In der Inszenierung von „Tod eines Handlungsreisenden“ am Deutschen Theater konnte Ulrich Matthes in seiner Rolle als Hauptfigur Willy Loman glänzen, indem er seinen Narzissmus herausarbeitete. Eine Rezension.

Eine Inszenierung, die mit einer großen dramaturgischen Zäsur beginnt, kann nur atemberaubend sein. Im Deutschen Theater begann die Produktion von „Tod eines Handlungsreisenden“ unter der Regie von Bastian Kraft mit dem Requiem, während das Theaterstück von Arthur Miller im Original damit endet. Diesen Abschluss des Werkes voranzustellen hatte eine geradezu verlässliche Art von „Dinge auf den Kopf stellen“ in einer Welt kontinuierlicher Turbulenzen.

Die Handlung ist bekannt, es geht um die Substanz

Warum? Weil niemand ins Theater geht, um zu sehen, wie Willy Loman den Tod eines Handlungsreisenden stirbt. Jeder weiß, wie das Stück ausgeht. Man geht ins Theater, um zu betrachten, welchen Bezug ein solch monumentales Werk heute noch für unsere Welt hat. In dieser Inszenierung konnte man es erfühlen. Die Schlichtheit der Bühne – es gibt nichts außer weiße Wände, Tisch und einige Stühle – bietet Raum, sich auf die Charaktere zu konzentrieren.

Die Schauspielkraft von Ulrich Matthes in der Hauptfigur verdeutlichte überragend den schlimmsten Charakterzug von Willy Loman, nämlich seinen Narzissmus. Loman wird oft als eine Bühnenfigur gesehen, der dem Kapitalismus zum Opfer fiel und den der amerikanischen Traum abgehängt hat. Er könnte heute ein Tea-Party-Anhänger und ein Trump-Wähler sein. Arthur Miller konzipierte sein Werk jedoch vor allem als Gesellschaftskritik. Willy Loman scheitert in seinem Leben nicht, weil er Träume hat, sondern weil er größenwahnsinnig ist. Er denkt groß – zu groß. Eine Gesellschaft, die immer weiter und höher strebt, bietet Individuen die Gefahr, Bodenhaftung zu verlieren, denn es gibt keine Grenze – wer will einen denn stoppen? Eine Gesellschaft mit einem riesengroßen geographischen Raum betreibt gelegentlich nur noch Konzentration auf sich selbst.

Falscher Stolz führt in den Untergang

Es ist daher ein immenser Verdienst von Ulrich Matthes, dieses Bild eines verlorenen Menschen zu zeichnen, der an seinen Lebenslügen zerbricht und aus falschem Stolz keinerlei Hilfe annehmen will. Matthes findet im Zusammenspiel mit Benjamin Lillie als Biff Loman einen ebenbürtigen Kontrapunkt. Der Vater-Sohn-Konflikt wird von beiden grandios gespielt und findet einen Schlagabtausch auf der Bühne, der den Theaterbesucher emotional betroffen zurücklässt und gleichzeitig einen echten Funken Hoffnung entfacht. Lillie lässt seinen Biff Loman die Kurve kriegen, indem er es sich aus der Seele spielt, dass seine Figur den Weg zurück zur Realität gefunden hat. Er sagt von sich selbst, dass er ein Nichts sei. Diese Selbsterkenntnis ist ein Erfolg.

Und sein wortgewaltiges und lautstarkes Spiel steht dem dröhnenden Schweigen einer ganzen Familie gegenüber der Psychose von Willy als Kontrapunkt gegenüber. Die Heimlichkeiten, die Lügen des Lebens, die utopischen Ziele haben ein Ende – endlich. Biff kann in dieser erlösenden Selbstreflektion nun vielleicht zum ersten Mal sein individuelles Glück suchen. Man würde sich ein neues Theaterstück allein auf Benjamin Lillie zugeschnitten wünschen in dem er diesen Weg ausprobiert – als Farmer, als Pizzabäcker oder als Schriftsteller. Es wäre vollkommen egal ob es eine körperliche oder intellektuelle Arbeit wäre – sie wäre gut und erfolgreich, solange sie Sinn ergibt. Es ist diese Interpretation von Krafts Regie, die den Glauben an den amerikanischen Traum herausarbeitet, denn die Essenz ist die Suche nach dem individuellen Glück. Sie erfordert kritische Auseinandersetzung, deshalb war „Tod eines Handlungsreisenden“ am Deutschen Theater ein anstrengendes Theatervergnügen.

Von Saba Farzan.

Saba Farzan ist eine Liberale im Staatsdienst. Sie liebt Kultur und kritisiert Kulturaustausch mit sämtlichen Diktaturen.