Ich bin Medizinstudentin im Praktischen Jahr. Gerade arbeite ich auf einer COVID-19-Station an einem Maximalversorger in München. Am 29.12. habe ich die mRNA-Impfung von Biontech zum Schutz vor SARS-CoV-2 erhalten. Wie hat sich die Impfung angefühlt? Welche Nebenwirkungen habe ich? Ein Tagebuch.

21.12.20: Die europäische Arzneimittelagentur EMA lässt den Biontech-Impfstoff in der EU zu. Ich weiß, dass die Kliniken in München seit einiger Zeit die Impfung ihrer Mitarbeiter planen. Räume sind vorbereitet, Dienstpläne geschrieben. Doch was fehlt, ist der Impfstoff. Wie viele Dosen werden kommen? Wann? Und werde ich überhaupt geimpft? Als PJ-Studentin bin ich nicht angestellt. Dennoch arbeite ich 40 Stunden die Woche in der Klinik. Ich habe sehr viel engen Kontakt zu COVID-19-Patienten, mehr sogar als manche Ärzte. Denn ich kann mir für Untersuchungen und Gespräche viel Zeit nehmen, nehme Blut ab, lege venöse Zugänge, schreibe EKGs, gehe bei jeder Gelegenheit zu den Patienten. Auch bin ich nicht nur für einen Teil der Patienten zuständig, sondern für alle. Dennoch weiß ich nicht, ob ich als Studentin in den Impfplänen der Kliniken vorgesehen bin.

27.12.20: Erste Impfungen starten in Deutschland. Ob und wann ich geimpft werde, weiß ich nicht.

28.12.20: Heute bin ich auf der COVID-19-Station eingeteilt. Die Infektiologen dort erzählen, dass das Klinikum noch keinen Impfstoff erhalten hat. Ob und wann ich geimpft werde, ist weiter völlig unklar. Ich werde immer pessimistischer und rechne langsam nicht mehr damit.

Überraschend ist der Impfstoff da

29.12.20: Heute bin ich in der Notaufnahme eingeteilt. Nachmittags erreicht mich die frohe Botschaft: Das Klinikum hat überraschend etwa 1000 Impfdosen erhalten. Personal aus den besonders gefährdeten Bereichen (COVID-19-Station, Notaufnahme etc.) kann sich sofort impfen lassen. Das Klinikum hat vorgesorgt. Draußen steht ein großes Zelt mit Wartebereich und getrennten Impfräumen. Der Chefarzt der Infektiologie impft persönlich. Leitende Mitarbeiter der Infektiologie lassen sich fotografieren, während sie geimpft werden. Die Botschaft ist klar: Die COVID-19 Experten im Haus, die Menschen also, die seit fast einem Jahr die Patienten behandeln und sich intensiv mit allen Entwicklungen zum Thema beschäftigen, befürworten die Impfung.

Ich erhalte einen Aufklärungsbogen, unterschreibe eine Einwilligungserklärung, ein Arzt klärt mich ausführlich auf. Und impft mich. Ich bekomme eine kleine Spritze in den Oberarm. Während der Injektion verspüre ich kein Brennen. Nach der Impfung soll ich noch einige Minuten im Wartebereich sitzen bleiben.

Ich weiß, dass einige wenige Geimpfte schwere allergische Reaktionen erlitten haben. Ich bin Allergikerin und Asthmatikerin. Seit meiner Jugend bekomme ich etwa einmal im Jahr so schwere Bauchkoliken, dass mein Blutdruck in den Keller sackt und ich mich vor Schmerzen auf dem Boden krümme. Eine organische Ursache konnte nie gefunden werden, vielleicht habe ich neben meinem Heuschnupfen, meiner Katzen- und Stauballergie auch irgendeine unentdeckte Nahrungsmittelallergie. Vor etwa fünf Jahren habe ich aus heiterem Himmel eine schwere Nesselsucht (Urtikaria) bekommen. Über Monate hatte ich juckende Quaddeln am ganzen Körper, auch bekam ich schlimme Schwellungen an den Augenlidern und Lippen. Eine Ursache konnte auch hier nicht gefunden werden. Womöglich war auch dieses Ereignis allergisch bedingt.

Angst vor einer allergischen Reaktion

Zwar habe ich nie einen allergischen Schock gehabt, auch muss ich keinen Adrenalin-Pen bei mir tragen. Doch ein bisschen Angst vor einer allergischen Reaktion habe ich bei meiner Vorgeschichte schon.

Nach der Impfung bleibe ich also kurz im Wartebereich sitzen. Mir geht es gut, nichts passiert. Ich kann nach Hause fahren. Abends ziehe ich das Pflaster ab. Die Haut unter dem Klebestreifen ist gerötet (empfindliche Allergiker-Haut), die Einstichstelle ist völlig reizlos. Ich habe keinerlei Beschwerden.

30.12.20: In der Nacht wache ich auf. Jetzt tut mein geimpfter Arm etwas weh, wenn ich darauf liege. Ich drehe mich auf die andere Seite und schlafe weiter.

Ich bin an diesem Tag wieder in der Notaufnahme eingeteilt. Am Vormittag tut mein Arm etwas weh, wenn ich ihn über etwa 60 Grad hebe. Das kenne ich von anderen Impfungen, habe es aber schon deutlich stärker erlebt. Die Schmerzen sind auf einer Skala von 1 bis 10 bei 1. Allerdings ist mir am Vormittag sehr übel (5/10). Ich leide auch an Migräne und kenne Übelkeit. Ob die Übelkeit mit der Impfung zusammenhängt, weiß ich nicht. Ich bin arbeitsfähig und muss kein Medikament einnehmen. Der Arm sieht vollkommen normal aus. Nachmittags sind die Schmerzen im Arm und die Übelkeit verschwunden.

Keine Beschwerden

31.12.20 In der frühen Nacht wache ich auf. Ich habe starke Kopfschmerzen, nehme eine Tablette und schlafe weiter. Ob die Kopfschmerzen von meiner Migräne oder der Impfung kommen, oder vielleicht eine ganz andere Ursache haben, weiß ich nicht. Am Morgen habe ich gar keine Beschwerden mehr, keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit, auch der Arm tut nicht mehr weh, selbst wenn ich ihn über den Kopf hebe oder darauf liege. Auch während der Spätschicht in der Notaufnahme habe ich keine Beschwerden mehr.

01.01.21 Ich habe keine Beschwerden.

In den nächsten Wochen werde ich weiter über meine Nebenwirkungen berichten. In drei Wochen werde ich die zweite Dosis erhalten.

Warum ich mich impfen lasse

Ich will mich und andere schützen und vertraue der Impfung. Vor dem Medizinstudium habe ich ein Biochemiestudium abgeschlossen. Impfungen gehören zu den größten Errungenschaften der Medizin. Die beste Behandlung für Krankheiten ist, sie nicht zu bekommen. Genau das können Impfungen leisten. Die Zulassungsstudie der Biontech-Impfung hat mich überzeugt: Mehr als 20.000 Menschen haben den Impfstoff erhalten, die Impfung hat die meisten von ihnen vor einer Infektion geschützt und hatte milde Nebenwirkungen. Als Biochemikerin weiß ich, dass die geimpfte mRNA von den Muskelzellen aufgenommen und dann in ein Stückchen Virusprotein übersetzt wird. Dieses Stückchen präsentieren die Muskelzellen auf ihrer Oberfläche unserem Immunsystem und machen es sozusagen scharf auf dieses Merkmal. Die mRNA wird in den Muskelzellen bald wieder abgebaut, wird bei der Zellteilung nicht vermehrt und breitet sich nicht im Körper aus. Sie kann in unseren Zellen nicht in DNA umgeschrieben werden, kommt nicht in den Zellkern und kann nicht in unser Erbgut integriert werden. In unseren Zellen befinden sich Millionen mRNAs, die keinen Schaden anrichten. An mRNA-Impfstoffen wird schon lange geforscht. Ich hoffe darauf, dass sie in den nächsten Jahrzehnten einige Krebsarten heilen können.

Statistisch gesehen würde ich als junge Frau ohne schwere Vorerkrankungen einen milden COVID-19-Verlauf erleiden, dennoch gibt es auch junge und gesunde Menschen, die sehr schwer erkranken und auf der Intensivstation landen. Ich kenne die CT-Aufnahmen der Lungen der COVID-19-Patienten auf Station. Kaum eine andere Erkrankung richtet ein solches Bild in der Lunge an, die Veränderungen sind selbst dann noch sichtbar, wenn die Patienten klinisch wieder fit sind. Was langfristig mit diesen Menschen passieren wird, weiß niemand. Auch mache ich mir Sorgen wegen des Post-COVID-19-Syndroms: Einige Erkrankte sind noch über Monate so schwach, dass sie arbeitsunfähig sind.

Vor allem aber möchte ich andere schützen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland hat einen oder mehrere Risikofaktoren für einen schweren Verlauf. Ich sehe die COVID-19-Patienten auf Station und die angespannte Situation im Klinikum, vor allem auf der Intensivstation. Die Intensivbetten sind voll. Ich habe schon mehrere Menschen an COVID-19 sterben gesehen. Das wünsche ich niemandem. Ich wünsche uns allen, dass uns ein Aufenthalt auf der Intensivstation erspart bleibt, dass wir leben und dass wir bald wieder einen normalen Alltag haben. Die Impfung kann uns genau das geben. Deshalb freue ich mich, sie bekommen zu haben.

Update: Zehn Tage nach der Impfung