Nach einem Jahrzehnt bei Facebook und Twitter war unser Autor genervt und gelangweilt und stieg aus. Er schreibt aber weiter gern Randbemerkungen über Aktuelles und Zeitloses, Wichtiges und Marginales. In loser Folge dokumentieren wir hier seine Zwischenrufe.

Rettet die verfolgten Klimaforscher!

Auf dem Parteitag der Grünen blickte die prominente Publizistin Carolin Emcke in die Zukunft. „Die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt wird bleiben,“ prophezeite sie. Die Leidtragenden würden künftig jedoch nicht Juden sein, sondern Klimaforscherinnen. Emckes düstere Vorhersage steht in einer langen Reihe von Bemühungen, alle möglichen Gruppen zu verfolgten Minderheiten zu erklären. Mal liest man, die Muslime würden im heutigen Deutschland so diskriminiert wie einst die Juden im NS-Staat. Mal ist es die sogenannte Querdenken-Bewegung, die sich selbst mit den Opfern der Shoa gleichsetzt und deren Anhänger sich gelbe Sterne an die Heldenbrust kleben. Dass solche Versuche, Opferstatus zu erlangen, komplett realitätsfern sind und millionenfachen Mord an wehrlosen Zivilisten verharmlosen, wurde schon bald nach Emckes Vortrag vielfach und zurecht kritisiert.

Der Satz über die angeblich von „Ressentiment und Gewalt“ bedrohten Klimaforscher ist jedoch noch in zweiter Hinsicht falsch. Denn die von Frau Emcke ausgemachte Opfergruppe ist das genaue Gegenteil einer verfolgten Minderheit. Klimaforscher sonnen sich seit Jahrzehnten im Glanz allgemeiner Aufmerksamkeit und Bewunderung. Ihre Institute werden mit Geld überschüttet. Zumindest gilt das für den Teil der Klimaforscher, der die Gesellschaft mit populären apokalyptischen Prognosen versorgt. Wer heute als Wissenschaftler eine Karriere anstrebt, macht am besten irgendwas mit Klima. Die Industrien, die von der Energiewende profitieren, geht es prächtig. Ob Siemens oder BMW, Papst oder Popstar: Alle wollen das Klima retten. Damit auch die Kleinsten beim Klimaretten mitmachen, gab es eine Zeitlang sogar schulfrei an Freitagen. Wo die Parallele zwischen dem heutigen gesellschaftlichen Status von Klimaforschern und der Judenverfolgung liegt, bleibt wohl Frau Emckes Geheimnis.

Allerdings gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland Fälle, wo Kritiker der Klimapolitik abgestraft wurden, indem sie ihre Jobs verloren oder von Staatsorganen denunziert wurden (https://www.miersch.media/wie-ich-zum-klimaleugner-wurde/). Diese scheint Frau Emcke aber nicht zu meinen.

Pflege und Ausbau eines anerkannten Opferstatus ist Ziel aller Lobbyisten. Jeder Rechtsanwalt erklärt seinen Mandanten zum Opfer der Gesellschaft. Das Werk von Terroristen oder Amokläufern wird reflexhaft als „Hilfeschrei“ eines Erniedrigten und Beleidigten interpretiert. Eine beliebte Phrase von Nahost-Kommentatoren lautet, die Palästinenser seien Opfer der Opfer. Demnach sind diskriminierte palästinensische Frauen Opfer der Opfer der Opfer. Wer keinen Opferstatus erobert, macht etwas falsch und wird es zu nichts bringen. Die Armen sind Hartz-IV-Opfer, die Reichen Opfer einer unfairen Neiddebatte. Industrie und Landwirtschaft sind Globalisierungsopfer und wer nicht hierzulande geboren wurde, ist automatisch Diskriminierungsopfer. Und wir alle sind Opfer unserer Erziehung.

Wer Erfolg haben will, macht sich klein und erregt Mitleid. Das haben auch die Mächtigen und Privilegierten entdeckt, die längst nicht mehr mit ihren Insignien protzen, sondern sich als Verfolgte präsentieren. Wladimir Putin barmt, dass die imperialistische NATO ihn umzingeln und bedrohen würde. Donald Trump stellte sich selbst gern als Opfer linker Medienmacht dar. Ob AfD oder ADAC, ob Bischof oder Konzernboss, alle sind sie Opfer von irgendwem und bitten uns um Hilfe.

Im Gegensatz zum umfassenden Opferkult berichten Menschen, denen tatsächlich Schreckliches widerfuhr, oftmals, dass kaum einer etwas von ihrem Schicksal hören wollte. So erging es vielen KZ-Überlebenden in den ersten zwanzig Jahren nach 1945. Und heute müssen sich DDR-Bürgerrechtler anhören, dass sie nervig und nachtragend sind. Auch Opfer von krimineller Gewalt kennen dieses Phänomen, sofern ihr Schicksal nicht in Raster einer aktiven Lobby-Gruppe passt.

Gesinnungswandel

Kürzlich habe ich gelesen, dass Robespierre ein entschiedener Gegner der Todesstrafe war, bevor er Tausende hinrichten ließ. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Volatilität von Grundsätzen und Standpunkten. Was ja im Grunde nichts Verwerfliches ist, denn Gesinnung kann sich auch zum Guten wandeln. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden,“ lautet ein berühmtes Adenauer-Zitat. Eine Erkenntnis, die insbesondere denen fehlt, die sich mit ihrem Gesinnungsdünkel allen anderen moralisch überlegen fühlen.

Freundliche Gesten

Wer nicht gerade zu radikaler Verdrängung neigt, merkt das Älterwerden von selbst. Dennoch zuckt man zusammen, wenn Fremde einen ans Alter erinnern. Was meist freundlich gemeint ist. Mein erstes Erlebnis dieser Art hatte ich bereits mit Mitte 50, als mir eine junge Frau in der Straßenbahn ihren Platz anbot. Noch deutlicher kam es kürzlich in einem Café. Der junge Kellner frage mich nachdem ich bestellt hatte: „Ist ein doppelter Espresso nicht zu stark für Sie?“

Grüner Rauch

Wann merkt man spätestens, dass grüne Sprüche so belanglos geworden sind, wie Rabatt beim Gebrauchtwagenhändler? Wenn auf Zigarettenpackungen steht: „Our world ist a limited edition.“ Gesehen bei der Marke Marlboro.

Beim Strom hört die Freundschaft auf

Das SZ-Magazin hat eine Rubrik namens „Gute Frage“: Eine Art Benimmlexikon für bessere Kreise mit Wir-retten-die-Welt-Dünkel. In der jüngsten Folge fragt eine besorgte Gattin, wie sie einem Gast höflich klarmachen kann, dass er sein Elektroauto nicht an ihrer Steckdose aufladen soll. In dieser Frage liegt so viel deutscher Nationalcharakter, sie sollte ins Lehrmaterial für Integrationskurse aufgenommen werden.

Die Apokalyptik-Falle hat zugeschnappt

Es melden sich erste Stimmen, die davor warnen, dass ein schneller Ausstieg aus allen Kohlendioxid emittierenden Techniken zu massiven Wohlstandsverlusten, sozialen Verwerfungen und ökologischen Schäden führen wird. Vorsichtig fragen sie, ob man die große Transformation nicht etwas langsamer und damit sozialverträglicher gestalten sollte. Zumeist sind es Ex-Politiker und solche aus der zweiten Reihe, die sich vorwagen und ein paar kritische Bemerkungen machen. Doch die Karawane zieht weiter. Eine ganz große Klimakoalition aus CDU, CSU, SPD, FDP, Grünen und der Partei Die Linke kennt nur noch eine Richtung. Sie können nicht mehr vom Weg abweichen. Selbst schuld. Denn aus Bequemlichkeit und Opportunismus wagte fast kein Politiker, die von Medienkonzernen und Fernsehsendern geschürte Klimapanik in Frage zu stellen. Noch die absurdesten Behauptungen und schrillsten Prognosen wurden ernst genommen. Ministerinnen und Konzernbosse ließen sich bereitwillig von Klimaaktivistinnen vorführen und senkten dabei schuldbewusst die Augen. Auf diese Weise wurde eine spekulative Klima-Apokalyptik als „die Wissenschaft“ geadelt. Vermutlich hofften die Angeklagten damals, dass sich Medien und Aktivisten schon wieder beruhigen würden. Irrtum. Jetzt müssen sie liefern. Wer anerkennt, dass die Menschheit durch Klimaerwärmung in einer lebensbedrohlichen Notstandssituation steckt, der muss soziale, wirtschaftliche und ökologische Kollateralschäden zulassen. Schließlich geht es ums Überleben der Menschheit. Jetzt! Wer zögert oder zweifelt, riskiert den Weltuntergang. Die Apokalyptik-Falle hat zugeschnappt.

Neusprech und Gutdenk auf Russisch

Die Frage, was nach den Maßstäben der Wokeness öffentlich gesagt werden darf und was nicht, führt in Deutschland alle paar Wochen zu Empörungswellen in Social- und anderen Medien, die zumeist in wechselseitigen Zensurvorwürfen enden. In Russland regelt so etwas traditionell der Staat. Anfang Mai wurde ein Gesetzentwurf in Parlament eingebracht, der die „Verneinung der Rolle des Sowjetvolkes bei der Zerschlagung Nazideutschlands und die humanitäre Mission der UdSSR bei der Befreiung der Länder Europas“ verbietet. Er soll verhindern, dass die Gemeinsamkeiten der Herrschaftssysteme Stalins und Hitlers thematisiert werden. Getreu dem Motto aus „1984“: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.“