Deutschland polarisiert sich. Das kollektive Mitte-Kuscheln geht zuende.

Der amerikanische Late-Talker Jimmy Fallon war der King of New York. Seine Tonight Show auf NBC produzierte intelligenten Humor ohne zu viel Schärfe, er kommt sympathisch rüber. Die Ratings? Phänomenal. Alles super also. Bis die Dinge zuletzt nicht mehr so gut liefen.

Der Grund heißt – mal wieder – Trump. Amerika polarisiert sich, Fallons eher unpolitischer Witz wirkt plötzlich stumpf. Unzeitgemäß. Seit Monaten gehen seine Quoten runter, der politischere Konkurrent Stephen Colbert („The Late Show“, CBS) holt auf.

Und dann war da noch dieses Interview. Fallon führte in der ihm eigenen Art ein lässiges, aber eben auch reichlich unkritisches Gespräch mit Präsident Trump. Er streichelte dem Donald scherzhaft über das groteske Haupthaar. Alles gut, auch wir können miteinander, so der Tenor. Aber: Sie können eben nicht miteinander, die liberalen Late-Night-Zuschauer und die Trumps dieser Welt. Folglich gab es sozialmedialen Ärger.

Jimmy Fallon ist ein Mann für die Mitte. Der Case zeigt, dass in den USA etwas passiert, was Deutschland auch bevor steht: Die Preisgabe der Idee einer breiten, kuscheligen politischen Mitte, auf die sich alle einigermaßen einigen können. Amerika bildet politische Fronten. Von Medienschaffenden wird erwartet, dass sie Stellung beziehen. Wo gehobelt wird, sollen wieder Späne fallen. Und es wird eben wieder mehr gehobelt im politischen Betrieb. Und zwar nicht nur in den USA.

Positionierung ist gefragt

Auch in Deutschland wird der politdiskursive Ton rauer. Das hat nur manchmal mit der objektiven Lage des Landes zu tun. Jedenfalls ist nicht alles, was gerade in dramatisierenden Tönen verhandelt wird, wirklich angetan, Land, EU oder Welt in den Untergang zu treiben. Das spielt aber keine Rolle. Es besteht ein Bedürfnis nach klarer politischer Positionierung.

Genau das aber ist hierzulande eine Provokation. Man hatte es sich kommod eingerichtet in der Politgesellschaft des kollektiv Wohlmeinenden, Konsensorientierten, Riesengroßkoalitionären. Alle waren irgendwie „Mitte“.

Kaum ein Begriff wurde in den vergangenen Jahren so sehr verklärt wie die Mitte. Hinreichend analysiert ist inzwischen, wie Angela Merkel als zentralen strategischen Move die Mitte besetzte – und damit im Grunde nachvollzog, was die SPD zuvor unter Schröder durchexerziert hatte (allerdings mit weniger Wählererfolg).

Jeder will Mitte sein

Aber – Mitte ist mehr als Polittaktik. Mitte ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung, einer Kultur. Die Deutschen lieben Mitte. Jeder will Mitte sein. Und zwar nicht nur politisch. Deutschland frönt dem Mittefetisch. Deutlich wird dieser an der immer währenden Debatte darüber, wo geografisch die Mitte Deutschlands liegt. Momentan zanken sich mal wieder sechs Dörfer aus drei Bundesländern darüber.

Dass Mitte uns Deutschen so gefällt, ist kein Zeichen einer inhärenten Friedfertigkeit – zumindest wäre mir das neu. Nein, es hat mehr mit einer Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu tun, ernsthaft zu streiten, auch mit echten emotionalen Abgrenzungen, aber dennoch ohne sofort jegliche Kontenance, jeglichen Stil zu verlieren. Streit führt hier schnell zu Geschrei. Also lässt man es lieber gleich ganz und verlegt sich aufs gelangweilte Kollektivkoalieren. Nicht von ungefähr gibt es in keinem anderen Land so mächtige Industrieverbände. Diese organisieren geräuschlos das permanente Gekuschel marktbezogener Konkurrenten.

Nun jedoch scheint die Zeit von Mitte zu Ende zu gehen. Natürlich ist die AfD ein Indiz dafür. Es ist interessant, wie diese die Befindlichkeiten des traditionell linksliberalen Beobachtertums in Wallung versetzt hat. Eine Partei, die aus liberaler Sicht abwegige Positionen vertritt – weshalb eigentlich rührt uns Journalisten das emotional so sehr? Das wir gegen die AfD sind, ist klar. Aber weshalb führt diese auf Seiten vieler meiner hoch reflektierten Kollegen geradezu zu Panik?

Meine These: Die Politlandschaft mit Nur-Mitte-Parteien hat uns die Fähigkeit abtrainiert, mit Parteien umzugehen, mit denen wir grundlegend nicht übereinstimmen. Mit Parteien, die nicht Mitte sind.

Mich überrascht die beschriebene Panik insofern, als die Situation ja nicht immer so konfliktfrei war wie im jüngeren Prä-AfD-Land. In der alten Bundesrepublik gab es aus linksliberaler Sicht eine echte Gegenpartei, eine, die man aus tiefstem Herzen ablehnte. Diese hieß CDU-CSU. Nur will die seit den Nuller Jahren nicht mehr konservativ sein und nicht mehr von den sympathischen Schöngeistern Mitte-Links verachtet werden. Das hat ihr beinhart konservatives Profil verwässert – und in der Folge besagten Schöngeistern ihre diskursive Schärfe ausgetrieben.

Die aber ist nun wieder gefragt. Wir Publizisten müssen uns wieder positionieren. Wir müssen mit echtem, hartem Widerspruch umgehen und damit, dass es Parteien, Institutionen, Wähler und Leser gibt, die fundamental nicht mit unseren Werten übereinstimmen.

Hufeisen? Dreieck?

Es entstehen also wieder politische Pole. Es entsteht ein neues, schärferes politisches Koordinatensystem. Und zwar eines, das komplizierter ist, ja sein muss als jenes der Nachkriegszeit. Das Links-Rechts-Schema ist hinfällig. Aber die Alternative ist nicht die kollektive Mitte, sondern eine andere polgetriebene politische Kartographie. Ein Vorschlag von Soziologen: das Hufeisen (danke Armin Nassehi für diesen Hinweis). Vielleicht ist die neue Lage aber auch ein Dreieck – staatsfixiert (früher SPD, heute vielleicht SPD, CDU und in Teilen Grüne), paranoid-abgrenzungssfixiert (früher CDU, heute vielleicht AfD und in Teilen Linke), freiheitsfixiert (klassischerweise FDP, heute vielleicht FDP und in Teilen Grüne).

Das Dreieck ist nicht zuende gedacht; über die wirklich prägenden Pole kann und sollte man diskutieren. Klar ist aber: Die fetischhafte Fixierung auf die Mitte hat ausgedient. Das Nachdenken über Pole und deren Neudefinition ist spannender – und wird uns in Zukunft stärker beschäftigen.

Was man auch den Gemeinden sagen sollte, die um den Titel „Mitte Deutschlands“ ringen. Denn eines ist auch hier klar: Orte wie Flinsberg, Niederorla, Silberhausen oder Krebeck mögen grundsympathisch sein. Als kulturelle Zentren sind sie bisher aber nicht aufgefallen.