich die amerikanische Politik auf Twitter treffend mit einer Fernsehserie, die mit der Veröffentlichung von Donald Trump Juniors E-Mail-Korrespondenz rund um sein Treffen mit der russischen Anwältin Natalia Veselnitskaya nun ihren „hundertste[n] Plottwist“ erlebt habe.

Das ist gut zusammengefasst und auch nicht unpassend für einen ehemaligen Fernsehstar wie Trump, dem man vieles vorwerfen kann, nicht jedoch mangelnden Unterhaltungswert. Es ändert aber nichts daran, dass von Trump nicht nur im Wahlkampf, sondern auch jetzt im Amt alles abgeprallt ist, was unter normalen Umständen genügen würde, um politische Karrieren schnell und nachhaltig zu beenden: Das Steele-Dossier, Flynn, Comey, Steuern, die Einsetzung eines Sonderermittlers, Exzesse der Würdelosigkeit auf Twitter, Ausschüsse um Ausschüsse, Scoops über Scoops – alles von einem großen medialen Echo begleitet und mit der Hoffnung verknüpft, das dürfte es jetzt gewesen sein für The Donald. Und was kam? Stets kreißte der Berg, und am Ende gebar er doch nur eine Maus mit hässlichen Haaren und ungesunder Gesichtsfarbe.

Collusio Ad Absurdum

Auch jetzt ist die Empörung wieder groß. Auch diesmal scheint eine neue Eskalationsstufe erreicht zu sein, wie der noch immer sehr vorsichtige Nate Silver in einem neuen Artikel erklärt. Mit der aktuellen Debatte ist es mal wieder wie mit Niederländisch, man muss es laut vorlesen, um zu verstehen, was man da vor sich hat: Der Sohn, der Schwiegersohn und der damalige Wahlkampfmanager des heutigen Präsidenten trafen sich 2016 im Glauben, es mit einem direkten Vertreter des russischen Staates zu tun zu haben, heimlich mit einer Anwältin, die etwas staatlich geförderten Schlamm versprach, den man nach Hillary Clinton werfen konnte. Und weil das noch nicht absolut irre und bizarr genug war, veröffentlichte Donald Trump Jr. die hochgradig radioaktive Korrespondenz, die dem Treffen vorausgegangen war, auch noch selbst. Michael Seemann hat völlig recht, so einen Blödsinn kann sich niemand ausdenken (zumindest jetzt nicht mehr).

Trotzdem für alle Serienfans hier der Spoiler: Es wird gar nichts passieren. Die Wellen der Empörung schlagen zwar wieder hoch, aber dass wirklich ein justiziables Verbrechen vorliegt, ist selbst für Trump wenig wohlgesonnene Personen wie den ehemaligen New Yorker District Attorney Preet Bharara, der nach Trumps Amtsübernahme entlassen wurde, alles andere als ausgemacht.

Sowieso nichts tun werden die üblichen Verdächtigen: Paul Ryan und/oder Mike Pence werden vermutlich spätestens morgen vor die Mikrofone treten und erklären, Frau Veselnitskaya habe überhaupt keine Informationen geliefert, und die eigentliche Desinformation komme von den liberal media mit ihrer Hexenjagd auf Präsident Trump. Sean Hannity wird wissen lassen, die verdeckte Zusammenarbeit mit einer feindlichen Macht sei ein notwendiges Übel gewesen, um Hillarys E-Mail-Affäre aufzuklären, und Alex Jones wird enthüllen, dass Trump Jr. sich in Wirklichkeit auf einer heroischen Suche nach russischen Spitzeln befunden habe. Ach nein, Verzeihung – das hat er schon.

Death before Impeachment

Natürlich träumen wir alle von dem Tag, da Donald Trump das Weiße Haus wieder verlässt. Das rechtfertigt jedoch nicht unseren stetigen, teils fast schon ritualisierten Selbstbetrug in dieser Frage. Wir sollten und müssen Vertrauen in die amerikanischen Institutionen haben, was aber keineswegs heißt, dass wir uns jedes Mal wohlfeilen Illusionen über Amtsenthebungsverfahren oder Perp Walks in Handschellen hingeben dürfen, nur weil mal wieder eine Eilmeldung von POLITICO auf unser Handy ploppt.

Die Wahrheit ist leider: Trump wird erst einmal unser aller Problem bleiben. Bis mindestens Januar 2019 hat er ohnehin Narrenfreiheit, denn so lange kann er sich auf jeden Fall noch auf eine Kongressmehrheit stützen – zumal mit dem hauchdünnen Sieg der republikanischen Kandidatin bei der vielbeachteten Nachwahl in Georgias 6. Kongressbezirk Anfang Juni „bewiesen“ wurde, dass die Partei selbst unter Donald Trump noch Wahlen gewinnen kann, wenn auch nur höchst knapp.

Aber auch nach 2019 gibt es für Trump-Gegner keinen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Die amerikanische Republik besteht bald ein Vierteljahrtausend, und in all dieser Zeit wurde kein einziges Impeachment erfolgreich zu Ende gebrahct. Auch für Trump ist die für eine Verurteilung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat ausgesprochen unwahrscheinlich, wenn auch vielleicht nur, weil ihm persönlich kein Fehlverhalten nachzuweisen ist. Zwar würden jedem anderen Politiker Vorwürfe dieser Art um die Ohren fliegen, wenn sie auch nur sein erweitertes Umfeld beträfen, doch bei Trump gelten eben andere Gesetze. Und auch wenn er der älteste Amtsinhaber aller Zeiten ist, darf man angesichts jahrzehntelanger Alkohol- und Tabakabstinenz nicht davon ausgehen, dass er den Journalisten dieser Welt den Gefallen tut, von einem Tag auf den anderen tot umzufallen. In Deutschland gerne aufgegriffene Ferndiagnosen des Inhalts, Trump leide an einem frühen Stadium von Demenz, dürfen getrost als Wunschdenken abgetan werden. Es hilft alles nichts: Trump wird uns bis zum Ende seiner ersten Amtszeit erhalten bleiben, und wenn es dem Wahlvolk gefällt, in drei Jahren noch einmal mit der Mistgabel zu wedeln, vielleicht sogar bis 2024. Mit diesem Gedanken müssen wir uns anfreunden, weil wir ihn nicht ändern können.

Es bleibt in der Familie

Und es wird sogar noch schlimmer: Die zurecht viel kritisierte Einbindung aller möglichen nahen und fernen Verwandten des Trump-Clans in staatliche Entscheidungspositionen zeigen erste Anzeichen einer Dynastiebildung, wie man sie aus semiautoritären Staaten kennt. Zwar wird Trump wohl nicht direkt einen seiner Söhne zum Nachfolger küren, aber was spräche zum Beispiel gegen Claire Underwood  Ivanka 2024? Oder, falls sie bei ihrer Ablehnung bleibt, Jared Kushner? Trump hat schon jetzt das Amt dazu genutzt, seine Familie in der Öffentlichkeit aufzubauen, und er wird das auch noch für weitere dreieinhalb oder siebeneinhalb Jahre tun. Der Gewöhnungseffekt wird nicht zu unterschätzen sein, und angesichts der fortschreitenden Rückgratlosigkeit der republikanischen Partei könnte aus dem trumpistischen Intermezzo, als das viele die aktuelle Präsidentschaft gerne sehen wollen, allzu schnell eine ganze Ära werden – die Kirchners lassen herzlich grüßen.

Es ist allzu menschlich und bequem, uns ständig einzureden, der Spuk sei bald vorbei. Nützlich ist es nicht. Wir alle müssen uns zu einer erwachseneren Haltung zwingen, um mit dem Elend fertigwerden zu können, das uns mutmaßlich noch jahrelang begleiten wird. Wie gesagt: Es hilft alles nichts.

Nachtrag des Autors

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass ich obigen Text in der herzinnigsten Hoffnung geschrieben habe, mich vollumfänglich zu irren.