Man kann nur etwas abschaffen, was es vorher auch gab. Um die Netzneutralität war es vor ihrer Beseitigung durch die F.C.C. schon nicht gut bestellt.

Die amerikanische Federal Communications Commission (F.C.C.) hat die aus der Obama-Zeit stammende Regelung zur „net neutrality“, zu Deutsch: Netzneutralität, abgeschafft. Diese sah folgende drei Punkte vor:

  1. Blocken: Es ist verboten, Zugriff auf legale Inhalte im Internet zu sperren.
  2. Drosseln: Legale Inhalte dürfen nicht ausgebremst werden.
  3. Bezahlte Priorisierung: Es darf keine „Überholspur“ für Unternehmen oder Verbraucher geschaffen werden, die dafür extra bezahlen.

Diese Regeln sollen davor schützen, dass marktbeherrschende Firmen sich mit Geld einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen können und dass kleinere Anbieter oder Privatpersonen benachteiligt werden. Das kann zur Folge haben, dass der Internetanschluss sich zu einem etwas besseren Fernsehkabelanschluss zurück entwickelt, vor allem, da viele Internetanbieter eigene Inhalte transportieren, die sie jetzt ganz legal bevorzugen können.

Die Abschaffung dieser Regelung zog verständlicherweise einen Shitstorm im Internet nach sich. Viele Twitter-Benutzer zeigten der F.C.C. ihren Mittelfinger oder verbreiten Hass gegen Ajit Pai, den Vorsitzenden der F.C.C.

In Deutschland gibt es keine Netzneutralität

Doch wozu die ganze Aufregung? Wenn man sich die Sache näher anschaut, wird klar: Es gab nie eine Netzneutralität. Deshalb kann sie auch nicht abgeschafft werden.

Für die meisten Anwender ist „Das Internet“ die Suchseite von Google und die Startseite von Facebook. Die Unternehmen, die die Infrastruktur betreiben, kennt so gut wie niemand. Das sind Unterseekabelbetreiber wie MENA, Backbonebetreiber wie Cogent, Rechenzentrenbetreiber wie InterXion und Peeringpunktbetreiber wie DE-CIX. Alle diese Firmen sind milliardenschwer und international tätig. Es gibt noch abertausende kleinere Firmen in diesen Bereichen und alle sind bei der Behandlung des Internettraffics neutral. Bekannt sind nur die Firmen, mit denen der Kunde direkten Kontakt hat: Der Anbieter der eigenen Leitung im Haus, der Mobilfunkanbieter und der Betreiber der genutzten Dienste. In Deutschland also beispielsweise die T-Com und Google. Und genau zwischen diesen beiden herrscht Krieg.

Krieg zwischen Dienstanbietern und Netzbetreibern

Die Deutsche Telekom etwa findet, dass die Umsätze, die Google mit YouTube in Deutschland macht auch dank ihnen erwirtschaftet werden. Sie bieten ja immerhin die Durchleitung der Endkunden zu Google! Der ehemalige Telekom-Chef René Obermann hatte daher einen Krieg mit Google angezettelt: Die Verbindungen zu Upstream-Anbietern, über die der YouTube-Traffic ins Telekom-Netz seinen Weg fand, wurden künstlich zu klein gehalten. Jeden Abend, wenn der meiste Internetverkehr aus Privathaushalten entsteht, sind diese Verbindungen überlastet. Die Videos stotterten und der Video-Dienst war unbenutzbar. Obermann bot Google einen schnellen, privaten Link in den Backbone der Telekom gegen Geld an, aber die winkten ab. Der Schaden blieb bei der Telekom: Sie bekam den Ruf, keine gute YouTube-Anbindung zu haben. Daher hat sie klein beigegeben und Google ein kostenloses, ausreichend großes Peering gestattet.

Telekom und Vodafone

Aber für andere Anbieter ist es weiterhin so: Wer Telekom-Kunden auch in den Abendstunden schnell erreichen will, muss dafür bezahlen. Ist das Netzneutralität?

Nach der Obama-Richtlinie: Ja! Denn nur der Traffic im Backbone des Anbieters darf nicht priorisiert werden! Die Uplinks sind nicht Teil der Regelung.

Die Telekom ist außerdem ein Diensteanbieter mit eigenen Inhalten. EntertainTV ist so ein Angebot und es wird auf den Leitungen priorisiert. Es funktioniert auch dann, wenn das Netz ansonsten überlastet ist. Ist das Netzneutralität?

Auch hier wieder ein eindeutiges Obama-Ja! Denn das Angebot EntertainTV ist nicht allgemein im Internet verfügbar und läuft auch nicht auf der selben Verbindung wie die Internetdienste. Die Leitung ist zwar die selbe, aber die logische Verbindung ist eine andere. Der Konkurrenz von Netflix bleibt also nichts weiter übrig, als die Telekom zu bezahlen.

Aber nicht nur die Telekom macht bei der Aushebelung der Netzneutralität mit. Vodafone etwa hat seit Neuestem auf dem Handymarkt Produkte, die sie „Pass“ nennen, die gewissen Traffic, etwa von Streaminganbietern wie Netflix nicht auf das Datenvolumen anrechnen (genau wie die Telekom auch). Dieser Traffic wird dadurch für den Anwender interessanter. Ist das Netzneutralität?

Aber natürlich! Die Pakete werden nicht priorisiert. Nur eben anders abgerechnet. Wieder ein eindeutiges Obama-Ja!

Was die neue F.C.C.-Regelung also erlaubt, ist, dass man jetzt ganz legal und bequem im Backbone das machen kann, was man vorher sowieso über Tricks und Kniffe an anderen Punkten im Netz schon lange gemacht hat.

Das macht die Sache aber nicht besser. Dieses Blog etwa kann darunter leiden wie auch jeder andere kleine Anbieter im Netz. Und die Motivation dahinter ist nur, dass die Netzbetreiber neidisch sind auf die Umsätze der Firmen wie Google, Amazon, Apple und Co. Das ist so, als ob ein Straßenbauunternehmen für die Benutzung der Landstraßen Geld von Volkswagen oder Toyota haben will, weil sie das Autofahren ermöglichen: Ausgemachter Quatsch.

Technologieschelte

Die alte Regelung war weitgehend unwirksam. Der Grund ist, dass Technologien wie das Drosseln oder Priorisieren verboten werden, nicht aber die Behinderung der Dienste auf anderen Wegen. Man sollte die Nutzung der Technologien den Unternehmen überlassen und gesetzliche Rahmenbedingungen aufstellen, die technologieunabhängig sind. So fördert man Innovation. Denn die Technologie, die dem zugrunde liegt, was hier verboten war, nennt sich „Quality of Service“ (QoS), und die kann man auch zum Kundenwohl einsetzen. Ich habe bei meinem Internetanschluss in Israel einen solchen Service gebucht: Kleine Pakete mit niedriger Bandbreite werden bei mir zu Hause gegen Geld priorisiert. Warum? Damit mein VoIP-Anschluss von einem kleinen Deutschen Anbieter auch in den Abendstunden sauber funktioniert. Ist doch super!

Dennoch ist die F.C.C. Entscheidung schlecht

Die Situation nach der Entscheidung durch die F.C.C. ist dennoch schlimmer als vorher. Wenn Priorisierung und Filterung nach kommerziellen Gesichtspunkten ausdrücklich erlaubt ist, entstehen neue  Geschäftsmodelle. So kann ein Anbieter etwa billige Mobilfunkverträge verkaufen, die nur Zugriff auf Dienste von Facebook bieten und die Kosten dafür übernimmt Facebook. Ein Konkurrenzprodukt kämpft dadurch mit einer Markteinstiegshürde, wie es sie bisher bei Internetdiensten noch nicht gab. Das ist nicht gut für Innovation und schadet dem Nutzer.

Und jetzt?

Die Netzbetreiber müssen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Schnelle Anschlüsse. Die Politik wiederum muss die Gesetze gegen Monopolbildung und Preisabsprachen an das Internetzeitalter anpassen. Google, Appple und Amazon haben Quasimonopole erreicht, die Exmonopolisten wie die Deutsche Telekom blass aussehen lassen. Wie das zu schaffen ist? Gute Frage! Eine weitere Eingrenzung der Netzneutralität ist jedoch der falsche Weg.