Wie ich einmal eine Uni besetzte
Ein Besuch der besetzten Humboldt-Uni in Berlin versetzte mich zurück in meine eigene Zeit als akademischer Revolutionär. Es gab Bier.
An der Berliner Humboldt-Uni besetzen Studenten derzeit das sozialwissenschaftliche Institut, um gegen die Entlassung von Andrej Holm zu protestieren. Ich stattete ihnen jüngst aus beruflichen Gründen einen Besuch ab. Obwohl die Besetzer erst einige Tage in dem Gebäude ausharrten, sah man schon deutlich die Spuren menschlicher Existenz. Müllsäcke, Bierkisten, Pappgeschirr und Aushänge mit Regeln respektvoller Koexistenz prägten das Bild. Und plötzlich fühlte ich mich in meine eigene Unizeit zurückversetzt.
Ruhr-Universität Bochum, Herbst 2009. Ich war gerade ein Jahr an der Uni, eingeschrieben für Geschichte und Germanistik. Die Ruhr-Uni gehört mit heute 42.000 Studierenden zu den zehn Großen der Republik. Als ich damals dort ankam hatte ich das Gefühl, dass alle um mich herum links sind. Die Professoren, die Kommilitonen und die meisten politischen Listen natürlich auch. Ich interessierte mich für die „Linke Liste“, die linkeste von allen. Das passte gut, hatte ich mir doch ein Jahr zuvor 68er-Gedächtnisliteratur („40 Jahre 1968“) besorgt und diese eifrig eingeatmet.
Plötzlich brach der Bildungsstreik los und wir besetzten mit rund 200 Personen das Audimax.
Ich glaube, es ging um Studiengebühren, „freie Bildung“ und die kommunistische Weltrevolution. So ganz genau weiß ich das nicht mehr. Ich weiß nur noch dass wir Bier getrunken haben. Viel Bier. Eigentlich hatte vieles von dem was wir taten mit Bier zu tun. Das heißt nicht dass wir sonst nichts getan haben. Es gab Konzerte, Podiumsdiskussionen, Workshops und Demos. Doch am Ende einer jeden Aktion stand: Bier. Einmal haben wir eine Demo durch die Bochumer Innenstadt gemacht. Schon auf dem Hinweg hatten wir ziemlich viel Bier dabei, und als wir am Abend auf den Campus zurückkehrten, gingen wir noch schnell beim Supermarkt vorbei und füllten uns die Rucksäcke nach.
Heute bewundere ich unsere Ausdauer. Oft diskutierten wir bis 3 Uhr Nachts und dann flogen die Kronkorken. Einmal boten wir die altehrwürdige Orgel bei Ebay zum Verkauf an. Manche hatten sogar Sex zwischen den Sitzreihen. Irgendwann schliefen wir auf dem relativ harten Teppichboden ein. Als einige Stunden später die Reinigungskräfte anrückten, brummte uns ordentlich der Schädel, uns war schlecht, wir waren völlig übernächtigt – und fühlten uns bestens.
Unter uns: ich fuhr morgens nach getaner Arbeit regelmäßig heim um zu duschen und mich umzuziehen. Wie meine Genossen in der Humboldt-Uni das handhaben, also, die harte oder die weiche Tour, weiß ich nicht. Jedenfalls haben viele von uns (ich eingeschlossen) durch unseren revolutionären Akt zahlreiche Kurse verschlafen und damit das Semester nicht geschafft. Die Anwesenheitspflicht erlaubte uns nämlich nur zwei Fehlstunden pro Semester, aber auch dagegen protestierten wir ja.
Und weil wir so groß, klug, betrunken und revolutionär waren, sahen wir uns als die Elite der Uni-Besetzer an. Das wurde deutlich, als wir der nicht weit entfernten Evangelischen Hochschule einen Solidaritätsbesuch abstatteten. Dort wurde nämlich auch eine Besetzung durchgeführt. Als wir dort ankamen, trauten wir unseren Augen, Ohren und sonstigen Gliedmaßen nicht. Schon auf dem Parkplatz kam uns – wir waren natürlich in bester Bierlaune – ein Student entgegen der uns bat, das Singen revolutionären Liedgutes einzustellen und Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen. Am Gebäude angekommen mussten wir feststellen, dass hier wohl die Milhouse-Van-Houten-Variante unseres Protests stattfand.
Wir blickten auf eine Gruppe von rund 30 Leuten. Zwei von ihnen nippten verstohlen an einem Mischbier. Das Licht war gedimmt, ein Film lief. Ja, ein Film. Leise sollten wir sein, einige seien schon am Schlafen. Überhaupt habe man die „Besetzung“ mit den Dozenten abgesprochen. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unserer Hochschule“, wurde uns gesagt. Wir machten uns wieder auf den Weg zu unserer Trutzburg.
Ich weiß, das klingt alles sehr chaotisch, infantil und wenig zielführend. Aber soll ich euch was sagen? Wir haben gewonnen.
Die Weltrevolution kam zwar nicht, aber die Studiengebühren wurden tatsächlich abgeschafft. Wie wir das geschafft haben, wussten wir selber nicht. Okay, auch andere Faktoren trugen dazu bei, aber summa summarum hielten wir es in unserem schmucken Audimax doch ganze zwei Wochen aus und waren somit Teil des großen Ganzen.
Was aus der Besetzung an der Humboldt-Uni wird, weiß ich nicht. Dass die Studierenden dort ausharren werden, bis Andrej Holm wieder eingestellt wird, glauben wohl nicht mal sie selber. Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Es kann auch einfach verdammt viel Spaß machen, wenn man es richtig angeht.