Alles was rechts ist
Sind Atombefürworter in Wirklichkeit rechte Klimaleugner und Industrielobbyisten? Das meinte die Journalistin Susanne Götze jüngst im „Spiegel“. Doch das ist eine grobe Vereinfachung unserer Energie- und Klimadebatte.
Als ich im April 2019 für den „Spiegel“ interviewt wurde, drehte die Redaktion das Stück zwei Wochen lang durch den Faktencheck. Fehler fand sie keine in diesem kritischen, aber fairen Gespräch, aber man merkte der Prozedur an, wieviel Bammel man hatte, mit dieser Herausforderung der deutschen Antiatom-Diskurshegemonie etwas Falsches zu tun. Erst nach meiner Beschwerde wurde die Bezeichnung „Atomlobbyistin“ im Trailer des Interviews zurückgezogen, denn ich vertrete meine Auffassung nicht, weil mich ein Konzern oder Industrieverband dafür bezahlt. Bis heute steckt das Interview bei „Spiegel plus“ hinter einer Bezahlschranke.
Die Energiewendler toben
Ausgerechnet ein Kumpel des miliardenschweren #Atom-Investors #BillGates dient Jochen Bittner als Kronzeuge: Steven Pinker, der im #NativeAdvertising-Interview im Spiegel als Psychologe den Universalgelehrten zur #Energiewende geben durfte. Weitet sich #SpiegelGates aus,@dieZeit? pic.twitter.com/dJ0Q7Kyhm1
— Dr. Eva Stegen @EvaStegen@mastodon.social (@EvaStegen) January 9, 2020
Es ist höchst fragwürdig, einen Einzelnen, der mit einem besonders großen Schild versucht, eine 40-Tsd-Teilnehmer-Demo für seine Zwecke zu kapern, so prominent herauszustellen, wie es der Spiegel getan hat. #SpiegelGates https://t.co/b5PttgvlG6 pic.twitter.com/0SFeBVeM9x
— Dr. Eva Stegen @EvaStegen@mastodon.social (@EvaStegen) January 8, 2020
Publizistik im Energiewendestaat
Jemand musste also ausgleichende Ordnung schaffen. Das übernahm Susanne Götze, die auch in anderen Zusammenhängen für das Gute (die Energiewende) und gegen das Böse (Klimawandel und Klimaleugner) kämpft. Götze ist Mitgründerin des „Klimajournalistenbüros“ und gehört zu einem Kreis von Publizisten, die sich für Klima- und Energiewende-Berichterstattung stark machen. Allerdings haben sie offensichtlich nicht verinnerlicht, wovor Hans-Joachim Friedrichs vor vielen Jahren die Zunft einmal warnte, die er auf dem Weg vom Berichts- zum Erziehungsjournalismus sah: Als Journalist dürfe man sich mit keiner Sache gemein machen, „auch mit keiner guten“.
Recherchiert man ein wenig in der Welt der Klimajournalisten, dann beginnt man zu verstehen, warum die Energiewende wenn auch nicht technisch, so doch diskursiv ein voller Erfolg ist. Energiewende-Journos, Umwelt-NGOs, Erneuerbare-Energien-Forschung, Parteifunktionäre und Ökostrom-Industrie bilden genauso Netzwerke aus und spielen sich gegenseitig die Bälle zu, wie das vor einem halben Jahrhundert noch die Atomlobby tat. Doch aus dem Atomstaat ist im Zuge des Generations- und Politikwechsels der letzten zwanzig Jahre längst der Energiewendestaat geworden. In ihm erfüllt Susanne Götze sozusagen die Rolle einer staatstragenden Journalistin. Sie sorgte für den Ausgleich beim „Spiegel“, mit einem Artikel, der die wohlbekannte Botschaft vermittelt: Atom böse, Energiewende gut.
Verräterische Sprache
Schon aus Götzes Sprache spricht ihr Vorurteil. Wir lernen: wer für den Ausbau regenerativer Energien eintritt, ist Befürworter von Erneuerbaren oder Klimaschützer. Wer hingegen für Atomkraft ist, muss entweder komisch, fanatisch oder von jemandem dafür bezahlt worden sein. Daher laufen Befürworter der Kernenergie bei Frau Götze grundsätzlich nur als „Atomlobby“ oder (lies: irrationale) „Fans“ auf. Atombefürworter bilden keine Gruppen oder Vereine, sondern eine „Szene“, sie reden nicht, sie „poltern“, und medial erfolgreiche Atombefürworter wie der amerikanische Ökomodernist Michael Shellenberger sind „schillernd“, soll heißen: dubios.
Nach dem Rechten sehen
Zum Lagerdenken tritt bei Götze Verschwörungs-Geraune über die Finanzierung all der „Pro-Atom-Vereine“: „Woher solche Thinktanks und Pro-Atomvereine ihr Geld beziehen, ist wenig transparent. Einige deutsche Atomvereine werden als langer Arm der Atomkonzerne gesehen, auch weil viele Mitglieder für die Atomindustrie arbeiteten.“ „Werden gesehen“; „langer Arm“: Spätestens hier hätten „Spiegel“-Faktenchecker nachhaken müssen. Denn diese Aussage gibt lediglich her, dass Atomkritiker denken, die pronuklearen Aktivisten könnten doch nur von der Atomindustrie bezahlt sein. Frau Götze hat zwar keinen Beleg für ihren Verdacht, den sie unkritisch von der Anti-Atom-Bewegung übernimmt – aber zu groß war die Versuchung, ihn in ihren Artikel hineinzurelotisieren. Absurd ist das auch deswegen, weil sie kurz darauf selbst konstatiert, die Industrie wolle gar nicht wieder in die Kernenergie zurück, da sich bekanntlich mit staatsgeförderten Erneuerbaren auch prima Geld verdienen lässt.
Atom und links? Gibt’s nicht
Sie setzen sich vom in Deutschland etablierten grünen Konservatismus ab, der nur die Wind- und Sonnenenergie der Vorfahren akzeptiert, und sich mangels technisch sinnvoller und bezahlbarer Speichertechnologie selbst ins Aus manövriert hat, weil nun zwangsläufig ein fossiles Backup für die volatilen Erneuerbaren her muss. Ökomodernisten hingegen verstehen Technologien wie Kernenergie oder Grüne Gentechnik nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung. Sie erblicken in der Kernenergie jenen energiedichten Prozess, den man für die Dekarbonisierung von Industriegesellschaften benötigt. Statt für Demontage und Degrowth plädieren sie für Weiterentwicklung der industriellen Moderne. Ökomodernisten sind auch gar nicht prinzipiell gegen den Ausbau Erneuerbarer Energien; sie kritisieren nur die völlig übersteigerten Hoffnungen, die in Deutschland ausgerechnet auf unzuverlässig produzierenden regenerativen Erzeugern ruhen, und plädieren für einen nuklear-erneuerbaren Energiemix. Doch in Deutschland müssen diese progressiven Atomfreunde an gleich zwei Fronten kämpfen: im angestammten grünen Milieu müssen sie sich gegen Strahlenhysteriker und doktrinäre Windkraft- und Solar-Lobbyisten behaupten, welche die Wahl zwischen Kernenergie und Erneuerbare als Nullsummenspiel verstehen. Im pro-nuklearen Lager hingegen müssen sie sich mit all jenen auseinandersetzen, die ihre Hoffnungen auf die AfD setzen. Und das sind viele.