Auch Bio-Bauern spritzen Pflanzenschutzmittel – und die sind keinesfalls immer umweltverträglicher oder weniger giftig als die Mittel der konventionellen Landwirtschaft.

Dass Bio-Lebensmittel nicht gesünder sind als die Produkte der konventionellen Landwirtschaft, ist schon mehrfach durch umfangreiche Untersuchungen nachgewiesen worden. Weiterhin hartnäckig hält sich aber die Vorstellung, der Bio-Landbau käme irgendwie ohne Pflanzenschutz aus. Bei einer Umfrage in Großbritannien erklärten 95 Prozent der Befragten, sie kauften Bio-Produkte, um Pestizide zu vermeiden. Auch in Deutschland geben Verbraucher an, Bio-Lebensmittel wegen einer geringeren Schadstoffbelastung zu kaufen. Die Grünen formulieren wunderbar zweideutig, sie seien für eine Landwirtschaft „ohne chemische Substanzen, Antibiotika und Pestizide“. Wer glaubt, Bio-Landwirtschaft käme ohne Pestizide aus, kann den Satz so lesen, dass er ihm recht gibt.

Doch auch ein fester Glaube schützt nicht vor Naturgesetzen. Bio-Landbau unterliegt den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie konventionelle Landwirtschaft, und die besagen zum Beispiel, dass große Ackerflächen, auf denen nur eine Kultur steht, sehr anfällig für Krankheiten und ein gefundenes Fressen für Schädlinge sind. Und ja, auch ein Acker mit Bio-Weizen ist eine solche Reinsaat.* Einer Weizengallmücke sind die ideologischen Überzeugungen des Landwirts, der ihr den Tisch deckt, herzlich schnuppe.

Daher muss selbstverständlich auch der Bio-Bauer seine Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten schützen – auch mit Spritzmitteln. Die Liste der vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zugelassenen Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln im ökologischen Landbau umfasst knapp 100 Din-A4-Seiten.

Fakt ist: Auch Bio-Bauern spritzen ihre Pflanzen. Der Unterschied ist lediglich, dass sie keine „synthetischen“ Pestizide einsetzen. Grob gesagt, verwenden sie nichts, das nicht in der Natur vorkommt. Doch dass „natürlich“ per se besser, gesünder, ungefährlicher wäre als „künstlich“, ist ein weit verbreiteter Trugschluss. Aflatoxine zum Beispiel gehören zu den stärksten Karzinogenen, die wir kennen. Als Pilzgifte sind sie vollkommen natürlich. Und die giftigste aller Substanzen, das Botulinumtoxin, das manche Menschen sich freiwillig als Botox unter die Haut spritzen lassen, braut Mutter Natur ebenfalls ganz ohne menschliche Einmischung. Beide Substanzen, Afla- und Botulinumtoxine, finden sich übrigens immer wieder in unserer Nahrung.

Ein besonders schönes Beispiel für die Willkürlichkeit der Unterscheidung sind die Bt-Cry-Toxine. Dabei handelt es sich um Giftstoffe, die von der Bakterienart Bacillus thuringiensis (Bt) produziert werden. Diese kristallin verpackten Proteine werden durch das alkalische Milieu im Verdauungstrakt von Insekten aktiviert, wo sie dann die Membranen der Darmzellen durchlöchern und dadurch ihren Tod auslösen. Bt-Toxine lassen sich künstlich im Labor herstellen und werden als Insektizid eingesetzt. Seit 1997 gibt es außerdem Pflanzen, in die über gentechnische Verfahren der Mechanismus zur Produktion von Bt-Toxinen aus Bakterien übertragen wurde. Im Bio-Landbau hingegen wird stattdessen vor allem das Bakterium selbst auf die Pflanzen ausgebracht.

In allen drei Fällen wird also derselbe Wirkstoff verwendet – mit dem Unterschied, dass sich beim Einsatz der Bakterien selbst weder die Dosierung genau bestimmen lässt, noch vollständig geklärt ist, welche anderen womöglich auch für andere Organismen schädlichen Proteine die Bakterien erzeugen. Die beste Kontrolle bieten hier zweifelsohne die gentechnisch veränderten Pflanzen, weil tatsächlich nur Insekten, die an den Pflanzen fressen, vergiftet werden. Auf Menschen wirken diese Bt-Toxine übrigens nicht.

In diesem Fall ist biologischer Pflanzenschutz also nicht nur nicht gesünder als konventioneller, er ist auch vor allem keinesfalls besser für die Umwelt. 2009 scheiterte fast die Hälfte aller bis dahin für den Öko-Landbau zugelassenen Pestizide an der Sicherheitsprüfung durch die europäische Lebensmittelbehörde EFSA.

Denn auch natürliche Substanzen können umweltschädlich sein. Ein vor allem in Weinbau viel verwendetes Fungizid ist Kupfersulfat. Kupfer bindet an die Proteine schädlicher Pilze, die Weinreben befallen (aber auch von Algen und Schnecken), und zerstört dadurch deren Zellmembrane. Doch Kupfersulfat wirkt nicht nur auf Schädlinge, sondern auch auf höhere Lebewesen, inklusive Menschen. Es kann Augenreizungen, Übelkeit, Leber- und Nierenschäden hervorrufen. Darüber hinaus sammelt sich Kupfer auch im Boden an. In einigen Weinbauregionen Frankreichs ist der hohe Kupfergehalt im Boden mittlerweile ein so großes Umweltproblem, dass Winzer auf das Bio-Label verzichten, um auf umweltverträglichere konventionelle Spritzmittel zurückgreifen zu können.

Darüber hinaus wirkt Kupfersulfat stark toxisch auf Bienen – wie auch die ebenfalls für den Bio-Landbau zugelassenen Pestizide Beauveria bassiana (ein Insekten tötender Pilz), die von Chrysanthemen gebildeten Pyrethrine und das aus einem Bakterium gewonnene Spinosad.

2010 kamen kanadische Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass synthetische Pestizide bei der Bekämpfung der Sojabohnen-Blattlaus nicht nur effektiver sind, sondern auch umweltschonender. Zugegeben, das ist ein Einzelbeispiel bei einer sehr speziellen Anwendung. Aber es zeigt, dass die Gleichsetzung von biologisch und umweltverträglich ebenso unsinnig ist wie die von biologisch und gesund.

Kein Landwirt spritzt gern Pestizide. Das ist teuer und verursacht Arbeit. Immerhin sind die Mengen der eingesetzten Mittel im konventionellen Landbau seit Jahrzehnten rückläufig. Auch die Toxizität nimmt ab. Aber Landwirtschaft ganz ohne Pflanzenschutz ist nicht möglich, will man nicht massive Ernteverluste riskieren. Das hat der Sommer 2016 eindrucksvoll gezeigt, der mit seinem feuchten Wetter verheerende Schäden bei Bio-Wein und Bio-Kartoffeln verursacht hat. Ohne synthetische Pflanzenschutzmittel hatten die Biobauern der Knollenfäule und dem Falschen Mehltau nichts entgegenzusetzen.

*In einer früheren Fassung dieses Artikels wurde hier fälschlich der Begriff „Monokultur“ verwendet. Von einer Monokultur wird aber erst gesprochen, wenn auf derselben Fläche über mehrere Jahre hintereinander dieselbe Kultur angebaut wird.

 

[hr gap=““]

Bio bedeutet ungespritzt. Kernreaktoren können explodieren. Kuba hat ein vorbildliches Gesundheitssystem. In unregelmäßigen Abständen begibt sich Johannes Kaufmann hier auf Mythenjagd. Themenvorschläge werden gern entgegengenommen.

Sämtliche Mythenjagd-Beiträge finden sich hier.