Wo keine Krise ist, da sollte die Politik nicht selbst für eine sorgen. Deutschland geht es eigentlich gut. Die Demokratie kann Einiges aushalten. Aber die Politik braucht auch den Wandel ihres Personals. Sonst nehmen alle Schaden. Ein Kommentar aus gegebenem Anlass.

Vielleicht würde eine Krise helfen: eine Herausforderung durch einen Vulkanausbruch zum Beispiel oder eine Verdoppelung der italienischen Staatsschulden (was sich natürlich alles keiner wünscht). Irgendetwas, das die Sinne schärft, die Instinkte weckt und die politischen Kräfte eint, da im Berliner Regierungsviertel. Stattdessen erleben wir in der Großen Koalition in Person ihrer Spitzenkräfte Merkel, Nahles, Seehofer seit – ja, seit wann eigentlich schon? –, also seit einiger Zeit eine Mischung aus Berliner Hospitalismus, Psycho-Drama und Big-Brother-Gezicke. Schön anzusehen ist das nicht, und es mangelt der Aufführung auch an Unterhaltungswert und Sinnhaftigkeit. Dass dies auch noch Kurz- und Spätfolgen zeitigt – Politikverdrossenheit, Stärkung von Populismus, Fatalismus, AfD-Erfolg – war zu erwarten. Es scheint die Beteiligten nicht zu stören.

IM POLITISCHEN ORKUS

Eine geradezu kuriose Volte schlug die SPD-Parteivorsitzende, als sie nun in einem (halb-) offenen Brief ihre Kontrahenten und Mitstreiter Merkel und Seehofer dazu aufforderte, die Entscheidungen in der Angelegenheit Maaßen zu revidieren. Und das Publikum reibt sich die Augen. Konnte nicht jeder von vorneherein sehen – und das heißt: begreifen und ahnen –, dass die Idee, den Leiter des Verfassungsschutzes, obwohl an seiner Loyalität und Lauterkeit gezweifelt werden musste, in einen Rang des Staatssekretärs für Sicherheitsfragen im Bundesinnenministerium hochzuloben, auf gewaltigen Widerspruch vor allem in der SPD treffen würde. Wer konnte hoffen oder glauben, dass hier nicht die nächste Regierungskrise gleich mit eingepreist wurde? Jeder kann sich mal irren, aber man sollte nicht von vorneherein das Denken einstellen.

Der Schlamassel ist der Demokratie und allen Beteiligten unwürdig. Ja, allen Beteiligten, auch Seehofer, der keine Gelegenheit auslässt, den starken Mann zu markieren, der er längst nicht mehr ist. Mir fällt im Moment keine Regierung ein, die in so kurzer Zeit jeden Vertrauensvorschuss verspielt hat. Und mit hinab in den politischen Orkus zieht es die Autorität und die Respektabilität der Protagonisten. Sie sind am Ende.

Was sie jetzt noch tun müssen: für einen ordentlichen Übergang sorgen. Der muss in absehbarer Zeit erfolgen. Paradoxerweise hält die Bundesregierung ihre Insuffizienz zusammen – und vielleicht doch die Einsicht, nicht wegen eines Beamten, der möglicherweise der AfD nahesteht, die Regierung platzen zu lassen. Neuwahlen jedenfalls wären für die Koalitionsparteien ein Desaster. Gewinner der Rivalitäten sind die Rabatzpartei AfD und die neue bürgerliche Reformpartei Bündnis 90/Die Grünen. Wer von den Schrumpfvolksparteien genug hat – und es werden täglich mehr –, der wechselt halt je nach Gusto zu den anderen Angeboten. So ist das in der Demokratie: man kann wählen. AfD und Grüne müssen tatsächlich nicht viel tun, um zuzulegen: die eine Partei weiter gegen das „System Merkel“ polemisieren, die andere Solidität ausstrahlen.

Die Große Koalition ist trotzdem noch nicht am Ende. Sie kann auf Zeit spielen, aber das wird nur gelingen, wenn das Führungspersonal ausgewechselt wird. Oben, in den Höhen der politischen Arena, braucht es ein Minimum an Vertrauen, gemeinsamen Zielen, Nervenstärke und Kraft, um das Publikum zumindest bei Laune halten zu können. Wer die nicht mehr hat, der muss vom Trapez herunterkommen.