Ich weiß, mit Analogien zwischen Fußball und Land sollte man vorsichtig sein. Und doch – gewisse Parallelen drängen sich auf. Aber bleiben wir erst mal beim Fußball selbst und den Reaktionen auf das miserable Ausscheiden Deutschlands bei der WM. Dieses wird offenbar von den Verantwortlichen weniger für problematisch gehalten, als das für andere Länder gilt. […]

Ich weiß, mit Analogien zwischen Fußball und Land sollte man vorsichtig sein. Und doch – gewisse Parallelen drängen sich auf. Aber bleiben wir erst mal beim Fußball selbst und den Reaktionen auf das miserable Ausscheiden Deutschlands bei der WM. Dieses wird offenbar von den Verantwortlichen weniger für problematisch gehalten, als das für andere Länder gilt. Etwa wenn Belgiens Trainer nach dem Vorrundenaus zurücktritt oder Spaniens Coach nach dem Exit im Achtelfinale. In Deutschland darf der erfolglose Coach hingegen weiterwursteln. Man faselt ein bisschen von Kontinuität und konsequenter Aufarbeitung – das war’s. Offenbar herrscht beim DFB eine Mischung aus Lethargie und Wunschdenken. Die offensichtliche Alternative Thomas Tuchel wäre halt doch sehr anstrengend gewesen. Man hätte ihn kontaktieren müssen, er hätte womöglich Reformforderungen gestellt. Und auch im Handling wäre er unbequemer gewesen als der verdiente DFB-Recke „Hansi“.

Vor allem hätte Tuchel eine Erfolgsorientierung mitgebracht, die dem Bild der sinnfreien Schönspielerei mit 98 Prozent Ballbesitz zuwiderläuft, das die Nationalelf momentan abgibt. Und da wird es grundsätzlich, weil dies etwas aussagt über die Seelenlage des Landes. Man hat sich in Deutschland an das Selbstbild der ästhetischen, der auch moralisch immer demonstrativ „richtig“ handelnden Nationalelf gewöhnt (Stichwort Mund zuhalten). Es fühlt sich so wunderbar an, nicht mehr mit teutonischem Kraftfußball assoziiert zu werden. Was für ein Wohlgefühl, wenn Leroy Sané rehäugig den Ball streichelt wie ein Stück Kunst. Dass dabei nichts Zählbares rauskommt – geschenkt.

Wir lebten lange in Rehaugen-Country. Sané ist mit seiner ineffizienten Ästhetik der Robert Habeck des Fußballs. Auch in der Politik haben wir lange die Vorstellung genossen, wir wären moralischer Leitstern für Regierungen weltweit, die für ein Stück weltanschauliche Belehrung ins wertemäßig erweckte (vielleicht sogar woke?) Berlin schauen würden. Dass das faktisch natürlich nie so war – ein realpolitisches Ärgernis, das aber die herrliche Vorstellung nicht unterminieren konnte.

Momentan aber wird es bekanntlich ungemütlich. Die harten Zeiten erfordern ein gewissermaßen unästhetisches Handeln. Im Fußball haben das erfolgreichere Teams längst erkannt und verbinden gute Ballbehandlung mit taktischer Flexibilität, Athletik und Torinstinkt. In der Politik erlebte Deutschland in den vergangenen Monaten lauter schmerzhafte Erweckungsmomente. Habeck und Co. haben sich durch den Druck der Verhältnisse aus ihrer ästhetisch-moralischen Kuschelecke verabschiedet. Noch ungemütlicher dürften die Zeiten in den kommenden Monaten werden, wenn die Kombination aus Rezession und Inflation voll zuschlägt und irgendwann die Frage aufgeworfen wird, wie denn der Wirtschaftsminister zu einer wieder wachsenden Wirtschaft beitragen möchte.

Aber, meine These: Die Regierung wird das hinbekommen. Und zwar schneller als der Fußball. So war es auch in der letzten Krisenphase des Landes. Es war zuerst die Regierung unter Gerhard Schröder, die verstanden hatte, dass wir in einer kompetitiven Welt leben, und die entsprechenden Reformen einleitete. Der Fußball zog nach, was 2006 zu einer zumindest ehrbaren Performance führte und 2014 zum Titel. Ähnlich muss der DFB auch heute wohl erst durch das Vorbild Politik aus seiner bräsigen Bubble rausgeholt werden. Bis dahin tun wir uns halt noch ein paar Jährchen hansieske Stagnation an. Die Fans haben das bereits antizipiert und begegnen dem Thema Nationalmannschaft momentan mit Desinteresse.

Im Übrigen beginnt ja bald wieder die Darts-WM.