Er wünschte allen Juden „die blöden Gaskammern“. Vor seiner Praxis liegen 20 Stolpersteine mit Namen von Menschen, die in Riga und Auschwitz ermordet wurden. Ingolf S. (60) sieht die Schuld für seinen Absturz bei der „Springer-Presse“.

Das Video, in dem ein Mann in Schöneberg kurz vor Weihnachten einem israelischen Restaurantbesitzer und allen Juden den Tod wünschte, schockierte viele. Reporter von BILD haben den älteren Herrn gefunden, der sagte, Juden sollten „wieder in die blöden Gaskammern“ und aus Israel und Deutschland verschwinden. Er arbeitet in einem Haus, aus dem einst 20 Juden deportiert und ermordet wurden.

Ingolf S. (60) ist in einem gelb getünchten Neubau in einer feinen Gegend in Steglitz gemeldet. Sein Name am Klingelschild wurde entfernt, nur noch am Briefkasten prangt er, Nachbarn kennen ihn nicht. Womöglich nur eine Meldeadresse.

S. ist Physiotherapeut, macht Hausbesuche. Er scheint ein gebildeter Mann zu sein, auf seiner Webseite stehen Abhandlungen über „Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation“. Er ist also kein stumpfer Neonazi.

Seine Praxis liegt drei Kilometer entfernt von seiner Meldeadresse in Charlottenburg in einem schönen, großen Altbau, einer noch feineren Gegend. Auch eine internationale Anwaltskanzlei sitzt hier.

„Da können Sie in jede Kneipe auf der Welt gehen“

Vor dem Haus liegen 20 Stolpersteine, auf denen Namen von Juden stehen, die einst in dem Haus lebten und ermordet wurden. Namen wie Berta, 89-jährig im Theresienstadt ermordet. Namen wie Luise, deren Vermögen nach „Abschiebung“ dem „Reich verfiel“, wie es in Dokumenten aus der Nazi-Zeit heißt.

Auch der Name von Helmut prangt da, der samt Frau Käte und Sohn Gerd Günter deportiert wurde. Drei Namen, ähnlich deutsch wie Ingolf, die darauf hindeuten, wie sehr sie zu ihrer Heimat Deutschland gehören wollten. Viele wurden in Auschwitz vergast, andere in Riga in die Grube geschossen.

Hinter der Praxistür, auch hier wurden alle Namen entfernt, hören wir Stimmen. Als wir klingeln, öffnet W., der wie Ingolf S. im Impressum der Praxis-Webseite steht.

S. sei weggeflogen, in den Urlaub, sagt W. zu BILD. Wir fragen, was da passiert ist, an dem Tag, an dem S. allen Juden den Tod wünschte. War S. betrunken? W. nickt leicht. „Da könnten Sie in jede Kneipe auf der Welt gehen und müssten alle verhaften.“ Hat er das Video gesehen? „Ich gucke mir keine widerrechtlich ins Netz gestellten Videos an.“ Im Übrigen habe BILD seinen Freund „erschossen“.

S. sieht Schuld bei der „Springer-Presse“

Wir erreichen Ingolf S. auf dem Handy. Er versucht abzuwimmeln, das sei ein „schwebendes Verfahren“, der Restaurantbesitzer habe ihn angezeigt, er dürfe nichts sagen, das hätte ihm seine Anwältin (ihr Werbespruch: „Es gibt immer einen Weg für den, der das Gesetz beherrscht“) geraten.

S. spricht ähnlich aufgeregt im thüringischen Tonfall wie in dem Video, sagt immer wieder „legen Sie auf“, macht das aber zunächst selbst nicht. Sowieso wolle er niemals etwas zu der Sache sagen, sagt er dann, auch nach dem Prozess nicht, „schon gar nicht zu der Springer-Presse, nachdem, was die mit mir gemacht hat.“

S. schiebt also das Entsetzen über seine menschenverachtenden Aussagen BILD in die Schuhe. Als wir ihn fragen wollen, ob er froh darüber ist, dass die Menschen, in deren Haus er heute arbeitet und Geld verdient, ermordet wurden, legt er auf.

Dieser Artikel erschien zunächst in kürzerer Form hier: www.bild.de/regional/berlin/antisemitismus/juden-hasser-arbeitet-in-haus-mit-zwanzig-stolpersteinen-54374430.bild.html