Wenn auf Trump Verlass ist, dann in der Hinsicht, dass man sich eben nicht auf ihn verlassen kann. Und so hat der amerikanische Präsident nach einem wirren Zick-Zack-Kurs in Nahost endlich mal eine richtige Entscheidung getroffen und den Irandeal aufgekündigt. Wie eine kaputte Uhr, die zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt!

Manchmal tun Menschen das Richtige aus den falschen Motiven. Das ist auch bei Trump so. Seit jeher werden die Zyklen der amerikanischen Außenpolitik von mehr oder weniger starken Pendelausschlägen zwischen Globalismus, Interventionismus und Isolationismus bestimmt. Clinton und Obama kann man zu den Globalisten rechnen, Reagan und Bush zu den Interventionisten und Trump? – ja, Trump ist einfach Trump!

Seine Anhängerschaft hält ebenso wenig von Einmischungsversuchen an den Krisenherden dieser Welt wie die hiesigen Rechtspopulisten. Gerne verteidigt man das Recht des Einzelnen auf Waffenbesitz, doch wenn es darum geht, mit Soldaten Frieden zu erzwingen, schießen die amerikanischen Waffennarren quer. Probleme werden ignoriert und kommen sie dann zu einem selbst, igelt man sich ein und baut die Mauer noch ein Stückchen höher. So wie die AfD die Flüchtlinge bekämpft, aber nicht die Fluchtursachen.

Nun ist Trump sein eigenes System. Er hat keine außenpolitische Agenda, er wird von irrationalen Gefühlen geleitet und seine erratischen Entscheidungen sind selbst für Insider kaum nachzuvollziehen. Und wenn er schon von einigen als Marionette bezeichnet wird, dann ist er eine die ein ziemliches Eigenleben führt. Das musste auch Stephen Bannon, der ideologische Kopf der amerikanischen Alt-Right-Bewegung einsehen. Und Putin wohl ebenso. Doch so wie eine kaputte Uhr zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt, so hat auch Trump mit einem Paukenschlag etwas getan, was man bei näherer Sicht als richtige Entscheidung bezeichnen darf – zumal er dies schon im Wahlkampf angekündigt hatte. Ein für Trump geradezu kohärentes Verhalten. Er hat darauf hingewiesen, dass das in Lausanne und Wien verhandelte Abkommen mit dem Iran über sein Atomwaffenprogramm schlecht und lückenhaft ist und ersetzt werden muss.

Ein frommer Wunschtraum

Umso verblüffender ist das Geschrei, das jetzt überall in den Medien ausgebrochen ist, als stünde der Dritte Weltkrieg unmittelbar bevor. „Pacta sunt servanda“ sind noch die harmlosesten Anwürfe, denen man begegnet, obwohl es im Verhältnis zwischen Staaten keine Regeln gibt, wie man geschlossene Verträge zu behandeln hat. Und auch die Erfahrung zeigt: Es werden mehr internationale Verträge gebrochen als eingehalten.

Zumal dieser Vertrag nichts gelöst hat. Er hat dem Iran lediglich eine Verschnaufpause gegönnt, um sein marodes Finanzsystem zu sanieren und seine Kriegskasse aufzufüllen, um dann nach dem Auslaufen der Kontrollen 2025 sein Programm wieder aufnehmen zu können. Die Verlängerung ist ein frommer Wunschtraum, ebenso wie ein endgültiger Stopp des iranischen Atomwaffenprogramms, denn auch wenn die Zahl der Zentrifugen auf etwas über 6.000 reduziert worden sein sollte, die Urananreicherung für 15 Jahre auf 3,67 Prozent begrenzt wurde und der Bestand von niedrig angereichertem Uran bei 300 Kilo eingefroren bleibt, kein Experte macht sich darüber Illusionen, dass die Breakout-Timeline, also die Zeit, die die iranischen Militärs benötigen, um genügend Material für eine Bombe herzustellen, länger als ein Jahr beträgt. Und da man bei den iranischen Mittelstreckenraketen, etwa der Ghadr 110 mit einer Reichweite von 1.800 Kilometern, offensichtlich keinen Handlungsbedarf sah, kann der Iran in der Zwischenzeit seine Trägersysteme auf den neuesten Stand bringen. Und schon mal Israel ins Visier nehmen.

Mitnichten hat sich der Iran als pflegeleichter Rekonvaleszent und hoffnungsvoller Resozialisierungsfall im offenen Vollzug erwiesen, wie es die europäischen Gesundbeter um die EU-Außenvertreterin Federica Mogherini gerne glauben wollen. Statt Annäherung an die internationalen Prinzipen der Nichteinmischung und der Achtung der Menschenrechte exportiert der Iran weiterhin seine Variante der schiitischen Revolution, schickt seine Kämpfer nach Syrien und dem Jemen, unterstützt die Hizbollah und die Schiiten im Irak um Al-Maliki und schmuggelt Raketen nach Gaza und dem Libanon. Gegen das aggressive Streben der Mullahs nach Vorherrschaft im Nahen Osten nehmen sich die nordkoreanischen Drohgebärden geradezu harmlos aus. Und natürlich gehen die Exekutionen im Inneren des Irans weiter, baumeln immer noch Ehebrecherinnen an deutschen Baukränen.

Zwischenstationen auf dem Weg zum Paradies

Doch in Europa will man davon nichts wissen. Hier hat man sich in dem wohligen Gefühl des Juste Milieu eingerichtet, alles im Griff zu haben und mit klugem Pragmatismus den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nur hat man es hier nicht mit rational handelnden Politakteuren zu tun, sondern mit fanatischen Mullahs, die sich auf einer Mission wähnen. Kompromisse sind für Gottesstaatler nur Zwischenstationen auf dem Weg zum Paradies.

Die Gründe, die von vielen europäischen Staatschefs als Argument gegen die Aufkündigung des Irandeals angeführt werden, wirken daher auch vorgeschoben. Man befürchte eine „Eskalation“ im Nahen Osten, heißt es, als wenn der Krieg im Irak mit mehr als 350.000 Toten noch nicht Eskalation genug wäre. Und wenn sich schon die unmittelbar Betroffenen der iranischen Proliferationspolitik, Israel und Saudi-Arabien, von den erwartbaren iranischen Gegenreaktionen unbeeindruckt zeigen, warum sollten ausgerechnet die Europäer als Warner vor der Apokalypse auftreten.

Da sollte man einmal mehr auf die Zwischentöne achten und sich die jüngsten Abläufe der Entscheidung noch einmal in Erinnerung rufen. Sicherlich kein Zufall! Am 25. April zelebrierten Trump und Macron in Washington ihre „Bromance“, sicherlich war das Iranabkommen und der Umgang damit ein Thema, fünf Tage später präsentiert der israelische Ministerpräsident die vom Mossad beschafften Akten, die belegen, dass der Iran jahrelang die Weltöffentlichkeit über sein Waffenprogram belogen hat, in dem er vorgab, nur friedliche Zwecke zu verfolgen. Gestern nun der “Paukenschlag“ und eine sehr sanfte Reaktion des französischen Präsidenten, der die Entscheidung „bedauerte“, aber auf Twitter gleich die neue Richtung vorgab: „Wir werden gemeinsam an einem breiteren Rahmenwerk arbeiten, das die atomaren Aktivitäten, die Zeit nach 2025, ballistische Aktivitäten und die Stabilität im Nahen Osten umfasst.“ Besser und kürzer kann man nicht die Schwächen des alten Vertrags beschreiben.

Macron könnte der Mann der Stunde werden. Paradigmenwechsel leben vom Krawall! Es brauchte jemanden wie Trump, um einen schlechten Deal aufzukündigen. Doch ebenso richtig ist, dass Trump mit seinem derzeitigen Zick-Zack-Kurs gegenüber Putin und Assad der falsche Politiker ist, um ein neues umfassenderes Abkommen mit dem Iran auf den Weg zu bringen. Das können nur Leute, die sich als ehrliche Makler zwischen den Fronten definieren. Vielleicht war es ein Spiel – nur mit unterschiedlichen Rollen. Nennen wir es „Böser Bulle, guter Bulle“.