Es war falsch, dass die „Tagesschau“ nicht über den verdächtigen Flüchtling beim Mord der Studentin berichtet hat, aber keine „Lügenpresse“.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben es schon wieder getan: Sie haben über ein Großereignis nicht berichtet. Am Samstagabend verzichtete die „Tagesschau“ darauf, über den Mord an der jungen Freiburger Studentin zu berichten. Wie schon im Januar bei der misslungenen ZDF-Berichterstattung über die Kölner Silversternacht gab es einen Aufschrei in den sozialen Medien, vor allem am rechten Rand.

Die Aufregung ging allerdings erst so richtig am Sonntag los, nachdem sich die Tagesschau in ihrem Blog rechtfertigte. Der Mord habe eher „regionale Bedeutung“, so die Begründung von Tagesschau-Chef Kai Gniffke. Und wohl wahr: Wenn es ein ganz gewöhnlicher Mordfall wäre, dann hätte niemand einen Bericht in der Tagesschau erwartet. In Deutschland werden jedes Jahr um die 300 Menschen ermordet -, die Tagesschau müsste jeden Tag über Entwicklungen in Mordfällen berichten.

Nur: Es war kein normaler Mordfall. Wenn sich das Verdachtsmoment der Staatsanwaltschaft bestätigt, ist der Täter ein unbegleiteter 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan. Laut Staatsanwaltschaft gibt es stichhaltige Beweise, die den 17-Jährigen belasten. Mit schneller Vorverurteilung sollte man warten, aber allein der Verdacht reicht aus, um die Dimension und die Bedeutung des Falls für die öffentliche Debatte zu erkennen.

Und hier irren diejenigen, die behaupten, der Fall sei ein Mordfall wie jeder andere oder eine „regionale“ Tat. Selbstverständlich hat ein solcher Fall eine politische Dimension. Es mag ein Gebot der Justiz sein, jeden Fall für sich und nur nach der strengen Faktenlage zu bewerten. Aber: Was in deutschen Gerichtssälen schon schwer fällt, ist in der Öffentlichkeit unmöglich. Über ein Jahr nach Beginn der Flüchtlingskrise, nach einem beispiellosen Aufstieg der Populisten in Deutschland und Europa, hat der Fall automatisch eine politische Dimension. Sollte der Verdächtige schuldig sein, wäre es wohl der erste heimtückische Mord durch einen Flüchtling in Deutschland – und das auch noch an einer jungen Studentin.

Dass nun Leute wie der Polizei-Gewerkschafter Rainer Wendt behaupten, die junge Frau wäre noch am leben, wenn Bundeskanzlerin Merkel andere Flüchtlingspolitik betrieben hätte, mag auf den ersten Blick als einfache Antwort auf ein hochkomplexes Problem erscheinen. Vernunftbegabte Menschen wissen allerdings, dass sich unter Flüchtlingen Mörder, Vergewaltiger, Idioten, aber auch Metzger und Querflötistinnen befinden. Alles andere wäre bei einer so großen Gruppe höchst unwahrscheinlich. 

Wenn man aber wie Wendt aus einem Einzelfall auf die große Masse schließen will, dann sollte man aber keine falschen Schlüsse ziehen wie: „Dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre unser Land auf die Gefahren vorbereitet gewesen, die mit massenhafter Zuwanderung immer verbunden sind“. Ganz offensichtlich hat Wendt als Polizist noch nie etwas von Extrapolation gehört.

Auch die Verteidiger der Tagesschau liegen daneben: Stefan Niggemeier schreibt, die „Tagesschau“ hätte richtig gehandelt und kritisiert – zu Recht – den Artikel auf stern.de „So macht’s die ‚Tagesschau‘ den Lügenpresse-Hetzern recht“. Dort heißt es tatsächlich:

„Ob es Unvermögen der Redaktion oder ein falsch verstandenes Verständnis von Täterschutz war: So oder so ist das Verschweigen eine der wichtigsten Nachrichten des Tages eine Fehlleistung ‚Tagesschau‘. Sie setzt sich damit dem Vorwurf der Lügenpresse aus. Und dieses Mal nicht ganz zu Unrecht.“

Wenn seriöse Journalisten im Jahr 2016 anderen seriösen Medien “Lügenpresse” unterstellen, dann hat der Journalismus hierzulande ein großes Problem. Ein so großes Problem, dass man anderen Journalisten ganz offensichtlich nochmal das Wort „Lüge“ erklären muss. Der Duden definiert sie als „bewusst falsche, auf Täuschung angelegten Aussage“. Auch wenn in unserer relativistischen Welt nichts mehr so ganz wahr ist: Der „Tagesschau“ zu unterstellen, sie hätte gelogen, ist schlichtweg Blödsinn.

Niggemeier aber irrt darin, dass die Öffentlich-Rechtlichen sich ihre Welt ein wenig so zusammen basteln, wie sie ihnen gefällt. Das komplexe an der Lügenpressen-Diskussion ist, dass die Kritik nie ganz falsch ist. Schon Goethe schrieb an seine Charlotte: „Die Wahrheit enthält immer auch Lüge“.

Journalismus wird immer nur eine Auswahl an Fakten und Geschichten präsentieren, immer nur einen bestimmten Teil der Wahrheit. Es ist weder die Aufgabe der privaten Medien noch der Öffentlich-Rechtlichen rechten Populisten nach dem Mund zu reden. Es ist Aufgabe der Journalisten, den für die meisten Menschen relevanten Teil der Wahrheit abzudecken.

Und der Tod der jungen Freiburger Studentin ist eben so besonders, wie ihn viele empfunden haben. Mord ist Alltag in Deutschland, Mord von Flüchtlingen nicht. Das sollte ein Journalist und eine große Redaktion erkennen und einschätzen können. Die „Tagesschau“ ist am Samstag nicht zu dem Schluss gekommen. Und auch am Montag – als die „Tagesthemen“ dann darüber berichteten – wollte Ingo Zamperoni keinen Fehler eingestehen. Bei aller berechtigen Kritik daran ist das aber keine “Lügenpresse”. Es ist einfach nur schlechter Journalismus.