Väter sind am glücklichsten, wenn sie richtig lang im Büro bleiben können, hat der Soziologe Martin Schröder herausgefunden. Ich kann sie so gut verstehen. Eine Polemik.

„Väter sind am zufriedensten, wenn sie 50 Stunden pro Woche und mehr arbeiten“, hat der Wirtschaftssoziologe Martin Schröder herausgefunden. Dazu untersuchte er Daten des „Sozioökonomischen Panels“ auf den Zusammenhang von Lebenszufriedenheit und Arbeitszeit. Wohlgemerkt: Die Väter wurden nicht befragt, ob sie eigentlich mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, ob sie eine gleichberechtigte Partnerschaft gutheißen oder sich theoretisch vorstellen können, zugunsten der Familie beruflich kürzerzutreten. Auf solche Fragen wäre vermutlich das herausgekommen, was Männer schon eine ganze Weile wollen sollen: „Dabeisein“, wenn der erste Zahn durchbricht oder das Töpfchen endlich Akzeptanz findet.

„Was ist bloß mit den Vätern los?“ fragte die „Zeit“ entgeistert

Schröder dagegen besah sich Zahlen, und die sprechen eine andere Sprache: In Wirklichkeit sind Männer auch dann am liebsten im Büro, wenn sich Zuhause das Wunder das Lebens vollzieht. Ihre Zufriedenheit sinkt signifikant, wenn sie weniger als die üblichen 40 Wochenstunden arbeiten, und erst bei weit mehr als 50 Stunden wird es ihnen langsam zu viel. „Was ist bloß mit den Vätern los?“ textete die „Zeit“ entgeistert und traf sich mit dem Marburger Wissenschaftler zum Gespräch. Der hatte keinen Trost zu bieten und legte stattdessen noch einen drauf: Am zufriedensten zeigten sich Familien, in denen die geleistete Erwerbsarbeit zu 80 Prozent von den Vätern und zu 20 Prozent von den Müttern übernommen wird. Das galt sogar für jene Haushalte, in denen der Stundenlohn der Männer niedriger war als der der Frauen, in Deutschland traf dies im Jahr 2015 (letzte Erhebung des Panels) auf immerhin 17 Prozent zu.

Ich kann die Männer verstehen und finde die Aufregung, die das Interview hervorgerufen hat, scheinheilig. Jeder, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, weiß, wie sehr sich unter jungen Eltern das Modell „er klotzt ran, sie arbeitet Teilzeit“ durchgesetzt hat. Längst hat es die Hausfrauenehe als altbundesrepublikanischen Standard abgelöst. Dafür sind nicht nur ungenügende Betreuungsangebote verantwortlich. Auch das aus guten (wahltaktischen) Gründen ins 21. Jahrhundert mitgeschleppte Ehegatten-Splitting ist eher Ergebnis als Ursache einer unbequemen Tatsache. Die Wahrheit ist: Wer ungebremst einem geschätzten Beruf nachgehen kann und dazu einen Menschen hat, der sich verlässlich und liebevoll um den Nachwuchs kümmert, wird diesen Zustand niemals freiwillig aufgeben. Der wird das Leben in seiner Fülle genießen, mit einer Karriere, sozialer Anerkennung und einem kuchenduftenden Nest on top.

Familienarbeit im Hier und Jetzt ist leider mühsam

Ich weiß, wovon ich rede: Als Redakteurin mit einem „kinderfreien“ Schlusstag pro Woche habe ich dieses Privileg zumindest schnupperweise genießen dürfen, weil sich an den Schlusstagen der Kindsvater des abendlichen Programms annahm. Und es war toll, nach einem produktiven Lauf im Büro noch einen liebenden Blick auf ein gebadetes, schlafendes Kind zu werfen, bevor ich mich an den Resten des Abendessens gütlich tat und eine Flasche Wein entkorkte. Im Flieger nach Abu Dhabi habe ich einmal vor Rührung über ein Foto meines Sohnes geweint. Einfach so. Am Vortag hatte er mich mit seinem Dickkopf noch zur Weißglut gebracht, aber aus der Ferne sieht man halt manches klarer.

Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat erforscht, wie Menschen entscheiden und wie sie Entscheidungen, auch die großen Weichenstellungen im Leben, rückblickend beurteilen. Er vermaß die Lebenszufriedenheit von Probanden im Hier und Jetzt und verglich das umfassende „Wie sind Sie im Großen und Ganzen mit Ihrem Leben zufrieden?“ mit dem kleinteiligen: „Wie beurteilen Sie Ihre Lebensqualität zum gegenwärtigen Zeitpunkt?“ Dabei stellte er fest, dass genau jene Tätigkeiten, die Menschen im Rückblick als wichtig und sinnstiftend betrachten, ihre Lebenszufriedenheit im Hier und Jetzt eher schmälern: „Kinder großziehen“ führte diese Liste an. Man könnte Männern, die ihre ganze Lebenskraft in den Job investieren, demnach zurufen: „Macht nur weiter so, auf dem Sterbebett werdet Ihr es bitter bereuen! Und falls Ihr Euch fragt, wer die fremden Menschen im Zimmer sind: Eure Kinder und Enkel freuen sich auf ihr Erbe. Denn ein Gutes muss es ja gehabt haben, wenn Ihr Euer Lebtag mit Schaffen und Raffen beschäftigt ward!“

So ungerecht: Wenn die „Quality time“ der Väter funktioniert

Doch ist es immer so eindeutig? Gab und gibt es nicht Väter, die ein inniges Verhältnis zu ihren Söhnen und Töchtern pflegen, obwohl sie viel weniger Zeit als die dazugehörigen Mütter mit ihnen verbracht haben? Und gehört es nicht umgekehrt zu den banalen Alltagsbeobachtungen, dass gerade Vollzeit-Mütter an den Grabenkämpfen der Pubertät verzweifeln, weil der Nachwuchs sich mit besonderer Vehemenz abzugrenzen trachtet? Ja, das Leben ist ungerecht, und es ist was dran an der „quality time“, die man mit kleinen und mit großen Kindern verbringen kann. Freudvoll, kreativ, bindungsstärkend. Vorausgesetzt, der andere Elternteil hat die „quantity time“ übernommen und sich um gesunde Pausenbrote, passende Winterstiefel und Arzttermine gekümmert.

Wenn Politik nach dem Diktum Kurt Schumachers mit dem „Betrachten der Wirklichkeit“ beginnt, sollten wir uns eingestehen, dass der Wunsch der „neuen Väter“, ins Kleinklein der Familienarbeit abzutauchen und dafür Abstriche im Beruf zu machen, in der Realität so gut wie nicht existiert. Über das Warum kann man ausgiebig spekulieren, auch entsprechende Umerziehungs-Programme und großgesellschaftliche Wendemanöver sind vorstellbar. Doch warum bei Adam und Eva anfangen, wenn es einen kurzen Weg gibt? Wenn es den Vätern in ein paar Tausend Jahren Patriarchat nicht eingefallen ist, bei der Kindererziehung „dabei sein“ zu wollen, werden sie diesen Wunsch auch in nächster Zeit nicht verspüren. Ihnen fehlt einfach der Leidensdruck.

Familienleben lässt sich nicht an Dienstleister delegieren

Nur in dem Maß, in dem Mütter dem Job-Spaß frönen, bringen sie Väter dazu, ihren Teil beizusteuern. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens durch die normative Kraft des Faktischen: Kinder werden nicht in Kitas groß. Ein Familienleben, das den Namen verdient, lässt sich nicht an bezahlte Dienstleister delegieren. Zweitens gewinnen Männer enorm, wenn sie mit dem Nachwuchs in Ruhe gelassen werden und souverän entscheiden können, was heute gespielt, gekocht und angezogen wird. Daraus entstehen eigene Vater-Kinder-Rituale, die Gold wert sind, denn sie führen den Müttern deren situative Entbehrlichkeit vor Augen. Dies wiederum bestärkt die Frauen, sich ein Recht herauszunehmen, das den Vätern seit Abrahams Bart zusteht: Eine Familie zu haben und sich trotzdem intensiv anderen interessanten Dingen des Lebens zuwenden zu dürfen.

Übrigens: In Kahnemans Untersuchungen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen. Beide Geschlechter waren eher genervt bzw. gestresst vom Alltag mit Kindern, während sie aufs große Ganze befragt angaben, Familie gehöre zu den wichtigsten Dingen im Leben. Ich gehe deshalb davon aus, dass sich die vielen Frauen, die sich laut „Sozioökonomischem Panel“ mit ihrer Rolle als mehr oder weniger klassische Familienmutter zufrieden zeigten, ordentlich in die Tasche lügen. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, sollte einmal Mäuschen in einer Frauenrunde spielen. Das dort praktizierte, ritualhafte Klagen über Kinder, Küche, Kindsvater ist kein Gedöns, sondern hat einen wahren und ziemlich deprimierenden Kern. Glücklich die Frau, die mehr Zeit im Büro verbringt und das Kind beim Vater in guten Händen weiß.