Angst und Panik bestimmen bis heute die Debatte rund um den menschgemachten Treibhauseffekt und die Atomenergie. So kommen wir mit unseren Problemen nicht weiter.

Ich weiß nicht, wie in deutschen Medien über Australien berichtet wurde. In amerikanischen Medien kam das Thema natürlich vor: Die apokalyptischen Bilder von den Feuertornados, die Schätzungen darüber, wie viele Menschen – und wie viele Tiere – in dem Inferno umgekommen sind, die Berichte, wie viel CO2 nun durch diese Katastrophe in die Atmosphäre eingespeist wurden. Schon Wochen vorher hatte ich Berichte gelesen, dass sich die Weltmeere offenbar viel schneller erwärmen, als die Wissenschaftler bisher angenommen hatten. Und eine eindrucksvolle Reportage zeigte zuletzt, dass die Algen vor der australischen Küste in dem viel zu warmen Wasser förmlich gekocht wurden und sich in grünen Schleim verwandelt haben.

Aber all diese Hiobsbotschaften wurden uns letztlich doch eher im Kleingedruckten serviert. Es waren nicht die wichtigsten Nachrichten des Tages.

Australien ist nicht Fukushima

Nun gut, die amerikanische Republik durchlebt gerade ihre schwerste Krise seit dem amerikanischen Bürgerkrieg. Uns beschäftigt ein Amtsenthebungsverfahren, das vor allem enthüllt, wie sehr sich die Republikanische Partei in einen Kult verwandelt hat, der einem alten Fettwanst mit blondiertem Haar und Schmollmündchen huldigt. Der Kontrast zu der Art, wie unsere Nachrichtensender anno 2011 mit der Reaktorhavarie von Fukushima umgingen, ist dennoch frappierend.

Damals: Berichterstattung rund um die Uhr. Landkarten, auf denen gezeigt wurde, wie der Wind von Japan nach Kalifornien bläst. Bilder von Evakuierten und Leuten in weißen Strahlenschutzanzügen, die sich mit Bildern der Opfer des Tsunami mischten. Besorgte Nachrichtensprecher, die von Becquerel und Millisievert sprachen.

Niemand machte sich die kleine Mühe, darüber aufzuklären, dass Radioaktivität nur dann gefährlich ist, wenn sie (a) in extrem hohen Dosen auftritt und man ihr (b) über einen langen Zeitraum ausgesetzt ist. Niemand erwähnte, dass jeder Einwohner des Bundesstaates Colorado (der ziemlich hoch liegt) und jeder, der über den Atlantik fliegt, radioaktive Strahlung in nicht unerheblichen Dosen aufnimmt – ohne dass dabei irgendetwas passieren würde.

Hysterie

Die Reaktion auf die Havarie von Fukushima war bestimmt hysterisch. Aus der klinischen Psychologie wissen wir, dass Hysteriker immer auf ein echtes Ereignis reagieren: Die Reaktorhavarie von Fukushima war real, nicht eingebildet. Nur handelte es sich um ein lokales Ereignis. Kein einziger Mensch kam dabei ums Leben. Der Schaden für die Umwelt ist längst behoben: Radioaktive Substanzen haben den Vorteil, dass man sie problemlos mit einem Geigerzähler aufspüren kann – im Unterschied zu Giftmüll, dessen Halbwertszeit daher faktisch deutlich länger ist.

Auch Tschernobyl war übrigens ein lokales Ereignis, und Tschernobyl war natürlich viel schlimmer als Fukushima. Die Zahl der Todesopfer von Tschernobyl: 54. Es wird geschätzt, dass auf lange Sicht 4000 Menschen wegen Tschernobyl vorzeitig an Krebs sterben könnten oder bereits gestorben sind. Das ist furchtbar, aber nicht furchtbarer als die Katastrophe von Bhopal (mindestens 3787 Tote, vielleicht liegt die tatsächliche Opferzahl aber bei 16.000 Toten – und Radioaktivität hatte damit rein gar nichts zu tun).

Ist hysterisch, wer auf die Nachrichten aus Australien und die neuesten Messungen der Meerestemperaturen (und die Nachricht, dass das Eis über der Antarktis ächzt und die Nordwestpassage zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder eisfrei ist) mit Sorge, ja mit Furcht reagiert?

Rückkehr zur „Normalität“?

Das beste Buch über den Klimawandel, das ich je gelesen habe, stammt von Stewart Brand, dem großen alten Mann der Ökobewegung, der natürlich – wo auch sonst! – in Kalifornien lebt. Es heißt „Whole Earth Discipline“, und wenn ich Multimillionär wäre, würde ich dieses Buch auf eigene Kosten übersetzen lassen und ein Exemplar an jeden deutschen Haushalt schicken.

Brand stellt in seinem Buch folgende Überlegung an: Die meiste Zeit in der Menschheitsgeschichte war es normal, dass 25 Prozent der Bevölkerung an Kriegen starben. Denn die meisten Kriege waren Ressourcenkriege: Vor die Wahl gestellt, zu verhungern oder den Nachbarstamm auszurotten und seine Weidegründe zu übernehmen, entschieden sich die meisten Leute für Variante 2.

Im Laufe der vergangenen etwa 300 Jahren passierte etwas Unnormales: Die Zahl der Menschen, die in Kriegen starben, sank im Durchschnitt auf 3 Prozent der Bevölkerung ab – das gilt sogar, wenn man das entsetzliche 20. Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen und Genoziden (an den Herero, den Armeniern, den Juden und vielen weiteren) in die Rechnung einbezieht.

Die Gefahr, die durch den menschgemachten Treibhauseffekt droht, ist, dass die Menschheitsgeschichte wieder „normal“ wird. Dass wir – wenn Landwirtschaft auf einem durchschnittlich fünf Grad Celsius heißeren Planeten in Amerika, Europa und weiten Teilen Asiens unmöglich wird – Ressourcenkriege nicht mehr mit Pfeil und Bogen, sondern mit modernen Waffen führen.

Eine andere Art, sich das Problem vor Augen zu führen, ist diese: Eine Million Flüchtlinge aus dem Nahen Osten reicht aus, damit die EU in ihren Grundfesten wankt und zum ersten Mal seit 1945 eine rechtsextreme Partei in den deutschen Bundestag einzieht. Was passiert, wenn eines Tages zehn Millionen Flüchtlinge vor der Tür stehen?

Die Menschheit steht nicht auf dem Spiel

Nein, das Überleben der Menschheit steht nicht auf dem Spiel. Die Menschheit hat verheerende Seuchen wie die Justinianische Pest überlebt, bei der beinahe die gesamte Bevölkerung Italiens (und vielleicht die Hälfte der Bewohner des Mittelmeerraums) krepiert sind; sie hat die Eiszeit überstanden. Europa existierte sogar nach der Urkatastrophe des Dreißigjährigen Krieges noch weiter. (Der „Simplicius Simplicissimus“ von Grimmelshausen bleibt das eindrucksvollste Buch über diese finstere Zeit.) Auf dem Spiel steht heute nicht die Menschheit, sehr wohl aber das Überleben unserer Zivilisation. Einer Zivilisation, in der es gelungen ist, dass Rassismus und Gewalt nicht mehr als normal, sondern als bestürzende Ausnahmen erlebt werden; in der die Kindersterblichkeit auf ein historisch einmaliges Minimum reduziert wurde; in der – dank der kapitalistischen Marktwirtschaft – weniger als zehn Prozent der Menschheit in bitterster Armut leben.

Die meisten Menschen werden nicht an der Klimakatastrophe sterben, sondern vielmehr an Dutzenden kriegerischen Konflikten in Folge der Klimakatastrophe. Ich glaube übrigens, dass die Zunahme des Antisemitismus, die wir in diesen Tagen erleben, ein Klacks ist im Vergleich mit dem, was womöglich auf uns zukommt: Juden sind in den Augen ihrer Feinde bekanntlich immer an allem schuld, am Kommunismus, am Kapitalismus, am Christentum, an der Kreuzigung Christi, am Sklavenhandel und an der Erfindung der Hühnersuppe. Warum sollten Juden ausgerechnet am Treibhauseffekt unschuldig sein?

Panik

Panik ist gewiss der falsche Weg, um auf die Klimakatastrophe zu reagieren, die uns droht. Panik hat folgende mögliche Effekte: (1) Sie kann lähmen. Bei Massenschießereien etwa passiert es häufig, dass Leute erstarren: dass sie stehenbleiben, statt wegzulaufen. (2) Sie kann dazu führen, dass Leute auf geradem Weg dorthin rennen, wo die Gefahr am größten ist, weil sie vor lauter Angst nicht mehr klar denken können.

Im Moment können wir sowohl den ersten als auch den zweiten Effekt beobachten: Manche Leute nehmen den Treibhauseffekt achselzuckend wie etwas Schicksalhaftes hin. Oder sie beschäftigen sich mit quasireligiösen Übersprungshandlungen (vegan essen etc.). Und manche Leute tun das, was die Deutschen nach 2011 getan haben (und was leider wir New Yorker jetzt tun werden): Sie schalten ihre AKWs ab – mit dem Effekt, dass der CO2-Ausstoß dramatisch ansteigt.

Aktivisten, Wissenschaftler – und Ingenieure

Stewart Brand schreibt in „Whole Earth Discipline“, dass es immer wieder zwei Menschentypen gegeben hat, wenn es um Umweltprobleme ging – Aktivisten und Wissenschaftler. Aktivisten organisieren Demos und Die-ins und sammeln Unterschriften. Wissenschaftler streiten, streiten, streiten und einigen sich dann auf irgendeinen Minimalkonsens.

Es gibt indessen noch eine dritte Art, auf ein Problem zu reagieren – als Ingenieur. Stewart Brand findet diese Vorgehensweise die interessanteste. Der Ingenieur sagt im Hinblick auf den Treibhauseffekt ungefähr Folgendes: Offenbar müssen wir unseren Strom auf andere Weise erzeugen, als durch das Abfackeln toter Dinosaurier. Solar ist gut, Windenergie ist gut, aber – Rechenstift her! – das reicht nicht aus, damit in unseren Großstädten das Licht nicht ausgeht. Also: Atomenergie. Thorium-Flüssigsalzreaktoren. Und wasserstoffgetriebene Autos in möglichst großer Zahl, bitte. Den Wasserstoff erzeugen wir dann mit Hilfe unserer AKWs.

Außerdem, sagt der Ingenieur, müssen wir aufhören, massenhaft Tiere zu halten, die Methan von sich geben. Also bitte Fleisch künstlich im Labor erzeugen und vegetarische Produkte herstellen, die nicht nach Sojafraß schmecken. (Die Burger von BeyondMeat sind, nebenbei bemerkt, vorzüglich.)

Drittens: Landwirtschaft möglichst gering halten. Das bedeutet: Genetisch modifizierte Pflanzen einsetzen, Landwirtschaft am besten in Städten in Gewächshäusern betreiben. Wie es heute so schön heißt: Den Fußabdruck reduzieren.

Konservative Grüne und optimistische Türkise

An anderer Stelle schreibt Stewart Brand, dass es im Hinblick auf ökologische Gruppen sowohl Grüne als auch Türkise gibt. Die Grünen sind dabei gewissermaßen die Konservativen: Sie wollen Nationalparks vor gierigen Ölfirmen beschützen, sie sorgen dafür, dass die Mieten in Städten möglichst gering bleiben und die Lebensqualität für Familien mit Kindern steigt (je mehr Menschen in Städten wohnen, desto besser), sie protestieren gegen Pipelines.

Die Türkisen sind dafür, moderne und modernste Technologien einzusetzen. Warum nicht ausgestorbene Tierarten mit Mitteln der Gentechnik zurückbringen, sobald dies möglich ist (was ziemlich bald der Fall sein dürfte)? Warum nicht internationale Konzerne und Multimilliardäre wie Bill Gates feiern, wenn sie mal das Richtige tun und massenhaft Geld für sinnvolle Anliegen ausgeben?

Klassische Grüne lesen die Tageszeitung und raufen sich die Haare. Türkise studieren im Wirtschaftsteil derselben Tageszeitung, wie viele Firmen mittlerweile auf Fusionsenergie setzen, und freuen sich. Und alles ist verloren, schreibt Stewart Brand, wenn Grüne und Türkise einander bekämpfen, statt zu verstehen, dass sie Verbündete sind.